Untrennbar: Kosten und Qualität

Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks.
Foto: BR/Markus Konvalin

Interview mit Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks und seit 1. Januar 2018 Vorsitzender der ARD

M | Sie haben gleich zu Beginn ihrer Amtszeit als ARD-Vorsitzender eine Anhebung des Rundfunk­beitrags ab 2021 gefordert, dazu möglichst einen jährlichen Inflationsausgleich. Mit welcher Begründung?

Ulrich Wilhelm | Nach Jahren ohne Ausgleich der Teuerung – und mit Blick auf Tarifanpassungen, Rechte­kosten- oder Verbreitungskostensteigerungen – brauchen wir ab 2021 wieder eine Anpassung unserer Mittel, weil wir ansonsten tief in die Programme schneiden müssten. Natürlich hat jeder den Ehrgeiz, alles auszuschöpfen, wo wir jenseits des Programms sparen können, etwa bei Verwaltung und Technik. Das tun wir aber schon seit Jahren. Jetzt ist ein Punkt erreicht, wo es ohne einen Teuerungsausgleich nicht mehr weiterginge.

Die Politik zeigt sich in dieser Frage einstweilen noch reserviert …

Mein Appell an die Politik ist, diesem Thema nicht auszuweichen, weil es unbequem erscheint. Sie sollte sich nicht später die Augen reiben, wenn bei den öffentlich-rechtlichen Sendern aufgrund von Fehlbeträgen in Milliar­denhöhe in der kommenden Beitragsperiode Programme gestrichen werden müssen. Denn das wäre schlicht die Folge, falls der Rundfunkbeitrag auch ab 2021 bei 17,50 Euro bleibt. Es geht um eine bewusste, zutiefst politische Entscheidung über die Frage: Welchen Stellenwert soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk für unsere Gesellschaft haben? Das ist genau die gleiche Frage wie: Wollen wir ein öffentliches Schulsystem neben privaten Schulen, wollen wir einen öffentlichen Nahverkehr, oder soll das alles dem Markt überlassen bleiben? Meine Bitte an die Politik ist, dem Rundfunk, der ein hohes öffentliches Gut ist, weiterhin Raum zu geben. Denn angesichts der Entwicklungen des Internets wird sich noch mehr als aktuell zeigen, wie wertvoll der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinen zuverlässigen Angeboten für den Zusammenhalt des Landes sein kann.

Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten hat aber allein für die ARD bis zum Ende der aktuellen Beitrags­periode 2017-2020 einen Überschuss von gut ­einer halben Milliarde Euro ausgerechnet. Sie sieht offenbar noch jede Menge Sparpotential: beim Personal, bei den Produktionskosten, bei den Tochterfirmen.

Es verwundert, dass trotz unserer erheblichen Sparbemühungen die KEF im Wege großzügiger Annahmen einen so großen Spielraum sieht. Fest steht: Die von der KEF angenommenen Überschüsse beruhen auf Prognosen, die wir nicht nachvollziehen können. Künftige Beitragseinnahmen hängen von vielen externen Faktoren wie der gesamtwirtschaftlichen Lage ab. Überdies hat die KEF keinen Auftrag, sich zur Programmgestaltung zu äußern. Das gilt für die Sportberichterstattung genauso wie für die Krimiproduktion. Und was das Personal angeht: Im Zeitraum 1993 bis 2020 wird die ARD insgesamt rund 4.900 Stellen bzw. 20 Prozent abgebaut haben. Eine nachhaltige Kostenbegrenzung haben die Landesrundfunkanstalten außerdem durch die Reformen der Altersversorgung erreicht. Aber: Kurzfristig können wir immer nur bei den beweglichen Haushaltsansätzen sparen, nicht ­jedoch bei den durch Gesetz oder Tarifvertrag feststehenden Fixkosten. Das geht dann zwangsläufig auch auf Kosten der Qualität, wenn wir beispielsweise das Programm ausdünnen müssen.

Zwei Länder – Sachsen und Sachsen-Anhalt – haben sich bereits ablehnend zu einer Beitragserhöhung geäußert. Die AfD will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk faktisch abschaffen. Die CSU fordert in ihrem 2016 verabschiedeten neuen Grundsatzprogramm die Fusion von ARD und ZDF. Geht es allmählich ans Eingemachte?

