Stimmungsmache

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Visier – über Qualität kein Wort

Enttäuschte Liebende können zum schlimmsten Feind werden. Dass sich diese Erfahrung keineswegs auf zwischenmenschliche Beziehungen beschränkt, belegt das Buch „Die Nimmersatten“. Hans-Peter Siebenhaar hat seine „Wahrheit über das System ARD und ZDF“ offenkundig mit viel Wut im Bauch verfasst. Woher sein heiliger Zorn rührt, lässt er offen; lieber verbrämt er ihn als Mission im Sinn des Gebührenzahlers. Eine derartige Haltung hat zwangsläufig zur Folge, dass man permanent übers Ziel hinausschießt.

Tilmann P. Gangloff, Medienfachjournalist aus Allensbach am Bodensee Foto: Markus Nass
Tilmann P. Gangloff, Medienfachjournalist aus Allensbach am Bodensee Foto: Markus Nass

Hinzu kommt, dass die Abrechnung des Handelsblatt-Medienredakteurs einige missverständlich formulierte Aspekte sowie verschiedene überraschend grobe Schnitzer enthält. So schreibt er zum Beispiel von neun ARD-„Regionalsendern, die fast rund um die Uhr senden“. Die ARD besteht in der Tat aus neun Landesrundfunkanstalten, doch Radio Bremen und der Saarländische Rundfunk veranstalten keine eigenen „Dritten“. An anderer Stelle steckt der Teufel im Detail: Das medienkritische Comedymagazin „Walulis sieht fern“ ist nicht in der Grimme-Preis-Kategorie „Information und Kultur“ ausgezeichnet worden, sondern von der Jury „Unterhaltung“. Das mag eine Petitesse sein, verdeutlicht aber Siebenhaars Ansatz: Er be- und verurteilt konsequent von außen. Kein Wunder: Man läuft leicht Gefahr, sich von liebgewonnenen Klischees verabschieden zu müssen, wenn man hinter die Kulissen blickt.

Absurde Unterstellung

Der Autor behauptet zum Beispiel, die auffallend vielen Grimme-Preise für WDR und ZDF seien darauf zurückzuführen, dass beide mit jeweils zehn Prozent Gesellschafter der Grimme-GmbH sind. Auf die Idee, dass die größten öffentlich-rechtlichen Sender auch das meiste Qualitätsfernsehen produzieren, ist Siebenhaar nicht gekommen. Überdies ist er offenkundig nie in eine der völlig unabhängig arbeitenden Jurys eingeladen worden, sonst wüsste er, wie absurd seine Unterstellung ist. Sie gipfelt in der an eine Verschwörungstheorie grenzende Vermutung, „Walulis sieht fern“ sei 2012 ausgezeichnet worden, weil das Magazin bei Tele 5 ausgestrahlt worden ist, einem Sender, der zur Firmengruppe des Rechtehändlers Herbert Kloiber gehört; denn der verkaufe seine Filme und Serien auch an ARD und ZDF.
Das Beispiel ist exemplarisch für die Haltung, mit der Siebenhaar sein Buch geschrieben hat: Details, die nicht zur Legende passen, werden weggelassen, andere werden passend gemacht. Gelegentliche Fehler legen zudem den Schluss nahe, dass er zumindest einige der Sendungen, die er erwähnt, gar nicht gesehen hat. Selbstredend ist es leicht, Belege dafür zu finden, dass die Angebote von ARD und ZDF „steif, konventionell, schnulzig“ sind. Genauso gut ließe sich jedoch beweisen, wie herausragend die Qualität vieler Fernseh- und Dokumentarfilme ist, aber darüber verliert Siebenhaar kein Wort.
Ohne Frage sind viele der aufgeführten Kritikpunkte völlig angebracht; die von Politikern geprägte Zusammensetzung der Gremien zum Beispiel oder die mangelnde Transparenz der Anstalten, die von ihren Zuschauern zwar 7,5 Milliarden Euro pro Jahr einstreichen, aber die Gehälter ihrer Moderatoren und die Ausgaben für Sportrechte wie Staatsgeheimnisse behandeln. Immer dann, wenn Siebenhaar konkrete Auswege aufzeigt, fällt er jedoch wieder in sein populistisches Muster zurück. Mitunter liest sich das Buch wie ein Pamphlet des VPRT. Die Lobbyisten vom Verband Privater Rundfunk und Telemedien würden die öffentlich-rechtliche Konkurrenz am liebsten abschaffen. Das wäre womöglich auch in Siebenhaars Sinn. Zumindest würden einige seiner wenig konstruktiven Vorschläge auf diese Konsequenz hinauslaufen: Eine freiwillige Zahlung der Rundfunkgebühren wäre garantiert das Ende von ARD und ZDF in ihrer derzeitigen Form.

Gesammelte Verfehlungen

Abgesehen davon hat der Autor nichts Neues zu berichten. Fleißig trägt er sämtliche Verfehlungen zusammen, die sich ARD und ZDF in den letzten Jahren haben zuschulden kommen lassen, und in dieser Konzentration ist das in der Tat erschütternd. Aber aller investigativen Attitüde zum Trotz steht im gesamten Buch nichts, worüber Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine nicht schon berichtet hätten. Daher wirkt es fast schon lächerlich, wenn Siebenhaar in der Einleitung erzählt, Kollegen hätten ihm empfohlen, die Finger von der Sache zu lassen: „Du machst dir nur Feinde“, bestimmte Türen würden ihm „in Zukunft für immer verschlossen sein“. Was für ein Unfug. Wäre dem so, bräuchten sich sämtliche Medienfachjournalisten von Rang bei ARD und ZDF nicht mehr um Informationen zu bemühen.
Doch selbst die eigene Mutter soll Siebenhaar von dem Buch abgeraten haben. Das will man zwar gar nicht wissen, passt jedoch zum wichtigtuerischen Stil des Autors: Als habe er dem berühmten Dokumentarfilmer Michael Moore nacheifern wollen, sorgt er immer wieder dafür, dass er mit ins Bild kommt. „Ich musste dieses Buch schreiben“, versichert er zu Beginn. An anderer Stelle heißt es zu einer vom SWR veranstalteten Diskussion über Sportrechte: „Ich guckte fest zu meiner rechten Sitznachbarin“. Er hat in der Runde angeblich als Einziger und selbstverständlich vergeblich für lückenlose Transparenz plädiert. Immerhin hätte er die Dame zur Rechten wenigstens zitieren dürfen. Für viele seiner Informanten gilt das nicht. Es ist jedoch ein alter journalistischer Trick, Belanglosigkeiten aufzuwerten, indem man sie „hinter vorgehaltener Hand“ mitteilen lässt: Das suggeriert selbst dann Brisanz, wenn es sich im Grunde um Binsenweisheiten handelt. Der durchschnittliche TV-Zuschauer aber wird das mangels Hintergrundwissen in der Regel nicht durchschauen und Siebenhaars Ausführungen empört für bare Münze nehmen. Deshalb ist das Buch nicht bloß ärgerlich, sondern aus Sicht aller, die ARD und ZDF nicht abschaffen, sondern verbessern wollen, auch gefährlich. „Die Nimmersatten“ ist pure Stimmungsmache.

Tilmann P. Gangloff über das Buch von Hans-Peter Siebenhaar: Die Nimmersatten. Die Wahrheit über das System ARD und ZDF. Eichborn Verlag, Köln 2012, 240 Seiten, 14,99 Euro.

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