Schwere Geburt

Tarifvertrag über die Altersversorgung nach 30 Monaten Verhandlungen abgeschlossen

Für den Sekt waren die Protagonisten zu müde. Aber die Erleichterung war auf beiden Seiten zu spüren, als am 8. Mai 2003 morgens um zwei Uhr die Abmachungen zur Altersversorgung durch die Vertreter von ARD und ZDF, ver.di sowie dem DJV paraphiert wurden.

Damit steuert eine Auseinandersetzung auf ihren (vorläufigen) Schlusspunkt zu, die Beschäftigte, Personalräte, Gewerkschaften und Arbeitgeber über 30 Monate in Atem gehalten hatte. Freilich ist die Materie „Altersversorgung“ derart kompliziert, dass das Thema schnell als „völlig unvermittelbar“ in die zuständigen Expertenkreise abgeschoben wurde. Den anderen blieb nur die – sicherlich nicht völlig unberechtigte – Furcht vor tiefen Einschnitten in die erworbenen Altersversorgungsansprüche.

Diese tiefen Einschnitte konnten – für diesmal – abgewehrt werden. Die „alten“ Altersversorgungssysteme bleiben als „Gesamtversorgung“ erhalten und damit bleibt es auch bei der grundsätzlichen Verpflichtung der Rundfunkanstalten zum Auffüllen zukünftiger Rentenlücken. Auch die Erhöhung der Anstaltsversorgung durch die Steuerreform 2001 mussten die Anstalten schlucken. Lediglich die „Riester-Lücke“ (siehe Kasten) geht zu Lasten der Alt-Versorgten. Neben dem unermüdlichen Fleiß und dem Einsatz der Verhandlungskommission ist dies der Kampfbereitschaft der Beschäftigten zu verdanken, die Anfang 2001 im Zusammenhang mit den Angriffen auf die Altersversorgung zum ersten Mal mit bundesweiten Streikaktionen antworteteten.

Berufsunfähigkeit und Erwerbsminderung

Im Gegenzug zur Einführung des sogenannten „Riester-Korrekturfaktors“, durch den die Gesamtversorgungsansprüche bis zum Jahre 2030 etwa 4 % geringer ausfallen werden, als nach altem Rechtsstand, konnten die Gewerkschaften strukturelle Verbesserungen für die neuen, bei ARD und ZDF weitgehend einheitlichen Versorgungswerke (VTV bzw. VTVneu) erreichen. Dabei ging es besonders um die Regelungen bei Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung. Außerdem wurde ein Vertrag über die Höherversicherung durch Gehaltsverzicht geschlossen, nach dem die Anstalten ersparte Sozialversicherungsbeiträge an die Beschäftigten weitergeben.

Als Erfolg wertet die Verhandlungskommission vor allem, dass es möglich war, einen einheitlichen Tarifvertrag für alle Anstalten einschließlich des ZDF zu schließen. Hierdurch wird die Spaltung in „kleine“ und „große“ bzw. „reiche“ und „arme“ Anstalten vermieden. Der MDR wird die strukturellen Veränderungen am VTV übernehmen. Damit ist eine weitere Spaltung zwischen „alten“ und „neuen“ Anstalten vermieden worden.

Lediglich der Hessische Rundfunk hat sich aus der gemeinsamen Anstrengung ausgeschlossen, was bei Gewerkschaften, aber auch auf Arbeitgeberseite auf völliges Unverständnis stieß.

Auch die Überführung der bisher als „Dienstvereinbarung“ bei SWR und WDR bestehenden Altersversorgungsregelungen in Tarifverträge wird als Erfolg gewertet. Die Rechtssicherheit vor allem für die Versorgungsempfänger wird hierdurch deutlich verbessert.

Neue Verhandlungen bei politischen Veränderungen

Allerdings bleiben die alten Versorgungssysteme damit weiter den Einflüssen der Sozial- und Steuerpolitik des Staates ausgesetzt. Fast zeitgleich zu dem Frankfurter Abschluss forderte Finanzminister Eichel erneut deutliche Einschnitte bei der Rente. Das Thema wird, so fürchten beide Seiten, erhalten bleiben. Eine Klausel im neuen Vertrag verpflichtet sie, bei Bedarf Verhandlungen aufzunehmen, macht aber keinerlei Aussagen über die Richtung oder den Umfang von weiteren Veränderungen.

Der morgendliche Abschied der Tarifparteien in Frankfurt fiel deshalb auch verhalten aus. Das resignierende „Auf Wiedersehen“ ließ nichts wirklich Gutes erwarten.


So funktioniert’s

Schon im „Grundsatztarifvertrag“ vom vergangenen Jahr (M berichtete) hatten sich Gewerkschaften und Rundfunkanstalten grundsätzlich darauf geeinigt, die Anstalten von dem „Auffülleffekt“ durch die Riester-Rentenreform zu entlasten.

„Riester-Lücke“: Kern der Riester-Rentenreform ist eine neue Formel zur Berechnung der jährlichen Rentensteigerung (Rentenformel). Diese neue Formel bewirkt, dass die Renten langsamer steigen als die Nettolöhne.

