Mit einem weinenden und einem lachenden Auge

Berlin als Mittelpunkt eines bundesweiten Chef-Karussels: Neue Runde im Hauptstadtzeitungs-Poker

Das Ringen in Berlin, um die deutsche Hauptstadtzeitung, geht in eine neue Runde: Drei neue Chefredakteure wollen mit schlagkräftigeren Mannschaften in der Metropole wie auch bundesweit punkten. Über 150 Millionen Mark sind bei Springer, Gruner+Jahr und Holtzbrinck im Spiel, um neue Leser und Anzeigenkunden vor allem für „Berliner Zeitung“, „Tagesspiegel“ und „Die Welt“ zu gewinnen. Außerdem mischen noch regionale Platzhirsche wie die „Berliner Morgenpost“ und im Unterhaus der Überregionalen „Neues Deutschland“ und „tageszeitung“ mit. Auch am Boulevard rumort es, seit Franz Josef Wagner (Ex-„Bunte“-Chef) der Bingo-„B.Z.“ vorsteht.

Chefredakteure großer Blätter in München und Frankfurt zählen ihre Amtszeit in Jahrzehnten. In Berlin sind es höchstens Jahre. Nicht, daß die Chefsessel berüchtigte Schleudersitze wären, aber Sprossen auf der Karriereleiter allemal: Wer sich hier behauptet, ist für Höheres vorgesehen. So hielt es den Österreicher Michael Maier gerade mal zwei Jahre an der Spitze der „Berliner Zeitung“. Zum Jahreswechsel übernimmt er mit dem „stern“ das Zeitschriften-Flaggschiff des Hamburger Verlages von Werner, genannt „Kim Il Funk“.

Zurück läßt der Hobby-Organist Maier eine optisch und inhaltlich spürbar der Ost-Tradition entwachsene Zeitung: 40 Entlassungen und bis heute anhaltende Neueinstellungen kostete neben einer 35-Millionen-Spritze die Profilierung der ehemaligen SED-Bezirkszeitung. Trotzdem stagniert die Auflage des hauptstädtischen Abo-Marktführers bei über 217000 Exemplaren (III. Quartal ’98) – mit deutlichem Ost-Überhang bei den Lesern.

Anzeigen- und andere Preiskriege

Auch anzeigenmäßig hat der große Durchbruch noch nicht geklappt: Für dieses Jahr wird keine „schwarze Null“ erwartet. Deshalb drehte die Leitung des Profitcenters an der Ausgabenschraube und wollte sich nicht mehr an Freienverträge halten, wenn die festangestellten Redakteure nicht auf ein Drittel ihrer Altersversorgung verzichten. Ein „schäbiges Spiel auf Kosten der Schwächsten“, protestierte die IG Medien.

Nicht viel gebracht hat der „Berliner Zeitung“ offenbar auch der sommerliche Anzeigenpreiskrieg mit der „Berliner Morgenpost“ (knapp 178000 Auflage). Deren Gegenangriff mit einer Preissenkung pro Exemplar auf 90 Pfennig machte das Springer-Blatt zwar zur billigsten Abo-Zeitung Berlins, grub aber eher dem Boulevard-Schwesterblatt „B.Z.“ das Wasser ab. Zur Freude des „Berliner Kurier“ von Gruner+Jahr, der mit nun-mehr rund 187000 Exemplaren, seinen Abstand zur „B.Z.“ auf 93000 verringerte. Selbst die sonst führende „Bild“ muß sich mit ihrer Regionalausgabe Berlin-Brandenburg mit Platz 3 bescheiden.

Den nimmt bei den Berliner Abo-Zeitungen weiter der „Tagesspiegel“ ein – trotz Übernahme durch Holtzbrinck. Das „Willkommen im Haifischbecken“ von vor drei Jahren hat sich bitter bewahrheitet, obwohl sich das in gewissen Westberliner Kreisen auch als „Tagesspitzel“ geschmähte Blatt deutliche wandelte. Besseres Layout mit Infografiken, ein erweiterter Wirtschaftsteil und ein von Ex-Spiegel-Mann Hellmuth Karasek geprägtes Feuilleton ließen die Auflage leicht auf fast 130000 Exemplare steigen.

Neuen Schwung in die Potsdamer Straße soll nun der 39jährige Giovanni Di Lorenzo bringen, der zu Jahresbeginn als neuer „Tagesspiegel“-Chefredakteur mit drei Mann an die Spree wechselt. Redakteure beschreiben die Stimmung „zwischen gleichgültiger Erwartung und Euphorie“. Immerhin habe der junge Münchner von der „Süddeutschen“ mit der „grauen Eminenz“ Gerd Appenzeller (Noch-Chefredaktionssprecher) sowie den Herausgebern Herrmann Rudolph (geschäftsführend), Heik Afheldt und Karasek ein enges Korsett.

Auch bei der „Berliner Zeitung“ wird der Chef-Wechsel von der Belegschaft „mit einem lachenden und einem weinenden Auge“ gesehen. Soviel Personalwechsel wie bei Maier erwartet der Betriebsrat nicht, wenn Martin E. Süskind vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ (früher „Süddeutsche“) kommt. Wann er kommt, ist allerdings noch offen, überbrücken sollen Herausgeber Dieter Schröder (auch Ex-„Süddeutscher“) und die Vize-Chefs Franz Sommerfeld und Ulf C. Goettges. Einigen in der Redaktion graust vor einem längeren Führungsvakuum, denn der Schwung der ersten Erneuerung lasse schon spürbar nach.

Dagegen ist „Die Welt“ mit ihrem neuen Chefredakteur Mathias Döpfner (35), neuen Leuten und modernem Layout seit 9. November so richtig durchgestartet. Zwar sollen künftig deutlich mehr als die derzeit 26000 Exemplare in der Hauptstadt von bundesweit fast 222000 abgesetzt werden. Doch das eigentliche Maß sind die anderen Überregionalen „FAZ“ (404000) und „Süddeutsche Zeitung“ mit 421000 Exemplaren, gibt Döpfner unumwunden zu. In den Berliner Lokalkrieg will er sich nicht so richtig einmischen. Der Kleinkrieg im eigenen Hause reicht ihm offensichtlich.

In der ersten Stufe der „Welt“-Reform stieg nicht nur die Seitenzahl, auf 32, sondern wurden auch die klassischen Ressorts wie Politik, Wirtschaft und Sport thematisch verstärkt. Aus dem üblichen Rahmen fallen neben Börsenkursen und Internet-Adressen im Kopf auch die täglich zwei Debatten-Seiten. Zu Beginn nächsten Jahres startet dann die zweite Stufe mit noch ein paar Seiten: Bei Feuilleton wird dann nicht mehr „N.N.“ im Impressum stehen und „Medien/Lebensstil“ aus seinem Ghetto der halben Feuilleton-Seiten ausbrechen. Eines hat der neue Springer-Vorstandschef Gus Fischer schon klargestellt: Diesmal soll mit langem Atem das Verlags-Flaggschiff im gehobenen Zeitungssegment gepuscht werden. Und zwar bundesweit – was die Konkurrenz in München und Frankfurt derzeit noch nicht beunruhigt.

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