Er ist einer der dienstältesten Sportjournalisten dieses Landes. Der ehemalige Judoka Dieter Gruschwitz startete seine journalistische Karriere 1979 beim Sender Freies Berlin, leitete dort ab 1992 den TV-Sport. 1996 wechselte er zum ZDF, wo er ab 2005 Leiter der Hauptredaktion Sport wurde. Anfang 2017 wird er in den Ruhestand treten. Als ZDF-Sportchef hat er jahrelang Olympische Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften begleitet. M Online sprach mit ihm auf der medienpolitischen Tagung „Rundfunk im Abseits?“ von ver.di und DGB am 25. Oktober in München über die Perspektive sportlicher Großevents im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
M | Im vergangenen Jahr hatten ARD und ZDF das Nachsehen beim Poker um die Olympiarechte für 2018 – 2024? Wie ist der Stand der Verhandlungen mit dem Rechteinhaber Discovery?
Dieter Gruschwitz |Es ist sehr schwierig. Es zeichnet sich momentan keine Einigung ab.
Falls die Verhandlungen scheitern sollten, wird die Discovery-Tochter Eurosport die Spiele übertragen. Können die das überhaupt leisten?
Zu dem, was Eurosport anbieten wird, möchte ich mich nicht äußern. Aber Eurosport erreicht in Deutschland längst nicht so viele Zuschauer wie ARD und ZDF mit ihrem normalen Programm oder auch – Beispiel Rio – mit ihren Olympia-Angeboten. Eurosport liegt bei 0.8 Prozent Marktanteil im Jahr. Da haben ARD und ZDF doch etwas mehr zu bieten. Bei den von ARD und ZDF übertragenen Spielen in Rio lagen die Zuschauer-Marktanteile bei rund 20 Prozent. Unsere Befürchtung ist, dass Olympia künftig hierzulande nicht mehr die Aufmerksamkeit erreichen wird, wie es in den letzten 60 Jahren der Fall gewesen ist.
Wenn ARD und ZDF bei attraktiven Sportrechten nicht zum Zuge kommen wie im Fall von Olympia und gelegentlich beim Fußball, hagelt es oft hämische Reaktionen. Wie bewerten Sie das?
Wir werden immer ermahnt, nicht Unsummen für Sportrechte auszugeben und marktwirtschaftlich zu agieren. Das haben wir getan – bei Olympia, aber auch bei den Qualifikationsspielen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft für die bevorstehende Weltmeisterschaft in Russland. Häme und Fingerzeige sind da nicht angesagt.
Die Preise für Fußballrechte sind zuletzt stark angestiegen. Besteht nicht die Gefahr bei gedeckelten Etats, dass sich eine gewisse Fußball-Monokultur dadurch weiter ausdehnt?
Natürlich ist diese Gefahr da. Die Rechtekosten im Fußball werden auch weiterhin steigen. Allerdings glaube ich, dass irgendwann einfach mal eine Grenze erreicht ist, zumindest was den deutschen Markt betrifft. Das hat auch etwas zu tun mit der Wettbewerbssituation. In Deutschland gibt es im Pay-Bereich bisher nicht diese Konkurrenz wie beispielsweise in England. Im ZDF haben wir bisher bei anderen Sportarten nicht eingespart. Wir haben etwas umgeschichtet und natürlich priorisiert. Aber es ist keine andere Sportart deswegen runtergefallen. Wir berichten weiterhin über Leichtathletik, Schwimmen, die ganze Wintersportpalette und andere Sportarten. Und wir überlegen gerade gemeinsam mit der ARD, ob wir uns vielleicht im Beachvolleyball nach dem Goldgewinn des deutschen Damenduos Ludwig/Walkenhorst stärker engagieren wollen.
Unlängst gab es einige Aufregung um mutmaßlich überhöhte, intransparente Experten-Honorare bei ARD und ZDF. Wie bemisst man ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis bei Experten?
Da sind Zahlen in den Raum geworfen worden, die wirklich jeglicher Grundlage entbehren. Ein Experte wie Oliver Kahn – sein Name fiel ja in diesem Zusammenhang – hat seinen programmlichen Wert. Solche Experten stehen auch für ein Profil, für das Image einer Übertragung. Wir finden, dass Oliver Kahn das herausragend gemacht hat, gerade bei der EM in diesem Jahr, das ist bei ihm eine ständige Entwicklung gewesen. Und was die Transparenz betrifft: Die findet über die Gremien statt. Die Aufsichtsgremien des ZDF sind informiert über die Zahlungen, die da geleistet werden, und damit ist im klassischen Sinn auch Öffentlichkeit hergestellt.
Die Sportredaktionen stehen vor dem Dilemma, einerseits ein tolles Sportevent „verkaufen“ zu wollen, andererseits auch über negative Aspekte wie etwa Doping berichten zu müssen. Schaffen sie es, diesen Konflikt zufriedenstellend zu lösen?
So ganz zufriedenstellend bestimmt nicht. Ich glaube, dass man noch mehr investieren, programmlich einbringen kann in die Berichterstattung über – ich nenn’s mal die Schattenseiten des Sports. Ob das jetzt Doping ist, ob das Korruption bei den großen Institutionen ist, usw. Wir bemühen uns darum, auch diese wichtigen Themen aufzugreifen, sie umfassend abzuhandeln in verschiedenen Sendeformaten, in Dokumentationen, in den Seriensendungen wie der Sportreportage oder im Aktuellen Sportstudio. Der Zuschauer will das Live-Erlebnis Sport haben, er will den Spitzensport erleben. Aber wir haben eine journalistische Pflicht, auch die Schattenseiten darzustellen.
Die kommende Handball-WM 2017 in Frankreich wird wohl nicht im Free-TV zu sehen sein. Müssen wir uns damit abfinden, dass sowas künftig aufgrund rein kommerzieller Erwägungen zunehmen wird?
Ja, das befürchte ich. Wenn die ganz großen Medienkonzerne mal richtig zugreifen, dann wird sich der Sportrechtemarkt national und international noch sehr verändern. Die Handball-WM ist ein Beispiel dafür. Hier geht es ja nicht darum, dass man sich finanziell nicht einigt, so weit ist man noch gar nicht. Es geht dabei hauptsächlich um die Ausstrahlungswege – inwieweit nach den Vorstellungen des Rechteinhabers Satelliten in Deutschland abgeschaltet werden sollen, um damit den so genannten Overspill zu verhindern. Das ist aber technisch einfach nicht möglich, weil dann viele Millionen Haushalte ausgeschlossen wären von einer Handball-Übertragung über den Satelliten Astra beispielsweise in Deutschland.
Wenn global player wie Google, Amazon, Discovery bis hin zur Deutschen Telekom künftig verstärkt auf den Sportrechtemarkt drängen – was bleibt dann noch für ARD und ZDF?
Ich glaube, dass ARD und ZDF nach wie vor über eine große Kompetenz im Bereich des Sports verfügen. Dass wir attraktive Inhalte von großer Qualität und vor allen Dingen auch die Verbreitung anbieten können. Nehmen wir zum Beispiel die Bundesligen im Handball, Eishockey oder Volleyball – da gibt es einerseits Verträge mit privaten Online-Anbietern, mit Plattformen, was die Live-Berichterstattung betrifft und es gibt das Ziel, eine möglichst große Verbreitung zu erreichen. Die bekommt man dann eben bei ARD und ZDF, die in zusammenfassender Form über die Bundesliga-Spieltage berichten. Diese Mischform ist für uns in Ordnung, damit können wir auch zunächst gut leben. Und solange dies noch möglich ist, bin ich nicht gar so ganz pessimistisch.