Schluß mit dem „Teppichhandel“ beim Finanzausgleich

Interview mit Prof. Dieter Dörr zu seinem Rechtsgutachten über Gebührenverteilungsgerechtigkeit in der ARD

Herr Prof. Dörr, in Ihrem Gutachten empfehlen Sie dem SFB eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht. Warum haben Sie sich gerade für diesen Weg entschieden?

Dörr: Eine Normenkontrollklage oder – sagen wir es besser – ein Normenkontrollverfahren beim BVG anzustrengen, sehe ich als einzige weiterführende Maßnahme, um zu einem gerechten Gebührenverfahren innerhalb der ARD zu kommen. Ein solches Verfahren kann allerdings nicht der SFB selbst beantragen, dies können nur Landesregierungen, und damit kann es auch der Berliner Senat.

Theoretisch könnte man noch daran denken, Verfassungsbeschwerde zu erheben, aber diese ist an sehr klare Fristen gebunden. Eine Verfassungsbeschwerde gegen eine gesetzliche Bestimmung kann nur bis ein Jahr nach ihrem Inkrafttreten erhoben werden. Die Verteilungsregelungen zur Rundfunkgebühr gibt es aber schon viel länger, so daß eine Verfassungsbeschwerde wegen Ablauf der Jahresfrist nicht mehr in Betracht kommt. Einen Normenkontrollantrag kann man aber gegen eine Norm solange stellen, wie diese in Kraft ist. Eine Landesregierung kann also, unabhängig davon, daß es diese Verteilungsregelungen im Rundfunkgebührenstaatsvertrag schon länger gibt, diese Normen mit einer Normenkontrolle überprüfen lassen.

Was konkret kann der Berliner Senat zugunsten des SFB mit diesem Verfahren einklagen?

Dörr: Das BVG wird überprüfen, ob die Regelungen, die die Verteilung der Gebühren betreffen, mit der Verfassung vereinbar sind. Es wird dann im Rahmen dieses Verfahrens die Überlegung anzustellen haben, ob die derzeitige Gebührenverteilungspraxis wirklich zu einer funktionsgerechten Finanzierung aller Landesrundfunkanstalten führt.

Es kann in seiner Entscheidung schließlich feststellen, daß das bisherige Gebührenverteilungsverfahren mit der Verfassung unvereinbar ist, und es kann und wird auch Vorgaben machen und Vorstellungen entwickeln, wie ein Verteilungsverfahren, das der Verfassung in vollem Umfang entspricht, in den Grundzügen auszusehen hat. Genau diesen Weg ist das BVG ja im Gebührenurteil auch gegangen. Es hat festgestellt, daß die alte Gebührenfestsetzung verfassungswidrig war und es hat in den Grundzügen vorgegeben, wie ein verfassungsmäßiges Gebührenfestsetzungsverfahren auszusehen hat. Wenn nun eine solche Vorgabe erfolgt, dann muß der Gesetzgeber in einer vom Verfassungsgericht vorgegebenen Frist dieses neue Verfahren umsetzen, also einführen.

Inwiefern ist das derzeitige Gebührenverteilungsverfahren Ihrer Auffassung nach nicht verfassungskonform?

Dörr: Die verfassungsrechtlich gewährleistete Rundfunkfreiheit, – und dies ist nach der Rechtsprechung des BVG völlig unbestritten – , gibt jeder öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, also den Landesrundfunkanstalten, dem ZDF, dem Deutschlandradio einen Anspruch darauf, daß sie funktionsgerecht finanziell ausgestattet werden. Dies ist nicht nur eine objektive Pflicht der Länder, sondern die Landesrundfunkanstalten haben einen einklagbaren Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung. Dies gilt, solange die jeweilige Landesrundfunkanstalt besteht. Zwar haben es die Länder in der Hand, Mehrländeranstalten zu schaffen, aber solange solche Landesrundfunkanstalten bestehen, haben sie einen Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung. Wenn der SFB also weniger Gebührenmittel erhält, als ihm nach seinen Funktionen und seinem Bedarf, wie er in den KEF-Berichten überprüft wurde, zukommt, dann ist das eine Verletzung des Finanzierungsanspruchs, der aus Art. 5 GG – also der Rundfunkfreiheit – abzuleiten ist.

Und der SFB ist derzeit nicht funktions- und bedarfsgerecht finanziell ausgestattet?

Dörr: Es ist jetzt schon so, daß der SFB in besonderer Weise von der Ungerechtigkeit der Gebührenverteilung betroffen ist. Selbst mit Finanzausgleichszahlungen erhält er sehr viel weniger Geld, als es seinem Finanzbedarf entspricht.

