Beim Übergang von analog zu digital die Vielfalt erhalten
Wer die Kriterien „privat“ und „regional“ in die TV-Programmdatenbank der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM) eingibt, stößt auf ebenso erfreuliche wie verwirrende Vielfalt: Deutschland hat 273 regionale und lokale Fernsehprogramme – davon 194 in den neuen Bundesländern.
Begrifflich trennen die Medienanstalten zwar nicht zwischen regional und lokal. Allerdings ist rund ein Dutzend privater Ballungsraumsender mit einer technischen Reichweite von mindestens 200.000 Haushalten vom bunten Sammelsurium mittlerer, kleiner und kleinster Lokal-TV-Sender zu unterscheiden.
Die Lust am Lokalen ist räumlich auffallend konzentriert: Laut ALM bringt es Sachsen auf stolze 81 Regionalprogramme, Berlin und Brandenburg zusammen auf 60, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern können jeweils immerhin noch rund 20 Sender aufweisen. Flächige und einwohnermäßig große Bundesländer wie Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen müssen sich dagegen mit drei regionalen Programmen begnügen.
Lokales Fernsehen ist also eindeutig eine ostdeutsche Domäne, nur in Bayern gibt es mit 29 Sendern noch eine vergleichbare Vielfalt. Das hat Gründe: Nach der Wende konnten sich besonders in der Lausitz zahlreiche kleine TV-Kanäle etablieren. Die technischen Voraussetzungen waren günstig, schon zu DDR-Zeiten wurden in meist privater Initiative weit verzweigte Kabelnetze angelegt, um einen besseren Empfang – auch des Westfernsehens – zu erreichen. Nach dem Mauerfall entstand bald der Wunsch, für diese Kabelnetze dauerhaft lokales Fernsehen zu machen.
Von den 60 lokalen und regionalen Veranstaltern in Berlin und Brandenburg entfallen allerdings 26 auf eine Berliner Besonderheit, den Spreekanal. Das ist ein Mischkanal, für den die zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) – übrigens die einzige Zweiländer-Medienanstalt Deutschlands – Veranstalter lizenziert, die ihn stundenweise nutzen wollen. Außerdem gibt es in Berlin die Ballungsraumsender tv.berlin und FAB sowie den eigentlich laut Medienstaatsvertrag als Ausländerkanal gedachten E3, der aber vom türkischen TD1-Programm dominiert wird.
In Brandenburg gibt es 31 Sender, der kleinste ist Info Klettwitz mit einer technischen Reichweite von nur 170 Haushalten. Die größten sind Potsdam-TV mit 70.000 und Lausitz-TV in Cottbus mit rund 67.000 angeschlossenen Haushalten. Das Programm der Stadtkanäle ist meist ein Gemisch aus bewegten und Standbildern sowie Texttafeln bzw. Videotext. Etwa ein Drittel strahlt täglich aktuelle, selbst produzierte Sendungen aus, andere erneuern die Programmschleife nur wöchentlich.
„Eine Lizenz zu bekommen, ist in den neuen Bundesländern kein großes Problem“, sagt Susanne Grams von der mabb, „beim Antragsverfahren müssen Interessenten erklären, wer verantwortlich ist und was für ein Programm sie machen wollen“. Einen Finanzierungs- und Wirtschaftsplan müssten sie ebenfalls dem Medienrat vorlegen. Eine Lizenz werde anfangs für ein Jahr vergeben, wenn alles gut läuft, werde sie auf sieben Jahre verlängert.
Aktuelle Studien der Medienanstalten in Berlin-Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass es an der Wirtschaftlichkeit des Lokal-TV oft hapert: Zwar seien Bekanntheitsgrad und Zuschauerresonanz größer als erwartet, finanziell betrieben die Sender jedoch meist ein Vabanquespiel.
Erfolge trotz Teufelskreis
Die Finanzierung läuft mehr schlecht als recht über lokale Spots und Sonderwerbung, eine Rolle spielen zum Teil auch Auftragsproduktionen. Potente Werbekunden zu finden, wird umso schwieriger, je kleiner die Reichweite. Außerdem sind Leistungsnachweise gegenüber Werbekunden ohne teure Reichweiten-Daten kaum möglich. Aus geringen Werbeeinnahmen resultieren wiederum schwache Mittel für qualitätvolles Programm. Doch genau das ist gefragt: Eine Umfrage der sächsischen Medienanstalt (SLM) ergab, dass Lokalprogramme erfolgreich sein können, wenn sie Lokales in den Mittelpunkt stellen, den Alltag in der Region reflektieren und konkreten Service bieten. Zunehmend wichtiger werde den Zuschauern ein professionell erstelltes Programm à la RTL, Pro Sieben und Sat.1.
Der Teufelskreis ist schwer zu durchbrechen. „Bei den lokalen Fernsehstationen beuten sich die Leute selbst aus“, sagt mabb-Vizedirektorin Grams und findet das Engagement der Fernsehmacher „bewunderswert“. Da sei sehr viel Eigeninitiative im Spiel, die durchaus schon Erfolge aufweise: „Mittlerweile gibt es auch Kanäle mit Mitarbeitern und Angestellten, die also auch einige Arbeitsplätze bieten.“ Um die lokalen Sender zu unterstützen, bietet die mabb über die Journalistenschule ems in Potsdam spezielle, gut nachgefragte Fortbildungsseminare an. Die Kurse sollen lokale Veranstalter etwa in Kameraführung, Moderation oder Beleuchtungstechnik fit machen.
Eine weitere Hilfe bieten Netzwerke: Im Bundesverband der lokalen Fernsehveranstalter (BLF) haben sich Programmveranstalter und Initiativen als Interessenvertretung gegenüber Behörden und Medienanstalten zusammengetan. Eine davon ist das seit 1998 bestehende Brandenburgische Fernsehnetz (BFN). Als Dachverband der lokalen Fernsehsender des Landes betreibt es Lobbyarbeit und bildet einen Verbund für die überregionale Vermarktung von Beiträgen. Ziel sind gemeinsame Programmangebote für landes- oder sogar bundesweite Ausstrahlung. Wichtig auch die gemeinsame Akquise neuer Werbekunden durch eine eigene Agentur: Fast alle wichtigen Lokalsender des Landes sind dabei, nach eigenen Angaben bringen sie es in Berlin-Brandenburg auf eine Reichweite von 5,1 Millionen Zuschauern. Gemeinschaftlich produzieren sie etwa das wöchentliche „Brandenburg-Journal“ aus vier bis fünf Beiträgen verschiedener Sender. FAB kooperiert und strahlt das Magazin auch in Berlin aus.
Insgesamt ist die Lokal-TV-Szene nach wilden Nachwendejahren in eine Phase der Etablierung getreten, gerade über Netzwerke kann das Lokal-TV allmählich die Gunst regionaler und lokaler Werbetreibender gewinnen. Chancen liegen sicherlich auch in Online-Angeboten und der Internetverbreitung. Beim Übergang vom analogen zum digitalen Fernsehen ist Susanne Grams allerdings skeptisch, ob die Kabelverbreitung für die Kleinen vorteilhaft ist. Die analoge „Kabeleinspeisung jetzt schon nicht unentgeltlich und viele lokale Fernsehveranstalter haben Probleme, sie zu finanzieren“. Das könne zwar beim digitalen Kabel billiger werden, doch die notwendige Umrüstung auf die neue Technik ist teuer. Deshalb diskutieren die Landesmedienanstalten auch über verschiedene Projekte, um die lokale Vielfalt der Veranstalter und Programme für die TV-Zukunft zu erhalten.