Selbstausbeutung am Existenzminimum

Filmzeitschriften jenseits von „Cinema“: Unter dem Radar

Wer sich am Kiosk über aktuelle Filme informieren will, wird jenseits von „Cinema“ und neuerdings auch „kinowelt.de“ selten fündig. Anspruchsvolles Kino, Filmkunst gar werden von beiden Publikationen geflissentlich ignoriert. Derlei ist Minderheitenprogramm; Kiosktitel setzen auf Mehrheiten. Und doch gibt es ihn, den Markt für die gehobene Filmkultur. Er ist klein, überschaubar – und weitgehend unbekannt. Selbst die Kundschaft von Programmkinos kennt oft bloß „epd Film“ (herausgegeben vom Frankfurter Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, GEP) und „film-dienst (Katholisches Institut für Medieninformation, Köln) – beide allerdings auch vorbildlich in Qualität und Anspruch.

Daneben gibt es jedoch noch diverse andere Titel. Im Gegensatz zu den kirchlich subventionierten Zeitschriften aber müssen Blätter wie „Schnitt“, „Nachtblende“ oder „Steadycam“ auf eigenen Füßen stehen; sie finanzieren sich ausschließlich durch Anzeigen und Copypreis. In welchen Größenordnungen sich der ökonomische Kraftakt bewegt, verdeutlichen ein paar Zahlen. Details geben die beiden Kircheneinrichtungen GEP und KIM zwar nicht preis; in der 1997 veröffentlichten GEP-Broschüre „Mandat und Markt“, die sich mit dem publizistischen Gesamtkonzept der Evangelischen Kirche befasst, wird der jährliche Zuschuss für „epd Film“ aber mit 171.000 Mark beziffert. Auch die katholische Kirche übernimmt bei den Publikationen des KIM zwei Drittel der Produktionskosten. Zum Vergleich: Die Druckkosten für ein Heft des „Schnitt“ liegen laut Chefredakteur Nikolaj Nikitin bei 1,80 Mark; bei einer Druckauflage von 12.000 Exemplaren und vier Erscheinungsterminen pro Jahr könnte man den „Schnitt“ allein mit der Subvention für „epd Film“ zwei Jahre lang drucken.

Das scheinbare ökonomische Wunder lässt sich leicht erklären: Die „Schnitt“-Mitarbeiter unterwerfen sich konsequent dem Diktat der Selbstausbeutung. Die Redakteure arbeiten ohne Gehalt, die Kritiker ohne Honorar; die Selbstverwirklichung ist ihnen Lohn genug. Dass sich mancher Beitrag dann auch entsprechend liest – mitunter erfährt man über den Autor mehr als über den besprochenen Film -, nehmen die Leser hin; gerade dies macht ja den Charme dieser Zeitschriften aus. Doch auch namhafte Kritiker sind immer wieder vertreten, was die jeweiligen Redaktionen gern als Qualitätsnachweis anführen.

Nur eine Frage kann keiner richtig schlüssig beantworten: warum sämtliche Titel eine Existenz am Minimum fristen. Schließlich boomt das Kino, und die meisten anspruchsvollen Zeitschriften konzentrieren sich keineswegs ausschließlich auf Nischenfilme. „Steadycam“, erinnert sich Chefredakteur Milan Pavlovic, wurde von Kritiker Wolf Donner zu dessen Lebzeiten gar hartnäckig als „Sprachtüte Hollywoods“ gebrandmarkt. Und „epd Film“ wie auch „film-dienst“ widmen ihre Werkschauen durchaus auch amerikanischen Regisseuren oder Schauspielern. Im „film-dienst“ wird grundsätzlich jeder Film mit bundesweitem Kinostart besprochen. Doch die ausführliche Kinoberichterstattung branchenfremder Zeitschriften wie „TV Spielfilm“ oder „TV Today“ deckt offenbar viele Bedürfnisse ab.

Teufelskreis ohne Anzeigen

Natürlich verfügt keine der kleinen Redaktionen über einen Werbeetat, mit dem man gebührend auf sich aufmerksam machen könnte. Doch letztlich scheitert die durchaus mögliche größere Verbreitung an den Anzeigen. Nikitin schildert das Dilemma: „Es ist ein Teufelskreis. Eine höhere Auflage kann man sich erst leisten, wenn man höhere Anzeigeneinnahmen hat; mehr Anzeigen bekommt man nur, wenn man eine höhere Auflage hat.“

