Die „Tagelöhner“ beim Bayerischen Rundfunk wehren sich
Gagenempfänger des Bayerischen Rundfunks (BR) haben keine längerfristige Lohnfortzahlung und überhaupt keinen Beendigungsschutz – noch nicht einmal Ankündigungsfristen vor einer etwaigen Beendigung. Für die Art und Weise, wie die Geschäftsführung des BR mit dieser Mitarbeitergruppe umgeht, gibt es einen Begriff aus längst überwunden geglaubten Zeiten: Tagelöhnerei. Der Sender gibt diesen Personen jetzt allen Grund, sich einzuklagen.
Für die etwa 3.000 Angestellten des Bayerischen Rundfunks gibt es einen Tarifvertrag mit umfassenden Schutzrechten, die die Geschäftsführung auch nicht in Frage stellt. Für die etwa 1.600 festen freien Mitarbeiter existiert im Rahmen von § 12a Tarifvertragsgesetz einen Tarifvertrag, der wenigstens einige zentrale Schutzregelungen enthält.
Für die etwa 800 Gagenempfänger sieht die Situation völlig anders aus. Auf Gage beschäftigt der BR Bildmischer, Cutter, Disponenten, Grafiker, Kameraleute, Sachbearbeiter und viele andere Gewerke vorwiegend im Produktionsbetrieb. Er definiert sie kurzerhand als freie Mitarbeiter und bezahlt sie auf Tagesbasis. Ihnen gewährt er nur einen kleinen Teil der tariflichen Rechte der Honorarempfänger und verweigert ihnen insbesondere jegliche Planungssicherheit.
In den Anfängen wurden gegen Gage nur Aushilfskräfte auf Produktionsdauer beschäftigt: Einmalig, meist vor Ort und nur für kurze Zeit. Das hat sich aber in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert: Es gibt heute Mitarbeiter, die seit mehr als 20 Jahren regelmäßig, ja täglich beim BR arbeiten, fest eingebunden in Dienstpläne und weisungsgebunden, aber als Freie behandelt werden – als Freie zweiter Klasse.
Nur wenige Gagenempfänger haben in der Vergangenheit ihren arbeitsrechtlichen Status gerichtlich feststellen lassen – meist als Reaktion darauf, dass der BR ihre Beschäftigung reduzieren oder sogar beenden wollte. Es ist kein einziger Fall bekannt, in dem ein Gericht dem BR Recht gegeben hätte und auf einen Status als freier Mitarbeiter erkannte. Allerdings haben auch nicht allzu viele Klagen mit dem Urteil ‘Arbeitnehmer’ geendet, weil in der Vergangenheit die Mehrzahl der Fälle durch einen Vergleich beendet wurde.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte
Unter dem Schlagwort Trimedialität hat BR-Intendant Ulrich Wilhelm eine große Umorganisation eingeläutet, mit der sich die Grenzen zwischen Hörfunk, Fernsehen und Online langfristig auflösen werden, aber auch die zwischen Redaktion und Produktion. Typische Produktionstätigkeiten werden immer häufiger eingespart, also genau jener Bereich, der bisher zu einem großen Teil von Gagenempfängern abgedeckt wird.
Der BR hat das nicht leise und unauffällig eingeleitet, sondern mit einem wahren Paukenschlag: Anfang des Jahres haben alle Gagenempfänger ‘Blaue Briefe’ erhalten, in denen die Geschäftsführung ihnen mitteilt, dass die Anzahl ihrer individuellen Beschäftigungstage in Zukunft begrenzt wird. Da die Auslastung der Gagenempfänger großen zeitlichen Schwankungen unterworfen ist, kommt bereits dies einer deutlichen Kürzung gleich. Das hat jetzt vielen klar gemacht, wie perspektivlos und unsicher ihre Beschäftigung als Gagenempfänger ist – mit der Konsequenz, dass nun vermehrt Statusfeststellungsklagen erhoben werden. Im Moment laufen bereits mehr als 40 solcher Klagen, mindestens 10 weitere liegen vorbereitet in der Schublade und es ist zu erwarten, dass noch viel mehr folgen werden: Die Zahl derer, die um Rechtsberatung und Rechtsschutz nachgesucht haben, aber noch nicht ‘drangekommen’ sind, liegt über 100.
Unglaubwürdige Ausrede
Die Geschäftsführung beteuert, dass der Wildwuchs im Bereich der Gagenbeschäftigung von ihr nicht gewollt stattgefunden habe. Abteilungsleiter hätten Sachmittel unbemerkt dafür missbraucht, denn Gagen fallen bisher nicht unter Personalaufwand, sondern zu den Sachkosten.
Wenn dem so ist, warum greift die Geschäftsführung dann nicht energisch durch und stellt den Missbrauch ab, indem sie die Beschäftigung in diesen Bereichen zukünftig im Stellenplan berücksichtigt, die Gagen zu einem Teil der Personalkosten erklärt und den Gagenempfängern endlich ihre Rechte als Arbeitnehmer gewährt? Die Geschäftsführung des BR macht vielmehr genau das Gegenteil: Sie hält an ihrer Behauptung fest, die Gagenempfänger seien freie Mitarbeiter, obwohl es bereits einschlägige höchstrichterliche Urteile gibt, die dem widersprechen. Zwar leugnet sie nicht die Existenz dieser Grundsatzurteile, beharrt aber darauf, dass nur jemand eine Festanstellung bekommt, wer eine Statusfeststellungsklage letztinstanzlich gewonnen hat.
Alternativlos
ver.di hat dem BR vor über drei Jahren eine Tarifregelung zur Überführung der Gagenbeschäftigung in Anstellungsverhältnisse vorgeschlagen. In den Verhandlungen ist die Gewerkschaft dem Sender dann materiell erheblich entgegengekommen. Der BR bestand jedoch bis zuletzt auf der Tarifierung von freier Mitarbeit – wohlwissend, dass es sich bei diesem Personenkreis weit überwiegend um Arbeitnehmer handelt.
„Das war und ist mit uns nicht zu machen“, so Werner Przemeck, Vorsitzender des ver.di-Verbands öffentlich rechtlicher Rundfunk Bayern. „Jetzt bleibt jeder betroffenen Person nur der Weg einer individuellen Klage, um sich im allgemeinen Sparwahn des BR endlich ein Mindestmaß an ihr zustehender arbeitsrechtlicher Sicherheit zu holen. Wir unterstützen unsere Mitglieder bei diesem Weg und bedauern es, dass der BR Geld aus Rundfunkbeiträgen lieber für arbeitsrechtliche Prozesse ausgibt, als aus seinem Fehlverhalten der letzten Jahre die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und diese Beschäftigten endlich rechtskonform anzustellen. Ein deutliches Signal an die BR-Beschäftigten, Politik und KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, Red.) ist gefragt. Doch der BR zaudert. Dabei verspielt er hier neben Geld auch sehr viel Loyalität und Motivation langjähiger Beschäftigter.“