Radio auf vielen Wegen

Deutsche Hörfunkbranche: Freude über Werbeplus, Sorge um Zukunft

Symbolträchtiger hätte der deutsche Branchentreff nicht stattfinden können: Während das alte Domizil des Radio Day in Köln für den neuen Fernseh-Mieter RTL bezugsfertig umgebaut wird, musste sich der kleine Bruder Hörfunk diesmal mit der Halle 2.2 begnügen. Nach außen drangen trotzdem Erfolgsmeldungen, drinnen ging´s besonders beim Fachkongress eher um Zukunftssorgen.

„Diesmal tue ich mir den Zirkus nicht an“, maulte ein skeptisches Urgestein des Hörfunks vorm alljährlichen Branchentreff. Und auch der zur abendlichen Radio-Day-Party angekündigte Super-Act, die Band Juli, fiel aus – wegen Erkältung. Nichtsdestotrotz jubelten die Veranstalter AS&S und RMS als Deutschlands größte Radiovermarkter: „Hörfunk weiter auf Erfolgskurs“. Nimmt man die Werbeumsätze, haben sie auch allen Grund dazu: So hält der Schwung des Boom-Jahres 2005an (siehe Kasten) – allein im ersten Quartal verzeichneten die deutschen Hörfunker 280 Millionen Euro Bruttowerbeeinnahmen. Ein Plus von sechs Prozent bei der ARD-Hörfunkwerbung AS&S stehen aber drei Prozent Minus beim Privatradiovermarkter RMS gegenüber.
Überhaupt verwischen alte „Frontlinien“ im dualen Rundfunkkampf. So kündigte die RMS an, noch im Sommer Vermarktungsverträge mit weiteren Privatsendern abzuschließen, die dann auch die Reihen der 16 RMS-Gesellschafter verstärken sollen. „Wir wollen DER Vermarkter der Privatradios sein“, sagt RMS-Chef Wilfried Sorge mit Blick auf die von der AS&S betreuten Kommerzwellen. Im Gegenzug hat die ARD-Werbung laut ihrem Chef Achim Rohnke ihr „Radiogeschäft verselbständigt, um es für die Beteiligung privater Partner“ zu öffnen. Allerdings schweben ihm nicht eine „komplizierte Konstruktion wie die RMS“ vor, sondern eher „strategische Allianzen mit Besitzergruppen“.
Das zielt offenbar in Richtung RTL Radio Deutschland, der größten privaten Hörfunkkette. Die profiliert allerdings ihre Radiovermarktung zunehmend eigenständiger – bestes Beispiel ist das ambitionierte Sonderwerbepaket Paket Fußball-WM mit 23 lizenzierten Sendern. Der neue Chef Thomas Kapke will dieses „Modell des Konsortiums auf Zeit“ nun auch auf Edutainment-Formate, Gewinnspiel- und interaktive Höreraktionen ausdehnen.
Abgesehen vom Wettlauf um Vermarkter- und Gruppenpartnerschaften ist eine klare Tendenz zu gemeinsamem Handeln der deutschen Radiobranche zu spüren: AS&S und RMS als Träger des Radio Day wollen zusammen mit Reformen des Branchenevents ihre Veranstalterrolle Schritt für Schritt auf die neue Radiozentrale verlagern. Die hat sich mit 89 privaten und öffentlich-rechtlichen Mitgliedern nach nur einem Jahr etabliert und wird „noch im zweiten Halbjahr eine Gattungskampagne starten“, sagt ihr Chef Lutz Kuckuck. Beim Kölner Branchentreff 2006 zeigte die deutsche Radiozentrale erstmals Flagge – mit eigenem Stand und als Organisator des Fachkongresses.
Den prägte neben Fragen der Radiowerbung und Vermarktung ganz klar der Schwerpunkt Digitalisierung mit drei speziellen Veranstaltungen. Eine Online-Umfrage unter Radio-Day-Teilnehmern ergab, dass sie zwar die Radiozukunft klar als digitales Medium sehen, doch ob auch multimedial, das war umstritten. Eine knappe Mehrheit sprach sich gegen „Radio mit Bildern“ aus, ein deutliches Votum gab´s für Interaktion, Downloads und Musik-Zusatzinfos. Dass diese Zukunft schon begonnen hat, zeigte sich bei der Panel-Debatte zu neuen Formen und Übertragungswegen wie Visual Radio. Vorreiter bei der Nokia-HP-Innovation ist der Jugendsender bigFM – synchron zum UKW-Empfang des Programms am Handy gibt’s einen Datenstrom mit Zusatzinfos, Videoclips und Mitmachmöglichkeiten. Kristian Kropp, geschäftsführender Programmdirektor der jungen Süd-Welle, schwört auf diesen Mix genau so wie Olaf Hopp, Chef des Hallenser 89,0 RTL, die neue Mobilfunkapplikation Joca einsetzt.

