Nur ein Angebot

Jugendliche sind zwar eifrige Radiohörer, doch in emotionalen Situationen zieht es sie zu anderen Medien.

Deutschlands Hörfunker sind nervös. Seit immer mehr Medien auf die Jugend einströmen, droht die Stimme des Radios ungehört beim Nachwuchs zu verhallen. Fernsehen, CD, Kassette und Internet buhlen verstärkt um die freie Zeit des Nachwuchses.

Die Konkurrenz zum Fernsehen und seinen Musikkanälen ist unübersehbar. Die Youngcom Jugendstudie 1998 fand heraus, daß 55 Prozent der 13- bis 20jährigen das Gedudel bei Viva und MTV als Hintergrundbegleitung nutzen; damit schlüpft das Fernsehen in die Radiorolle und gebärdet sich als Nebenbeimedium. Nur ein Drittel der Jugendlichen guckt bewußt in die Röhre, wenn das Musik-TV auf Sendung ist. So offensichtlich tritt das Internet noch nicht als Hörfunk-Konkurrent auf.

Dennoch spüren die Radiomacher den Atem der Verfolger bereits im Nacken. Internet-Anbieter wie Cyberradio, Imagine Radio, Spinner.com oder Broadcast.com locken online-geneigte Hörer ins Netz. Ihre Trumpfkarte: Sie bieten entweder individuelle Angebote oder überhäufen den Nutzer mit einer Fülle von Programmangeboten, die er via Real Audio auf seinem Rechner zum Klingen bringen kann. Noch sind die Übertragungskosten in Deutschland zu hoch, als daß die Internet-Funker eine Massengemeinde um sich versammeln könnten. Doch der aufkommende Wettbewerb in den Ortsnetzen, dürfte die Tarife bald in den Keller purzeln lassen. „Radio kann sich zum Nebenbeimedium des Internet entwickeln“, prophezeit Werner J. Baur, Geschäftsführer von Hit-Radio Antenne in Stuttgart. Wenn es den Radiostationen nicht gelingt, ihr Programmprofil ins Netz zu retten und Real Audio anzubieten, könnten sie bei der Jugend schnell ins Hintertreffen geraten. Denn für Computer und WWW wird die nachwachsende Generation mehr Zeit aufwenden. Laut Youngcom Jugendstudie geben bereits 27 Prozent der 13- bis 20jährigen an, in Zukunft verstärkt das Internet zu nutzen, Fernsehen nennen 75 Prozent, Radio 44 Prozent.

Allem Zukunftspessimismus zum Trotz – das Tagesgeschäft der Jugendradios floriert. In den vergangenen Jahren gingen etliche Programme für den Nachwuchs on air. Logische Folge: Die Hördauer der 14-19jährigen hat sich von täglich 117 Minuten in der Media-Analyse (MA) 1995 auf 128 Minuten in der MA 98/II erhöht; Konkurrent Fernsehen ist mit 136 Minuten allerdings noch besser gelitten, während die 14- bis 19jährigen täglich nur 14 Minuten vor dem PC verbringen. In nächster Zeit dürfte den Sendern also kein Massenexodus der Jugend drohen, dafür sind Jugendprogramme wie Planet Radio, Sunshine Live, N-Joy, Fritz oder Kiss FM zu erfolgreich.

Die jungen Wellen treffen den Geschmack ihrer Hörer. Die wollen neben Musik vor allem Comedy und aktuelle Informationen hören; die Jungs stehen auch auf Sportberichte, Mädchen mögen längere Sendebeiträge und Hörerwünsche, wie die Studie Jugend, Information und Multimedia (JIM) 1998 ermittelte. Eine 1997 vom Hessischen Rundfunk durchgeführte Befragung unter 100 Personen zwischen 16 und 23 Jahren lieferte detailliertere Erkenntnisse über die Programmpräferenzen der Jugendlichen. Demnach wollen sie neben aktuellem Chart-Gedudel auch Szenemusik aus Discos und Clubs konsumieren. Selbst Oldies gelten nicht generell als inakzeptabel, wie HR-Medienforscher Ekkehard Oehmichen herausfand. Auf die Dosis kommt es an. Im Wortprogramm wünschen sich die Jungen auch Infos über die Musikbranche, Veranstaltungen, Schule, Beruf und Partnerschaft.