Aus den Zahlenwerken der KEF, die den Finanzbedarf von ARD und ZDF feststellt, läßt sich ziemlich genau nachrechnen, wieviel Finanzbedarf sie für die jeweiligen Landesrundfunkanstalten zugrunde legt und anerkennt. Der SFB erhält, wie diese Daten belegen, einen Betrag von ca. 340 Millionen DM in der Gebührenperiode weniger, als es seinem anerkannten Finanzbedarf entspricht. Und dieser Betrag von ca. 340 Millionen DM ist in der Gebühr, die jeder Hörer oder Seher bezahlt, mit enthalten.

Der Finanzausgleich innerhalb der ARD kann solche Ungerechtigkeiten ein Stück abmildern. Er kann dies aber eben nur abmildern, er kann es keineswegs ausgleichen. Insoweit ist auch der Begriff „Finanzausgleich“ verfehlt, er erweckt eine falsche Erwartung.

Könnte der jetzt diskutierte Strukturfonds anstelle des Finanzausgleichs eine Lösung bringen?

Dörr: Im Strukturfonds sehe ich eigentlich keinen größeren Unterschied zum Finanzausgleich. Er führt allerdings – so wie jetzt geplant – eher zu einer Absenkung der Mittel. Damit würden das Ungleichgewicht und die Ungerechtigkeit der jetzigen Gebührenverteilung noch verstärkt. Der Strukturfonds ist keine weiterführende Lösung, schon gar nicht für den SFB, der ja bei diesen Zahlungen überhaupt nicht mehr bedacht werden soll.

Dies ist für den SFB besonders einschneidend, weil inzwischen, dadurch, daß Berlin Hauptstadt und Regierungssitz geworden ist, seine Aufgaben umfassender geworden sind. Er muß nun in seinen Programmen auch der gewachsenen Bedeutung des Landes und der Region Berlin gerecht werden. Er ist also in besonderer Weise darauf angewiesen, daß die Gebühren so verteilt werden, daß gerechte Ergebnisse erzielt werden.

Wäre – in Abkehr von der bundesweit einheitlichen Rundfunkgebühr – eine höhere Berliner Rundfunkgebühr ein alternativer Weg zum Erhalt des SFB?

Dörr: Insbesondere vom Land Baden-Württemberg wird eingewandt, man könne eine funktionsgerechte Finanzierung aller Rundfunkanstalten auch durch eine gespaltene Gebühr erreichen. Ich halte den Weg einer gespaltenen Gebühr nicht für gangbar und ich bin auch ganz sicher, daß das Verfassungsgericht diesen Weg nicht akzeptieren würde.

Das BVG hat ja nicht ohne Grund immer betont, daß die Gebühr keine Leistung ist, die der Hörer und Seher für seine jeweilige Landesrundfunkanstalt erbringt, sondern eine Leistung für die Gesamtveranstaltung öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Deutschland ist. Die Gebühr ist ausgerichtet auf das Gesamtangbot, zu dem alle Bürgerinnen und Bürger zu gleichen Bedingungen Zugang haben müssen. Dies ist kein theoretisches Modell, sondern ganz praktisch zu verstehen: Auch in Bayern kann man Angebote des SFB sehen und hören, genau wie umgekehrt die Berliner bayerische Angebote sehen und hören können.

Die Einheitsgebühr ist aber auch wegen der Rundfunkfreiheit und des Gleichheitssatzes verfassungsrechtlich vorgegeben. Auch das Gebührenurteil des BVG geht ganz eindeutig von der Einheitsgebühr aus. Dort wird sogar formuliert, man müsse Vorkehrungen dafür treffen, daß nicht ein Land berechtigte Gebührenerhöhungen verhindern könne.

Jetzt sind allerdings Bedenken geäußert worden, auch die von Ihnen vorgeschlagene Vorgehensweise könnte die Einheitsgebühr gefährden.

Dörr: Ich vermag diesen Vorwurf, mein Vorschlag, die Gebühr gerecht, d.h. nach dem jeweiligen Bedarf zu verteilen, gefährde die Einheitsgebühr, überhaupt nicht zu verstehen. Es kann doch nicht sein, daß der Bürger für einen festgestellten Finanzbedarf des SFB zur Kasse gebeten wird, der dann in der Rundfunkgebühr enthalten ist, das Geld aber nicht der SFB, sondern der WDR, der BR oder welcher Sender auch immer bekommt! Ganz im Gegenteil wird ein Schuh daraus. Mein Modell soll doch bewirken, daß jeder Sender soviel Geld erhält, wie er zur Erfüllung seiner Aufgaben tatsächlich benötigt. Ein System, bei dem einzelne Sender mehr Geld erhalten, als sie nach überprüftem Finanzbedarf wirklich benötigen, und bei dem sie dieses Mehrgeld nur deshalb bekommen, weil Sender diesen in der Gebühr enthaltenen Finanzbedarf angemeldet haben, kann doch nicht richtig sein.

