Online-Expansion oder Content-Vernichtung?

Drei-Stufen-Test bringt Internet-Usern vor allem Nachteile

Die Reflexe der ARD-Widersacher funktionierten. Eine „Farce“ seien die Drei-Stufen-Tests gewesen, wetterte beispielsweise Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger, die Rundfunkräte hätten die Online-Auftritte der ARD einfach abgenickt. Andere Lobbyisten bliesen ins gleiche Horn. Vom „Durchwinken“ der ARD-Webangebote war da die Rede, und Hubert Burda, Zeitschriftenverlegerpräsident, sieht bereits Pressevielfalt und -qualität durch eine öffentlich-rechtliche Online-Presse aufs Höchste gefährdet.

Die gereizten Reaktionen auf das von den ARD-Gremien verkündete Ergebnis der Drei-Stufen-Tests überraschen kaum. Allerdings verwundert die Ignoranz, mit der die Verleger jeder vermeintlichen Beschneidung ihrer Geschäftsinteressen im Netz durch Dritte begegnen. Die Prüfaufgabe der Gremien war klar: Beeinträchtigen die Angebote der ARD den publizistischen Wettbewerb auf dem Medienmarkt oder überwiegt ihr gesamtgesellschaftlicher Nutzen? Das Ergebnis fällt eindeutig aus. Der publizistische Wert der Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland ist deutlich größer als die Probleme, die er in Teilbereichen des Marktes auslösen könnte. Denn gemessen am Gesamtangebot ist der Marktanteil der Online-Auftritte der ARD in den meisten Programmbereichen verschwindend gering.
Wo aber dieser Marktanteil relevant ist, wird die Verweildauer des jeweiligen Programms im Netz verkürzt. Zum Beispiel bei daserste.de, einer Adresse, über die vor allem fiktionale Angebote der ARD-Mediathek abgerufen werden können. Dailies wie der „Marienhof“ sind so nur sieben Tage lang verfügbar. Was in diesem Fall für eingefleischte Serienliebhaber nicht sonderlich tragisch sein sollte. Das Interesse der Nutzer, verpasste Teile einer Daily Soap nachzuholen, beschränkt sich nach Beobachtungen der Sender weitgehend auf die ersten drei bis vier Tage nach der Erstausstrahlung. Anderswo fallen die Einschränkungen wesentlich dramatischer aus. Etwa beim ARD-Informationsflaggschiff tagesschau.de. Tagesschau und Tagesthemen dürfen im Rahmen einer Archivfunktion zwar weiter im Internet verfügbar sein. Viele andere nachrichtliche Themen und Informationen dagegen – die Rede ist von bis zu 80 Prozent der gesamten Inhalte – müssen gelöscht bzw. offline gestellt werden.
Angesichts solcher Einschnitte wirkt die Dauerkampagne der Verleger gegen tagesschau.de fast schon skurril. Die Verbreitung des Portals auch auf anderen Distributionskanälen von Facebook bis Twitter habe nichts mehr mit Rundfunk zu tun, schäumte der eingangs bereits erwähnte BDZV-Hauptgeschäftsführer. Der angedrohten Klage dürfte die ARD gelassen entgegensehen, erst recht, nachdem kein geringerer als der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier ihr per Gutachten den Rücken stärkte. Da sich die Presse mit ihren eigenen Internet-Auftritten auf das Gebiet des Rundfunks begebe, müsse sie schließlich auch die öffentlich-rechtliche Konkurrenz aushalten. Im Übrigen gehöre das ARD-Informationsangebot im Netz zum Kern des Grundversorgungsauftrags, so der Tenor des Gutachtens.

Links führen ins Nirvana

Eine klare Ansage, sollte man meinen. Nicht so für den FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld, der leitartikelnd unter dem Titel „Bestellte Wahrheiten“ dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen „totalen Machtanspruch“ unterstellte und perspektivisch bereits die „Herrschaft des Staatsjournalismus“ und das „Ende der freien Presse“ heraufdämmern sah. Man mag darüber streiten, ob die Beschwerde des ARD-Vorsitzenden Peter Boudgoust bei FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher über solcherlei Grobschlächtigkeiten die angemessene Reaktion war. Dass Hanfelds Tiraden „geschichtsvergessen und maßlos“ sind, wie Boudgoust beklagt, leidet jedoch keinen Zweifel. Hierzulande ging von der Macht großer privater, dem Profit verpflichteten Medienkonzernen immer eine größere Gefahr für die Meinungsfreiheit aus als von öffentlich-rechtlich kontrollierten Rundfunkanstalten.
Beleg dafür ist sogar der aktuelle Konflikt um die Online-Präsenz von ARD und ZDF. Denn das jahrelange publizistische Trommelfeuer der Privaten führt ja bereits jetzt zu einer massiven Beschneidung des Informationsangebots. Ein Großteil dieses Angebots, soweit es per Archivfunktion verfügbar war, wird derzeit gelöscht bzw. offline gestellt. Dies gilt sogar für so wichtige Dokumente wie etwa die Berichterstattung über die US-Wahlen von 2008. Beim NDR, vor allem bei ARD Aktuell registriert man Tausende von E-Mails mit Beschwerden empörter Nutzer.
Zu Recht mögen viele Menschen nicht einsehen, wieso mit Gebührengeldern hergestellte Informationen nicht länger zur Verfügung stehen sollen. Das gilt speziell mit Blick auf Verlinkungen zu Wikipedia und anderen Lexika im Internet. Aufgrund der Löschauflagen führen diese Links neuerdings immer häufiger ins informationelle Nirvana. Ein Umstand, der übrigens unlängst auch von der aufmüpfigen kleinen Schwester der FAZ, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, aufgespießt wurde. „Erst werden die Beiträge produziert, dann ins Netz gestellt, dann wieder gelöscht: alles von Gebührengeldern.“ Klagesteller war Grimme-Preisträger Stefan Niggemeier in seinem „Bericht aus einem absurden System“. Die Gremien der ARD (und des ZDF) sollten dafür kämpfen, dass ein möglichst großer Teil des zeitgeschichtlich bedeutsamen Programmvermögens dem Publikum zugänglich bleibt. Denn das Erkenntnisinteresse der Allgemeinheit geht vor das Gewinninteresse privater Medienbetreiber.


Günter Herkel

Günter Herkel lebt in Berlin und arbeitet als freier Medienjournalist für Branchenmagazine in Print und Rundfunk

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