Digitale Konkurrenz

Ganz eigene Wege geht die WDR Media Group, die zusammen mit Nokia den bekannten RadioDatenService (RDS) als offenen Standard zu RT+ weiterentwickelt hat. Zusatzinformationen zum Programm werden dann nicht nur am Display des Autoradios, sondern auch am Handy-Bildschirm dargestellt. Für die Nutzung des bundesweiten Digital-Hörfunk-Netzes DAB für Multimedia-Radio via DMB sprach sich IMDR-Sprecher Thomas Melzer aus, andere wiederum plädierten für Radio-Beteiligung bei DVB-H. Zugleich demonstrierte Spodradio, wie ab Sommer in modernen UMT-Handys Radiohören, Podcasten und Musikdownloads sinnvoll miteinander verknüpft werden können.
Was sich letztlich durchsetzt, oder ob Hörfunk künftig auf mehreren Kanälen seine Kunden erreicht – darüber herrschte auch in Köln noch große Verunsicherung. Zumindest haben die Privatrundfunkverbände VPRT und APR den Weg in die Radiozukunft lizenzrechtlich geebnet: Pünktlich zum Radio Day vereinbarten sie mit der Verwertungsgesellschaft GEMA einen neuen Gesamtvertrag, der die Musiknutzung durch die Privatradios vertriebswegeneutral gestaltet.

Weitere aktuelle Beiträge

Digitalabgabe könnte Schieflage ausgleichen

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) begrüßt die vom Staatsminister Wolfram Weimer geäußerten Pläne für eine Digitalabgabe, die Big-Tech-Unternehmen mit digitalen Plattformdiensten in Deutschland zu entrichten hätten. Wie unter anderem der Spiegel berichtet, überlegt die Bundesregierung, eine Digitalabgabe einzuführen. Diese könnte Unternehmen wie Google und Meta dazu verpflichten, einen festen Prozentsatz ihrer Werbeeinnahmen abzuführen.
mehr »

Gleichstellungsbeauftragte im ÖRR stärken

Das Bekenntnis zur Gleichstellung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zeigt sich unter anderem im Vorhandensein von Gleichstellungsbeauftragten. Grundlage ist die jeweils entsprechende gesetzliche Regelung der Bundesländer, in denen die Sender angesiedelt sind. Gleichstellungsbeauftragte sollen nach dem Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG), die Beschäftigten vor Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechtes zu schützen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz durchzusetzen.
mehr »

Die ganz große Verweigerung

Der  öffentlich-rechtliche Rundfunk war schon immer Hassobjekt der Rechten. Auf politischer Ebene wollen sie ihn abschaffen, am Stammtisch wird gegen ARD und ZDF gehetzt. In Sozialen Medien oder in Chatgruppen geht es richtig zur Sache. Dort treffen sich sogenannte Rundfunkverweigerer. Ralf Hohlfeld und Vivian Stamer beschäftigen sich an der Uni Passau mit den Bereichen Journalistik und Strategische Kommunikation. Für ihre Studie haben sich die beiden auf die Suche nach sogenannten Rundfunkverweigerern gemacht.
mehr »

Eine Medienplattform für Europa

Für ARD und ZDF war es eine richtungsweisende Entscheidung, als sie vor einem Jahr mitteilten, ihre Mediathek-Software gemeinsam entwickeln zu wollen. Mit im Boot ist inzwischen auch das Deutschlandradio. Unter dem Projektnamen „Streaming OS“ laufen die Arbeiten. OS steht für „Operating System“, aber auch für „Open Source“. Die öffentlich-rechtlichen Sender wollen wichtige technische Bausteine für ihre Streaming-Aktivitäten auch anderen Anbietern und Organisationen frei zugänglich machen. Eine europäische Ausrichtung haben sie ebenso im Blick.
mehr »