Ohne Spannung

Geringe Klickquoten für die Wahlkampfseiten der Parteien

Nach dem Motto „Von Obama lernen heißt siegen lernen“ setzen im Superwahljahr 2009 auch deutsche Parteien und Politiker verstärkt auf das Internet. Vielen Auftritten sieht man an, dass der Umgang mit Videoblogs, YouTube und sozialen Netzwerken noch in den Kinderschuhen steckt.

„Europa – unendliche Weiten“, raunt eine bemüht suggestive Stimme, während auf dem Bildschirm eine Art Star-Trek-Animation im Kleinformat abgeht. Wir erleben „die Abenteuer von Bernd Lange, der ausgezogen ist für die Entdeckung neuer Möglichkeiten und die Zusammenführung der Zivilisationen“. Ein Auszug aus dem 50-Sekunden-Wahlspot, mit dem der Niedersachsens SPD-Spitzenkandidat Lange vor den Europawahlen am 7. Juni auf dem YouTube-Kanal SPD:vision in offenbar selbstironischer Manier („Die Besten zu den Sternen“) für sich und seine Partei um Stimmen warb. Kommentar eines Users: „Wenn Bernd Lange genau so toll ist wie sein Wahlwerbespot, dann sehe ich schwarz für Europa.“ Nur ein Beispiel dafür, wie der dilettantische Einsatz „neuer“ Medien im Zweifel nach hinten losgehen kann. Allzu viel Schaden richtete der Spot indes nicht an: zwei Tage vor dem Wahltermin hatten ganze 246 Nutzer den Film angeklickt.
Wo die einen bemüht um Originalität ringen, bedankt sich Frank-Walter Steinmeier auf www.wahlkampf09.de artig für die Unterstützung seiner Gemeinde: „Es lohnt sich, dabei zu sein.“ Wer sich als User per Klick zur Wahlkampf-Community der Sozis bekannte, bekam vom Außenminister seine „persönliche Unterstützerurkunde“ zugestellt. Eine Option, von der immerhin gut 13.000 potentielle Aktivisten bis zum EU-Wahltermin Gebrauch machten. Bereits seit 2007 gibt es die Community „meinespd.net2. Jeweils über ein paar Tausend Fans verfügen Partei und Spitzenkandidat auch bei Facebook.
Kaum spannender erscheint der Auftritt des großen Koalitionspartners CDU. Von der selbst behaupteten „Vorreiterrolle als Internetpartei“ kann unter qualitativen Gesichtspunkten keine Rede sein. TeAM Deutschland (AM steht für Angela Merkel) will die Kanzlerin unterstützen. cdu.tv auf YouTube hat an die 1.000 Abonnenten. Die in staatsfraulicher Pose abgesonderten einminütigen Statements von Merkel erreichten bislang ein Publikum von gut 200.000 Viewern. Parteitagsberichte, Reden von Generalsekretär Ronald Pofalla – solcherlei „Content“ lässt ahnen, wieso die – bei den Europawahlen erneut eindrucksvoll belegte – Politikmüdigkeit in diesem Lande so ausgeprägt ist. Davon künden auch die meist recht kritischen Viewer-Kommentare.
Auch in sozialen Netzwerken buhlen die Parteien mit unterschiedlichem Erfolg um Sympathie. Dass sich ein Engagement auf diesen Plattformen lohnt, dürfte außer Frage stehen. Nach Angaben der Betreiber tummeln sich in den Netzwerken studiVZ, schülerVZ und meinVZ über 10 Millionen Wahlberechtigte, darunter allein 70 Prozent aller Erst- und Jungwähler. Mit mehr als 30.000 Unterstützern erreichte Merkel auf studiVZ wesentlich höhere Sympathiewerte als ihr Rivale Steinmeier, der gerade mal ein Viertel dieser Zahl schaffte. Die privaten Infos, mit denen die Kandidaten auf studiVZ menscheln, suggerieren Volksnähe. Merkel steht demnach musikalisch auf Beatles und Karat, Steinmeier dagegen hört lieber Jazz.
Die meisten Parteien nutzen vorzugsweise US-Plattformen wie YouTube oder Facebook, obgleich deutsche Netzwerke wie etwa studiVZ mehr Mitglieder haben. Das gilt auch für die FDP, die ihre Botschaften vorwiegend über YouTube unter die Leute bringt. Der Auftritt von Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin, belegt, dass man offenbar auch ohne jede politische Aussage (und dem Vernehmen nach ohne allzu rege politische Aktivität) erfolgreich abschneiden kann. Wahlkampf-Highlight auf TV liberal ist „Fricke & Solms“, eine dem früheren ZDF-Duo „Hauser & Kienzle“ nachempfundene mäßig amüsante fünfminütige Polit-Soap mit „Einschaltquoten“ zwischen 4000 und 8.000 Abrufen.
Am längsten haben sich die Grünen mit dem Internet als Transportmittel politischer Inhalte auseinandergesetzt. Wer mit ihnen fraternisiert, kommt bei „Meine Kampagne“ auf seine Kosten, das Unterstützernetz „Wurzelwerk“ ist einweilen den Parteimitgliedern sowie der Grünen Jugend vorbehalten. Bei YouTube senden die Bündnisgrünen auf „Kanal Grün“. Er wurde bis zur Europawahl knapp 70.000 mal – wohl wegen der vergleichsweise unterhaltsamen TV-Wahlspots – aufgerufen und fast 700 mal abonniert. Auch ansonsten nutzt die Partei alle Facetten des Web 2.0. Unter den studiVZ-Edelprofilen ragen Jürgen Trittin und Renate Künast mit 1300 bzw. 1100 Unterstützern hervor.
Auch Die Linke ist bemüht, ihren Rückstand in punkto Internet-Präsenz aufzuholen. Am Besten gelingt ihr das bislang im Bereich der Video-Podcasts. Ihr YouTube-Kanal hat zwar nur knapp 500 Abonnenten, wurde aber schon mehr als 50.000 Mal aufgerufen. Parteichef Lothar Bisky finden bei studiVZ rund 450 Leute gut. Unter „Linksaktiv“ gelangt man zum Mitglieder- und Unterstützer-Netzwerk der Partei.
Und der Wähler? Honoriert er die Bemühungen von Parteien und Kandidaten, ihn mit modernisierten Webauftritten, Profilen in sozialen Netzwerken und Videoblogs zu erreichen? Offenbar (noch) nicht. Eine unlängst erhobene repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts dimap kommt zu dem Ergebnis: Die Experimentierfreudigkeit des deutschen Wahlbürgers hält sich in Grenzen. Nach wie vor informieren sich zwei Drittel aller Wahlberechtigten über politische Themen hauptsächlich aus Tageszeitungen und aus dem Fernsehen. Und noch ein ernüchternder Befund: Von den knapp 30 Prozent der Bevölkerung, die sich online über Politik informieren, besuchen 60 Prozent vor allem die Nachrichtenportale bekannter Printmedien und die Internetauftritte der TV-Sender. Lediglich drei Prozent der Onliner gehen auf die Webseiten der Parteien.
Das Internet, schlussfolgert daher Ex-Bild-am-Sonntag-Chef und Neublogger Michael Spreng, werde in diesem Wahlkampf noch von eher untergeordneter Bedeutung sein. „Erst in etwa zehn Jahren“, so der ehemalige Wahlkampfberater Edmund Stoibers, werde es eine größere Rolle spielen. Leitmedium im Superwahljahr 2009 bleibt nach Lage der Dinge wohl das Fernsehen.

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