Es wird auch der Einwand erhoben, durch die von Ihnen anvisierte Lösung könne die Landespolitik mehr Einfluß auf die Rundfunkanstalten gewinnen.

Dörr: Meine Lösung stärkt ein Stück mehr die KEF, das räume ich gerne ein, weil sie dann nicht nur – wie bisher – den Gesamtbedarf der ARD ausweisen muß, sondern diesen Gesamtbedarf auch auf die Einzelbedarfe der Landesrundfunkanstalten herunter rechnen muß. Die KEF müßte die einzelnen Gebührenanteile jeweils ausweisen, so wie sie es jetzt schon macht im Verhältnis ARD/ZDF. Die Länder würden hier aber weder geschwächt noch gestärkt.

Warum kommt der Vorstoß des SFB erst jetzt?

DÖRR: Wenn man die Frage beurteilt, ob man schon früher den Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung deutlich hätte formulieren müssen, ist zunächst einmal festzustellen, daß sie sich so erst seit dem Gebührenurteil des BVG stellt. Durch dieses Urteil wurde ja die gesamte Gebührenfestsetzung verändert, aber dieser Schritt zur funktionsgerechten Gebührenverteilung innerhalb der ARD nicht entsprechend umgesetzt. Da ist man beim alten Modell geblieben, das ist der Systembruch! Erst ab da konnte man die Frage nach der Gerechtigkeit der Gebührenverteilung stellen.

Der neue Intendant des SFB, Schättle, hat zusammen mit seinem Direktorium und auch mit aktiver Unterstützung durch die Personalvertretung diese Problematik sofort thematisiert. Aber er hat natürlich auch erst einmal Überlegungen anstellen müssen, wie man den Anspruch, zu einer funktionsgerechten Verteilung zu kommen, realisieren kann. Es war vor allem ausgesprochen unklar, ob es überhaupt einen juristischen Weg gibt, diesen Anspruch durchzusetzen.

Und den Weg der Normenkontrolle, das können wir mit ein bißchen Stolz für uns in Anspruch nehmen, haben erst mein Mitarbeiter, Herr Dr. Charisse, und ich als eine Möglichkeit entwickelt. Er wurde vorher nicht diskutiert.

Wie lange wird es bis zur BVG-Entscheidung dauern? Kann es für einen funktionsgerechten Betrieb des SFB dann nicht schon zu spät sein?

Dörr: Man muß sich schon auf einige Jahre Verfahrenszeit einstellen. Was dies für die funktionsgerechte Aufrechterhaltung des Anstaltsbetriebs beim SFB bedeutet, läßt sich nicht ganz leicht voraussagen. Aber: Der SFB hat ja im Moment nichts zu verlieren! Er soll ja gar keine Ausgleichszahlungen mehr erhalten! Schlechter als die Situation derzeit ist, kann sie durch die Normenkontrollklage nicht werden. Der SFB müßte, solange bis die Entscheidung ergeht, mit dem auskommen, was er im Moment hat.

Was erwarten Sie von diesem BVG-Urteil für positive Signale für die Rundfunkordnung der BRD?

Dörr: Ich erwarte mir überaus positive Signale für den Rundfunkföderalismus. Ich erwarte mir eine Stärkung der Vielfalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insgesamt und eben eine gerechte Gebührenverteilung. Jede Anstalt erhält dann das, was sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben nach der Überprüfung durch die KEF wirklich benötigt, und das wäre ja ein überaus gerechtes und befriedendes Urteil, wenn es denn so kommen würde. Auch wäre die unselige Diskussion um den Finanzausgleich ein für allemal zu Ende, weil bestätigt würde, daß das Finanzausgleichssystem kein sachgerechtes System ist. Der Finanzausgleich ist ausschließlich ein Kompromiß, ein pragmatischer politischer Kompromiß – man kann auch unfein sagen, eine Art Teppichhandel – zwischen den Ländern zunächst bei den Grundlagen und dann zwischen den Landesrundfunkanstalten bei der Einzelausgestaltung. Das System wäre endgültig befriedet, genau wie das Gebührenurteil dazu geführt hat, daß die Geführenfestsetzung in Zukunft auch kein großer politischer Streit mehr sein wird. Da bin ich ganz sicher.

  • Das Gespräch mit Prof. Dörr führten Christina Oberst-Hundt und Walter Oberst.

 

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