Europatag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk am 28. Mai 1997
Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Europa fällt vor dem Hintergrund einer rasanten Angebotsvervielfältigung und zunehmenden Kommerzialisierung im Medien- und Telekommunikationsbereich eine wichtige Leitfunktion bei der umfassenden Vermittlung von Informationen und kulturellen Angeboten zu. Dies haben die Vorsitzenden der IG Medien, Detlef Hensche, und Kurt van Haaren, Deutsche Postgewerkschaft (DPG), zum ersten Europatag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erklärt.
Der Aktionstag wurde von der internationalen Gewerkschaftsorganisation „Media and Entertainment International“ (MEI), der die nationalen Gewerkschaftsorganisationen des audiovisuellen und Kunstsektors angehören, ausgerufen. Laut Hensche und van Haaren sind die öffentlich-rechtlichen Sender in Europa durch eine zunehmen-de Ausweitung des Marktes, durch Medienkonzentrationsprozesse und durch politische Angriffe gefährdet. Damit stehe ein wichtiger Baustein der europäischen Demokratien auf dem Spiel.
Die Informationsgesellschaft müsse den Bürgerinnen und Bürgern einen echten Zusatznutzen bringen. Zur Zeit zeichneten sich allerdings negative Entwicklungen ab. So seien beispielsweise viele hoch qualifizierte Arbeitsplätze im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gefährdet. Auch müsse verhindert werden, daß die Bürgerinnen und Bürger für ihr demokratisches Recht auf Informationen zunehmend zur Kasse gebeten werden. „Wir haben den Eindruck, daß die wirtschaftlichen und politischen Strategen der europäischen Informationsgesellschaft eher den zahlungskräftigen Kunden und weniger den informierten Bürger im Auge haben“, erklären Hensche und van Haaren mit einem Seitenblick auf die ausschließlich wirtschaftsliberal orientierten Politik-ansätze des zuständigen EU-Kommissars Martin Bangemann. In seinem Hause werde das Kulturgut Rundfunk nur nach wirtschaftsrechtlichen Kriterien behandelt und nicht nach der wichtigen kulturellen Integrationsfunktion. „Wir müssen verhindern, daß nur wohlhabende Menschen sich die Segnungen der neuen Kommunikationstechniken leisten können“, heißt es weiter.
Außerdem müsse sichergestellt werden, daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk an allen Multimediaentwicklungen durch neue interaktive Programmangebote teilhaben könne. Aufgrund der Tatsache, daß erst wenige Bürgerinnen und Bürger die neuen Informationsmöglichkeiten der Netze nutzen, komme dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine wichtige Aufgabe bei der Vermittlung von demokratischem Wissen zu. Ferner müsse die Europäische Union wirksame Maßnahmen gegen die Medienkonzentration erlassen, da sonst die Gefahr bestehe, daß die öffentlich-rechtlichen Sender vom Markt erdrückt würden.
Ausdrücklich begrüßt werden die Bemühungen der EU-Kommission, Ereignisse von herausragender gesellschaftlicher Bedeutung wie Sport- und Kulturgroßereignisse, der Alleinverwertung durch TV-Anbieter zu entziehen. Hensche und van Haaren fordern die Bundesländer auf, die Initiative der EU-Kommission vorbehaltlos auch in der Bundesrepublik zu unterstützen. Insbesondere dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk müsse freier Zugang zu allen Informationen gegeben werden, weil die Bürgerinnen und Bürger für den Anspruch auf Grundversorgung Gebühren zahlten.
Schließlich fordern die Gewerkschaftsvorsitzenden die European Broadcasting Union (EBU), die Vertretung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Europa, auf, den sozialen Dialog mit den Gewerkschaften zu vertiefen, um die notwendigen inneren Reformen unter Nutzung des kreativen Potentials der Beschäftigten zukunftsweisend zu gestalten. Mangels einer gesamteuropäischen Öffentlichkeit sollte die EBU auch die Einrichtung eines europäischen öffentlich-rechtlichen Senders nach dem Vorbild der bilateralen Einrichtung ARTE erwägen. Damit könne zumindest ein Demokratiedefizit in der von nationalen Exekutiven bestimmten Europäischen Union beseitigt und das Europa der Bürgerinnen und Bürger ausgebaut werden.
IG Medien Hauptvorstand
Deutsche Postgewerkschaft Hauptvorstand