Die Entstehungsgeschichte des „Schnitt“ ist typisch für dieses Segment: Eine Handvoll junger Kinoenthusiasten, alle Studenten an der Universität Bochum, ist mit der Kinoberichterstattung von Monatszeitschriften wie Marktführer „Cinema“ (durchschnittliche Auflage 2000: knapp 232.000 Exemplare) unzufrieden und stellt ohne jegliche Unterstützung ein eigenes Projekt auf die Beine. Zunächst mehr schlecht als recht finanziert und kaufmännisch recht laienhaft konzipiert, mausert sich „Schnitt“ zu einem etablierten Titel. Die Anfangsauflage konnte mittlerweile verzehnfacht werden; verkauft werden derzeit 9.000 Exemplare (Einzelpreis: 5 Mark). Nur das Grundübel ist geblieben. „Steadycam“-Chefredakteur Pavlovic spricht für alle, wenn er sagt: „Es ist einfach sehr schwer, Anzeigenkunden außerhalb der Filmbranche zu finden“.

Durchhaltevermögen

„Steadycam“ erscheint 2001 bereits im 20. Jahrgang. Pavlovic, zuletzt Redakteur beim „Kölner Stadtanzeiger“, mittlerweile bei der „Süddeutschen Zeitung“, produziert die Zeitschrift gewissermaßen nach Feierabend und erntet dafür in der Branche einhellige Bewunderung; für Nikitin und seinen „Schnitt“ war Pavlovics „Steadycam“ das Vorbild, dem er nacheifern wollte. Im Gegensatz zum „Schnitt“ leidet „Steadycam“ zudem noch unter Vertriebsproblemen: „Es gibt kaum Vertriebsstellen, die sich rechnen“, beschreibt Pavlovic das Dilemma. Die Zeitschrift in Kommission zum Beispiel an Bahnhofskiosken vertreiben zu lassen „kostet uns mehr, als es einbringt“ – erst recht, wenn der Kiosk auf „Eigenremission“ besteht. Im Klartext heißt das: ab ins Altpapier. Die Druckauflage von „Steadycam“ liegt bei 2.500 bis 3.000 Exemplaren. Die Zeitschrift hat 1.000 Abonnenten, die verkaufte Auflage schwankt zwischen 2.000 und 2.500 Exemplaren, der Einzelpreis beträgt 15 Mark.

Zum Leidwesen der kleinen Verlage legen ausgerechnet die Kinos keinerlei Wert auf Kooperation.

Pavlovic erinnert sich, wie er „verscheucht“ wurde, als er im Kölner Multiplex Cinedom Prospekte auslegen wollte: „Wir fliegen einfach alle unter dem Radar“. Dabei könnten die Kinos die Zeitschriften erfahrungsgemäß gut in Kommission verkaufen und sogar Geld damit verdienen. Doch selbst auf das Angebot, den Kinos bis auf den eigentlichen Verkauf jeden Aufwand abzunehmen, erhielt Pavlovic „null Resonanz“.

Beispiel Schweiz

Exakt in dieser Größenordnung bewegt sich auch die Förderung der unabhängigen Filmzeitschriften durch die öffentliche Hand. In der Schweiz ist das anders. Das ursprünglich als Filmclubzeitschrift gestartete Schweizer „Film Bulletin“ erscheint im eigenen Verlag (Winterthur), die Redaktion besteht aus zwei Mann. Dank der Kooperation mit dem Marburger Schüren Presseverlag konnte das „Film Bulletin“ seine Position in Deutschland stärken; ihr Überleben verdanken Redaktion und Verlag allerdings in erster Linie den regelmäßigen Zuwendungen von Sponsoren sowie der Förderung durch das Bundesamt für Kultur. Die Zeitschrift verspricht im Untertitel „Kino in Augenhöhe“ und richtet sich neben „Cinéphilen und Cin_asten“ (Redakteur Josef Stutzer) nicht zuletzt an eine professionelle Leserschaft. „Film Bulletin“ orientiert sich schon allein wegen der zweimonatlichen Erscheinungsweise nicht an Tagesaktualitäten, greift aber immer wieder aktuelle Themen auf und beschäftigt sich mit einem neuen Film inklusive Interviews und Porträts schon mal auf zehn oder gar zwanzig Seiten. Besonderes Augenmerk widmet „Film Bulletin“ der Optik. Gemeint ist damit nicht nur die Bildsprache des Kinos, sondern auch das Erscheinungsbild der Zeitschrift: Es soll, beschreibt Stutzer die Philosophie, „aus der Kombination von Text und Bild ein Ganzes entstehen, das mehr als die Summe der einzelnen Teile ist“. Ein Merkmal der Zeitschrift ist die so genannte „politique des collaborateurs“: Sie berücksichtigt regelmäßig ausdrücklich Filmkünstler (Cutter, Kameramänner, Komponisten etcetera), die zumeist im Schatten der Regisseure stehen.