Die Nettolöhne aber sind der Vergleichsmaßstab für die „Gesamtversorgung“: Die Summe aller Einkünfte des Rentners darf einen bestimmten Prozentsatz des Nettoeinkommens eines vergleichbaren aktiven Beschäftigten („Netto-Vergleichseinkommen“) nicht überschreiten. Diese Obergrenze steigt genauso schnell wie die Nettolöhne.

Weil die Renten deutlich langsamer steigen, entsteht der Auffülleffekt. Das bedeutet, die Rundfunkanstalten müssen die Differenz zwischen Riester-Erhöhung und Netto-Erhöhung drauflegen. Dieser Auffülleffekt ist umso größer, je höher der Anteil der gesetzlichen Rente an den Gesamteinkünften des einzelnen Rentners ist. Müsste jeder seine individuelle „Riester-Lücke“ selbst tragen, wären Beschäftigte der unteren Vergütungsgruppen (die in der Regel viel Rente von der BfA und relativ wenig von der Rundfunkanstalt bekommen) deutlich stärker betroffen, als die Bezieher höherer Einkommen.

Deshalb haben die Gewerkschaften und besonders ver.di einen Lastenausgleich gefordert. Durch diesen Ausgleich wird der Auffülleffekt bezogen auf alle Betroffenen vermieden. Bei diesem Verfahren wird zunächst wie bisher die Anstaltsrente berechnet, also die Riester-Lücke aufgefüllt. Im zweiten Schritt wird aber für alle Betroffenen mit dem gleichen Prozentsatz die sogenannte „Gesamtversorgungsobergrenze“ abgesenkt – so dass im Schnitt der Auffülleffekt wieder rückgängig gemacht wird. Der Lastenausgleich belastet Versorgungsempfänger mit relativ hohen gesetzlichen Renten weniger und solche mit hohen Anstaltsrenten etwas mehr als die individuelle Riester-Lücke. Realisiert wird dies durch den Riester-Korrekturfaktor, der mit jedem Jahr etwas mehr senkend auf die Gesamtversorgungsobergrenze wirkt.

Das wurde vereinbart

Gesamtversorgungssysteme:

  • Riesterkorrekturfaktor wird auf alle Versorgungsleistungen angewandt, bei denen die gesetzliche Rente in die Berechnung eingeht. Nicht betroffen sind die Bezieher der (Anstalts-)Mindestrenten sowie diejenigen, deren Versorgungsleistung durch die Brutto-Obergrenzen der Versorgungsordnungen begrenzt wird.
  • Gleichstellung von Teilerwerbsminderungsrenten mit der Berufsunfähigkeitsrente

VTV (neue Versorgungstarifverträge)

  • Anhebung der Zurechnungszeiten von 57 auf 60 Jahre
  • Unbegrenzte Anrechnung von Krankheitszeiten
  • Änderung der Regelungen bei Erwerbsminderung
  • Bei Teilerwerbsminderung besteht Wahlmöglichkeit
  • Halbe Rente und Weiterbeschäftigungsanspruch oder
  • volle Rente und Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Höherversorgung

  • Erhöhung der Beitragszahlung durch die von den Anstalten eingesparten Sozialversicherungsbeiträge
  • Möglichkeit zu einer Kombination von Berufsunfähigkeitsschutz und Altersversorgung über einen Kollektivvertrag wie beim SWR

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Initiative: KI besser nutzbar machen

Der Dominanz der globalen Big-Tech-Konzerne etwas entgegensetzen – das ist das Ziel einer Initiative, bei der hierzulande zum ersten Mal öffentlich-rechtliche und private Medienanbieter zusammenarbeiten. Sie wollen mit weiteren Partnern, vor allem aus dem Forschungsbereich, ein dezentrales, KI-integriertes Datenökosystem entwickeln. Dadurch soll die digitale Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Medienstandorts gestärkt werden.
mehr »

Anteil von Frauen in Führung sinkt

Nach Jahren positiver Entwicklung sinkt der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Journalismus das zweite Jahr in Folge. Der Verein Pro Quote hat eine neue Studie erstellt. Besonders abgeschlagen sind demnach Regionalzeitungen und Onlinemedien, mit Anteilen von knapp 20 Prozent und darunter. Aber auch im öffentlichen Rundfunk sind zum Teil unter ein Drittel des Spitzenpersonals weiblich.
mehr »

Unsicherheit in der Medienlandschaft

Künstliche Intelligenz (KI) und ihre Auswirkungen auf die Medienbranche wurden auch bei des diesjährigen Münchner Medientagen intensiv diskutiert. Besonders groß sind die Herausforderungen für Online-Redaktionen. Im Zentrum der Veranstaltung  mit 5000 Besucher*innen, mehr als 350 Referent*innen aus Medienwirtschaft und -politik, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft, stand allerdings die Frage, wie Tech-Konzerne reguliert werden sollten.
mehr »

Für faire Arbeit bei Filmfestivals

„Wir müssen uns noch besser vernetzen und voneinander lernen!“, war die einhellige Meinung bei der Veranstaltung der ver.di-AG Festivalarbeit im Rahmen des  Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm. Die AG hatte zu einer Diskussionsrunde mit dem Titel Labour Conditions for Festival Workers: Roundtable & Fair Festival Award Launch eingeladen. Zu Gast waren internationale Teilnehmer*innen. Die Veranstaltung war auch der Startschuss zur ersten Umfragerunde des 4. Fair Festival Awards.
mehr »