Radiowerbung nervt Kids

Den Werbekunden und ihren Kreativagenturen stellt diese Altersgruppe hingegen ein bescheidenes Zeugnis aus. Nur 15 Prozent der 13- bis 20jährigen finden Hörfunkspots gut. Kinowerbung ist hingegen bei 60 Prozent beliebt, TV-Spots immerhin bei 32 Prozent. Die Aversion gegen die Radiowerbung dürfte auch damit zusammenhängen, daß die meisten Spots nicht auf die Wünsche und Hörgewohnheiten des Nachwuchses zugeschnitten sind. Dazu fehlt den Werbetreibenden und Agenturen das Geld oder der Nerv. Denn jüngere Altersgruppen spielen als Marketingzielgruppe in den Unternehmen keine eigenständige Rolle. Das Gros der Markenartikler zielt auf das heterogene Alterssegment der 14- bis 49jährigen. Danach müssen sich auch die privaten Jungfunker orientieren, wenn sie genügend Werbegelder einstreichen wollen und nicht ewig am Tropf des Mutterunternehmens oder deren Gesellschafter hängen wollen. Der kommerzielle Druck zwingt die Privaten dazu, ihr Programm auch für junge Erwachsene jenseits der 20 zu öffnen, denn ältere Jahrgänge besitzen die dickeren Geldbörsen. Für Werner Baur wird die geplante private Jugendwelle in Baden-Württemberg (siehe M 6/99) nur überleben können, wenn sie sich nicht auf das Alterssegment der 14- bis 19jährigen konzentriert, sondern sukzessive auch ältere Hörer anspricht.

Probleme mit der Hörerbindung

Probleme plagen das Radio auch bei der qualitativen Hörerbindung. Zwar freuen sich die Sender über treue Lauscher, doch der eindimensionale Charakter macht das Radio auch zu einem Medium mit schwachem Profil. Die Hörer nehmen ihren Sender vorwiegend über dessen Programm wahr, woran auch gigantische Konzerte oder schrille Off-Air-Aktionen nichts ändern. Musik und Moderation, Comedy und Information geben die Ausschlag für die Wahl eines Programms. Die Jugend mißt Nutzen und Nachteil eines Mediums an dessen Mehrdimensionalität. Deshalb ist das Fernsehen in ihrer Gunst nach wie vor unerreicht. Laut JIM-Studie würden sich 37 Prozent der 12- bis 19jährigen für das Fernsehen entscheiden, wenn es nur ein Medium gäbe. Das Radio landet mit 26 Prozent nur auf Platz 2. Computer und PC folgen mit bereits 19 Prozent. Zwar verweisen die Radioprotagonisten gern darauf, daß ihr Medium Kino im Kopf erzeugt. Doch dem Nachwuchs genügt das nicht. „Das Radio unterliegt in emotionsorientierten Situationen“, analysieren die ARD-Medienforscher Maria Gerhards, Walter Klingler und Jutta Milde in der Fachzeitschrift Media Perspektiven. Radio besitzt für die Jugendlichen den spröden Charme des Alltäglichen. Wenn sie ihre Glückszustände oder Depri-Phasen ausleben, bleibt das Radio meist stumm. Die Glotze hat bessere Karten. Steht den 12- bis 19jährigen der Sinn nach Spaß und Unterhaltung, schalten 40 Prozent ein; das Radio kommt nur auf 16 Prozent. Wer traurig und sorgengeplagt ist, sucht meist Trost beim Hören von CDs oder Kassetten; wem die Zeit lang wird, drückt am ehesten auf die TV-Fernbedienung.

In Zukunft werden Jugendliche die ihnen angebotenen Medien jedoch anders nutzen. Kluge Strategen haben bereits vorgebaut und basteln an Konzepten für das Multimediazeitalter. Vor zwei Jahren hat der damalige Südwestfunk (SWF) mit Das Ding einen Versuch gestartet, die miteinander rivalisierende Medien Radio, TV und Internet in Einklang zu bringen. Das Ding versteht sich als Multimedium und integriert Radio, Fernsehen und Internet (siehe folgenden Bericht). Der Hörer kann es über das digitale Radio DAB ebenso empfangen wie über das Fernsehprogramm von Südwest 3 und über das Internet. „Ein bloßes Radioprogramm genügt nicht mehr“, ist Projektleiter Marcus Schuler überzeugt. Ein trimedialer Ansatz soll der Nutzungspräferenz der Jugend besser entgegenkommen. „Andere werden von unseren Erfahrungen profitieren“, glaubt Schuler. Die Mediennutzer der Zukunft kennen keine Grenzen mehr.

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