Hilfskonstruktion

In Deutschand dagegen scheinen die Redaktionen stolz darauf zu sein, ohne Förderung durch die öffentliche Hand überleben zu können: Alles andere, sagen sie, würde ihre Unabhängigkeit gefährden. Hans Strobel hätte allerdings gegen ein bisschen Unterstützung gar nichts einzuwenden. Doch im Konzept der Bundesfilmförderung ist derlei nicht vorgesehen, und regionale Filmbüros fördern nur projektorientiert, also etwa einzelne Sonderdrucke. Strobel betreibt quasi nebenamtlich das Kinderkino München und gibt seit 1980 viermal pro Jahr die „Kinder Jugend Film Korrespondenz“ heraus. Die „KJK“, einzige deutsche Fachpublikation für den Kinderfilm, erscheint in einer Druckauflage von 1.000 Exemplaren und hat 750 Abonnenten – für einen Spartentitel in einem Nischensegment eine eindrucksvolle Zahl. Die „KJK“ trägt sich selbst. Die Einnahmen aus Abonnements (30 Mark pro Abo) und den wenigen Anzeigen würden die Unkosten kaum decken (Druck- und Herstellungskosten: 6.500 Mark; Honorare: 1.000 bis 1.500 Mark). Jeder „KJK“ ist jedoch eine zehnseitige Informationsbroschüre des Kuratoriums junger deutscher Film beigefügt. Die Redaktion dieser Seiten liegt ebenfalls bei der „KJK“, was dem Kuratorium einen vierstelligen Druckkostenzuschuss wert ist. Für die dreiköpfige Redaktion bleibt trotzdem kaum etwas übrig.

Das gilt auch für die „Nachtblende“ aus Köln. Die anspruchsvolle Filmzeitschrift für den „cinephilen Kinogänger“ erscheint zwei bis drei Mal pro Jahr in einer Druckauflage von 1.000 Exemplaren und ist vor acht Jahren aus der Programmzeitschrift des Kölner Filmclub 813 hervorgegangen. Auch hier decken die wenigen Anzeigeneinnahmen und der Einzelpreis (8 Mark) laut Mitherausgeber Frank Tönsmann „gerade eben“ die Kosten; selbst die Grafikerin arbeitet ehrenamtlich. Im Gegensatz zu „epd Film“ oder „film-dienst“ grenzt „Nachtblende“ allerdings von vornherein große Bereiche einer potenziellen Leserschaft aus. Das breite Themenspektrum bezieht zwar auch das so genannte Mainstream-Kino mit ein, doch das filmtheoretische Niveau ist recht hoch, und aktuelle Filmbesprechungen findet man gar nicht.

Spagat

Auch Nikitin betont zwar, „Schnitt“ versuche den „Spagat zwischen Filmtheorie, Filmhistorie und dem interdisziplinären Ansatz, Film mit anderen Künsten gleichzusetzen“. Trotzdem sind die Beiträge deutlich näher an den Interessen des durchschnittlichen Kinobesuchers als etwa die der „Nachtblende“. Das liegt auch am Stil, den Nikitin als „sehr persönlich, gern auch leicht polemisch“ beschreibt. Er erwartet von seinen Autoren Beiträge, die „lockerer, unterhaltsamer, jünger“ seien als anderswo. „film-dienst“ (verkaufte Auflage: 6.350 Exemplare, Einzelpreis: 7,50 Mark) und „epd Film“ (8.000 Exemplare, 8 Mark) wirken im Vergleich gesetzter, aber auch professioneller. Hier ist die Kombination von filmtheoretischem Diskurs und Mainstream-Kino fast perfekt gelungen. Dank der kirchlichen Zuschüsse kann man es sich auch leisten, auf faule Kompromisse zu verzichten: Beim „Schnitt“, muss Nikitin einräumen, wird das Titelblatt auch schon mal als Anzeigenplatz zur Verfügung gestellt – „aber noch nie für einen Film, mit dem wir inhaltlich nicht einverstanden waren“.

 

Tabelle: Ersch.weise Umfang Preis Kontakt (Tel.)
epd Film: mtl. 56 8,00 069/580980
film-dienst: alle 14 Tage 52 7,50 0221/9254630
Schnitt: 4 x /Jahr 60 5,00 0234/9160865
Steadycam: 4 x /Jahr 100-130 5,00 0221/829013
Nachtblende: 2-3 x/Jahr 58 8,00 0221/553787
Film Bulletin: 6 x / Jahr 48-64 12,00 (0041)
052-2260555
KJK: 4 x /Jahr 60 7,50 089/1491453

 

 

 

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