Staatsferne?

Kaum hatte schwarz-gelb eine Mehrheit im Bundestag errungen, wähnten einige Medienstrategen der neuen Koalition die Zeit reif für eine Attacke gegen den gar erschröcklichen Einfluss der SPD in den Medien. Der Angriff galt den Zeitungsbeteiligungen der SPD-eigenen Holding DDVG, mit denen die gebeutelten Sozialdemokraten ihre durch Wähler- und Mitgliederverluste abgestürzten Parteifinanzen noch notdürftig aufbessern können. Ein leicht durchschaubares Manöver, vermutlich aus Futterneid geboren. Dabei gäbe es durchaus geeignetere Kampffelder, auf denen dringender medienpolitischer Handlungsbedarf besteht.

Beim ZDF spitzt sich in diesen Tagen der Konflikt um die Vertragsverlängerung von Chefredakteur Nikolaus Brender zu. Eine Phalanx von amtierenden und ehemaligen CDU-Landesfürsten, angeführt von Hessens Ministerpräsident Roland Koch, scheint wild entschlossen, eine Weiterarbeit von Brender zu verhindern. Die angebliche Sorge des CDU-Rechtsauslegers um sinkende Einschaltquoten für das ZDF-Informationsangebot in der Ära Brender sei „scheinheilig, vordergründig und gegen Brender gezielt diffamierend“, findet Reinhard Appel, selbst zwischen 1976 und 1988 ZDF-Chefredakteur. Dass sich Parteipolitiker dennoch derart direkt und unverschämt ins Zeug legen, um diese Drohkulisse gegen Brender aufzubauen, in der durchsichtigen Absicht, einen ihnen genehmeren Kandidaten auf den Chefsessel zu hieven, ist ein Skandal. Der Vorgang belegt zudem, wie wenig Respekt selbst hochrangige Politiker vor einem der höchsten Güter haben, das im Kontext eines demokratischen Mediensystems der Bundesrepublik existiert: die verfassungsrechtlich gebotene Staatsferne des Rundfunks.

Gravierende Konsequenzen

Selbst ein übertriebener Sympathien für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten unverdächtiger Mann wie Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner ist der Auffassung, noch nie sei „so unverhohlen“ versucht worden, parteipolitische Interessen in einem Sender durchzusetzen. Unter der Überschrift „Totalschaden beim ZDF“ kommentierte er unlängst in der Bild am Sonntag: „Wenn die CDU-Granden bei ihrer anmaßenden Haltung bleiben und den Intendanten Schächter daran hindern, den Chefredakteur seiner Wahl zu halten, riskieren sie viel“. Sollte das Manöver gelingen, hätte das gravierende Konsequenzen. „Der Ruf des ZDF wäre ramponiert, denn jeder würde verstehen: Hier wählen sich die Politiker selbst die Journalisten, die nett über sie berichten.“ Es steht zu befürchten, dass den medialen Politstrategen derartige Überlegungen einerlei sind. Parteipolitisch motivierter Postenschacher hat beim ZDF Tradition. Schon vor sieben Jahren, als Markus Schächter nach einer elend langen Wahlprozedur als kleinster gemeinsamer Nenner zum ZDF-Intendanten gekürt wurde, gab es ähnliche Scharmützel um seinen Nachfolger als Programmdirektor. Idealer Kandidat, hoch angesehen bei allen Seiten, war seinerzeit Hans Janke, der kürzlich pensionierte Leiter der ZDF-Hauptredaktion Fernsehspiel. Doch der als sozialliberal geltende Janke hätte der politischen Farbenlehre widersprochen. Am Ende fiel auch der ZDF-„Freundeskreis der SPD“ um und wählte den CDU-Kandidaten Thomas Bellut.

Wie im Fall Brender hagelte es damals Proteste von Seiten aller Parteien, stets begleitet von größter Sorge um die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems. Dabei gäbe es ein wirksames Mittel, aktiv für diese Unabhängigkeit zu streiten: mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Zusammensetzung der ZDF-Gremien. Medienrechtler Dieter Dörr attestiert einer solchen Klage hohe Erfolgsaussichten. Zwar habe das hohe Gericht in bisherigen Entscheidungen dem Staat und den Parteien das Recht eingeräumt, begrenzt Vertreter in Rundfunkgremien zu entsenden: „Aber es darf kein beherrschender, kein übermäßiger Einfluss sein.“ Gemessen an dieser Vorgabe dürfte die Zusammensetzung des ZDF-Verwaltungsrats – ihm gehören derzeit nicht weniger als sechs Ministerpräsidenten an – verfassungswidrig sein, so viel scheint klar. Ob sich aber eine Instanz findet, die eine solche Klage anstrengt? Jede Landesregierung könnte diesen Schritt tun, oder auch ein Drittel der Bundestagsabgeordneten. Dass aber die Politiker sich selbst ihre Machtspielzeuge aus der Hand schlagen, ist wohl kaum zu erwarten.

Und während der Fall Brender auf den finalen Show down zusteuert, ereignet sich im Norden der Republik bereits eine neue personalpolitische Unappetitlichkeit. Beim Norddeutschen Rundfunk wurde Mitte September Wolfgang Peiner zum Vorsitzenden des NDR-Verwaltungsrat gewählt. Peiner? Da war doch was! Richtig. Nach fünfjähriger Amtszeit als Hamburgs Finanzsenator agierte der CDU-Mann von 2007 bis April 2009 als Aufsichtsratschef der HSH Nordbank AG, die unter seiner Führung Milliardenverluste machte. Er genehmigte auch den kräftigen Schluck aus der Gehaltszuschlagspulle für Vorstand Dirk Jens Nonnenmacher. Und ein solcher Mann darf in eine bedeutende Schaltstelle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einrücken? Von einem Aufschrei der SPD oder gar der mit den Schwarzen in Hamburg regierenden GAL ist nichts bekannt. Laut NDR-Staatsvertrag überwacht Peiner nun federführend die Geschäftsführung des NDR-Intendanten, übt Finanz- und Managementkontrolle aus. Das Bild vom Bock als Gärtner drängt sich hier geradezu auf. Der Vorgang belegt einmal mehr, dass die Beutepolitik der Parteien in den Sendern mittlerweile das Ansehen und die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks massiv bedroht.

Wink mit dem Zaunpfahl

Auch vor Programmschelte und kleinen Erpressungsmanövern schrecken einige CDU-Fürsten nicht zurück. Erinnert sei an die Kritik von Bundestagspräsident Norbert Lammert an ARD und ZDF. Diese hatten es gewagt, die Übertragung der politisch wenig ergiebigen konstituierenden Sitzung des Bundestags nicht selbst zu übernehmen, sondern Phoenix zu überlassen. Lammerts Verweis auf das üppige Privileg“ von ARD und ZDF – gemeint waren die Rundfunkgebühren – kann getrost als Wink mit dem Zaunpfahl interpretiert werden. Nach dem Motto: Wenn ihr nicht spurt, drehen wir an der Gebührenschraube! Die Karlsruher Richter könnten bald einiges zu tun bekommen.

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