In Deutschland und anderen europäischen Ländern schwindet tendenziell das Vertrauen in die Medien. Zu den Hauptgründen zählt ein gefühlter Verlust von Vielfalt, bezogen auf das Spektrum der abgebildeten Meinungen und mangelnde Diversität in den Redaktionen. Um Lösungsansätze ging es auf der Tagung „Mehr Vertrauen durch mehr Vielfalt?“, die auf Einladung des Instituts für Journalistik der TU Dortmund in der Landesvertretung von Nordrhein-Westfalen in Berlin stattfand.
Zentrale Befunde der empirischen Forschung präsentierte Professor Michael Steinbrecher am 8. Juli. Nach wie vor sei das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) am größten, gefolgt von den überregionalen und regionalen Tageszeitungen, dem privaten Rundfunk. Am Ende der Glaubwürdigkeitsskala stünden Boulevardmedien, soziale Netzwerke und Messengerdienste. Nach einer Repräsentativbefragung geben nur zwölf Prozent der Bevölkerung dem Journalismus bessere Noten als in früheren Jahren, 47 Prozent der Bevölkerung sehen ihn dagegen auf dem absteigenden Ast. Eine Mehrheit moniert eine zu starke westliche Perspektive der Berichterstattung, ein Drittel der Befragten sieht den Journalismus als zu weit entfernt von den Problemen einfacher Menschen.
Professor Tobias Gostomzyk listete zahlreiche medienpolitische Herausforderungen für die Vielfaltsicherung auf: Medienkonzentrationsrecht, Presseförderung, Media Freedom Act, Plattformregulierung. Nicht zu vergessen die im Kontext der ÖRR-Reform erörterten Vielfaltaspekte: Schließlich sollen auch die mit Programmfragen befassten Rundfunkräte (Binnen-)Vielfalt sicherstellen. Der Bund könne zwar im Rahmen wirtschaftspolitischer Maßnahmen Medienförderung betreiben, müsse sich aber aus dem Inhalte-Bereich heraushalten.
„Gefühlte Distanz wächst“
Ist die politische Berichterstattung in Deutschland vielfältig genug? Für Harald Welzer, Publizist, im vergangenen Herbst mit seinem Co-Autor Richard David Precht und dem Buch „Die Vierte Gewalt“ an der Spitze der Bestsellerlisten, fällt das Urteil eher negativ aus. Seine Kernthesen: Die Leitmedien berichten nicht nur über Politik, sie machen sie. Sie bauschen auf, was in social media diskutiert wird und blenden aus, was Mehrheitsmeinung ist. Die Macher der Leitmedien orientieren sich nicht an der Realität, sondern an der Meinung ihrer Kolleg*innen in anderen Leitmedien. Die gefühlte Distanz zwischen den medialen, politischen und wirtschaftlichen Eliten und den Normalos wachse immer weiter an. Welzer: “Das aber ist für eine Demokratie tödlich.“
Aktuellstes Beispiel sei die Debatte um das Gebäude-Energie-Gesetz. Den meisten Medien zufolge von Anfang an ein „totaler Irrsinn“, unprofessionell, standortschädigend, „und der deutsche Eigenheimbesitzer ist neuerdings die deklassierteste Personengruppe, die es auf dem Planeten überhaupt gibt“. Gerade in Krisenzeiten bestehe aber in der Bevölkerung das Bedürfnis nach Deutung und vielfältiger Information. Stattdessen leide die Berichterstattung der Leitmedien an Perspektivverengung, Deutschland- und Eurozentrismus.
Die Kommunikationswissenschaftlerin Birgit Stark von der Johannes-Gutenberg-Uni Mainz erläuterte „Vielfalt als normatives Leitbild“ und Schlüsselnorm auch in der Medienpolitik. Als wichtigste Kriterien nannte sie die Vielfalt der Themen, Akteure und Meinungen. In der Gesamtbetrachtung stellte sie der deutschen Qualitätspresse ein eher gutes Zeugnis in Sachen Vielfalt aus.
Diversität als Kern der Transformation
Vertrauen sei die Basis des journalistischen Betriebs, konstatierte Juliane Leopold, Chefredakteurin Digital ARD-aktuell. „Wenn die Leute uns nicht vertrauen bei der Tagesschau, dann kommen sie nicht mehr vorbei“, sagte sie. Tatsächlich sind die Vertrauenswerte bei ARD-aktuell nach aktuellen Zahlen des Reuters Digital News Report nach wie vor gut, „wenngleich mit abnehmender Tendenz“. Beunruhigend sei allerdings das „Abrutschen des Nachrichteninteresses generell“. Eine Art Nachrichtenmüdigkeit „infolge einer Überforderung durch die aktuelle Häufung von globalen und allumfassenden existentiellen Krisen“. Leopold widersprach Welzer, der eine Bunker- und Wagenburgmentalität im Medienbetrieb unterstellt hatte. Tatsächlich finde bei ARD-aktuell eine tägliche Selbstreflexion der eigenen Arbeit statt.
Warum wäre mehr Diversität in Redaktionen so wichtig? Für Alexandra Borchardt, unabhängige Medienforscherin und Honorarprofessorin an der TU München, ist Diversität geradezu „Kern der digitalen Transformation“. Denn moderne Redaktionen arbeiteten nach dem Prinzip „Audiences First“, orientierten sich also an den Zielgruppen, die sie erreichen wollten. Diversität benötige eine „inklusive Kultur“ um sich überhaupt entfalten zu können. Die sei auch eine Voraussetzung, um die „Talente-Krise“ zu bewältigen. Junge Leute wendeten sich zunehmend ab vom Journalismus. Das zwinge Medienunternehmen, selbst aktiv zu werden in Sachen Recruiting.
Hilfe vom Bot
Eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung von Diversität in Redaktionen könne Künstliche Intelligenz spielen, etwa durch den Einsatz von Tools zur Überprüfung der Inhalte-Vielfalt. Die Financial Times messe mittels eines Bots den Frauenanteil unter den zitierten Expert*innen. Wenn allzu viele Männer auftauchten, schlage der Bot Alarm. KI könne aber auch vielfältigere Formate induzieren. Etwa durch Avatare, die beispielsweise ein Wahlergebnis parallel aus der Sicht einer 50jährigen Frau und eines 16jährigen Jungen erklärten.
Ein 2019 aufgesetztes EU-Programm zur Förderung von Diversität in Redaktionen wies Deutschland und Schweden als Schlusslichter aus. Sven Gösmann, Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur erkennt aber Verbesserungen: „Wir sind beim Schließen des Gender Gap deutlich weiter als früher.“ Seit 2021 enthielten die dpa-Leitlinien eine Selbstverpflichtung zu mehr Diversität. Die ethnische Herkunft der Redaktionsmitglieder sei sicher wichtig, das gelte aber erst recht für ihre soziale Herkunft. Aktuelle Debatten sind für ihn häufig Elitendebatten. Das Heizungsgesetz werde „aus dem Berliner Regierungsviertel komplett anders beschrieben als etwa aus ländlichen Räumen“.
Für Elena Kountidou, Geschäftsführerin Neue Deutsche Medienmacher*innen, wurde in Deutschland lange verpasst, beim Recruiting diversen Nachwuchs anzusprechen. Mangelnde Diversität betreffe nicht nur die Einwanderungsgeschichte. „Es gibt zum Beispiel kaum behinderte Journalisten, die man kennt.“ Mehr personelle Vielfalt in Redaktionen könnten zu unterschiedlichen Perspektiven führen, „wenn auch nicht automatisch“. Es gebe auch einen Anpassungsdruck in Redaktionen. Viele Kolleg*innen trauten sich oft gar nicht, andere Themen vorzubringen, aus Furcht davor, sich zu „outen“, etwa preiszugeben, dass sie nicht aus einem Akademikerhaushalt kommen. Es brauche Vertrauen und Mut in den Redaktionen, so etwas zuzulassen.
Auch mit der Sensibilität in Sachen Diskriminierung sei es in vielen Redaktionen noch nicht weit her. Hier sieht Kountidou noch reichlich Fortbildungsbedarf. Als kürzlich der unabhängige Expert*innenkreis seinen Bericht zur Muslimfeindlichkeit in Deutschland vorstellte, enthielt er unter anderem die Handlungsempfehlung, stereotype Darstellungen von Muslimen zu vermeiden. Zur Illustration des Berichts wählten fast alle deutschen Medien „eine Frau mit Kopftuch von hinten“.