Auf der einen Seite stehen die hohe Akzeptanz unserer Programme und die Überzeugung vieler Menschen in unserem Land, dass in der neuen Unübersichtlichkeit des Internets und auch der vielfach von Hass und Häme geprägten Diskussion im Netz die qualitätsvollen Angebote von ARD und ZDF eine wachsende Bedeutung bekommen. Allerdings denken manche, man könne alles behalten, und trotzdem bei den Ressourcen noch ganz viel wegstreichen – diese Rechnung geht nicht auf. Es ist ein Widerspruch in sich zu sagen: „Ihr seid wichtiger denn je, müsst noch qualitätsvoller, noch investigativer werden, aber die dafür nötigen Mittel, die gibt’s nicht mehr.“

Die militanten Gegner interessieren solche Argumente nicht. Das sieht man auch an der No-Billag-Initiative in der Schweiz und vergleichbaren Tendenzen in anderen europäischen Ländern wie Dänemark, Norwegen, Österreich, etc. Fürchten Sie nicht auch Auswirkungen auf die hiesige Debatte?

Es gibt in ganz Europa eine gesellschaftliche Kontroverse um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Auch um andere solidarisch finanzierte Güter wie ein öffentliches Gesundheits- oder Bildungssystem werden vielerorts Kämpfe geführt. In der Schweiz ist auffällig, dass vom Hörfunk wenig die Rede ist. Die Betreiber der No-Billag-Initiative reden immer lieber vom Fernsehen, weil sie beim Hörfunk auf eine breite Bevölkerungsschicht stoßen würden, die die Radioprogramme schätzt und diese nicht missen will. Auch bei uns vergessen die Kritiker der ARD gerne den Stellenwert des Hörfunks. Jeden Tag hören mehr als 37 Millionen Menschen in Deutschland die Radioprogramme der ARD. Unsere Angebote insgesamt sind für mehr als

80 Prozent der deutschen Bevölkerung unverzichtbarer Bestandteil ihres Alltags. Die vielfältigen Themen und Facetten unseres Landes – von Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur, Bildung – die bildet vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ab, insbesondere die ARD mit ihren stark regional verankerten Dritten und den Hörfunkwellen. Das lässt sich in diesem Umfang und dieser Qualität nicht über Bezahlmodelle im freien Markt finanzieren und erhalten. Mainstream-Inhalte überleben leicht mit Pay-Modellen, aber hochwertige und regionale Inhalte könnten so nicht existieren. Die würden ohne uns wegfallen.

Die ARD liegt nach wie vor mit den Verlegern im Clinch um den Telemedien-Auftrag, also die Online-Aktivitäten der Sender, vor allem die „Presseähnlichkeit“ mancher Angebote. Sie sind dagegen, die Debatte darauf zu reduzieren, da auch andere relevante Player eine wichtige Rolle spielten. Woran denken Sie da?

Es gibt immer mehr Netzbetreiber oder sogar Gerätehersteller, die journalistischen Content anbieten. T-Online hat angekündigt, einer der großen Nachrichtenanbieter werden zu wollen. Google News, Facebook und einige andere bieten die Inhalte auf ihren Plattformen sowieso längst an. Wenn ARD und ZDF im Netz immer weniger dürfen, führt das daher nicht automatisch zu Vorteilen für die Verlage. Es kann auch sein, dass am Ende nur die Qualität der Inhalte im Netz leidet – und zwar dann, wenn die Lücke, die dadurch entsteht, immer mehr von Netzbetreibern und Geräteherstellern frei zugänglich gefüllt wird. Mit Blick auf die Konkurrenz der großen US-Player sind Rundfunk und Verlage als Qualitätsanbieter jenseits unserer aktuellen Diskussion gleichermaßen bedroht.

Der NDR hat Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs eingelegt, wonach eine zufällig ausgewählte Ausgabe der „Tagesschau“-App presseähnlich und somit unzulässig sei.

Die Meinungsbildung verlagert sich mehr und mehr ins Netz. Sie läuft ganz stark über Suchmaschinen. Über die Hälfte der Nachfragen nach unseren Angeboten kommt über Suchmaschinen. Die aber funktionieren mit Text. Audio- und Video-Angebote allein würden gar nicht gefunden, sondern das funktioniert über Text und Schlagworte. Investigativer Journalismus braucht natürlich, um zu belegen, was er da behauptet, auch Text. Früher gab es seitenlange Pressemitteilungen zu Sendungen wie Panorama, Monitor oder Report. Das heutige Pendant ist eben der Text im Netz. Das Beispiel Paradise Papers zeigt: Den Text zu verbannen, kann nicht die Lösung sein. Wir würden die Zukunft im Netz verlieren und in der Meinungsbildung nicht mehr in dem Maße stattfinden.

Sie wollen ja mit den bisherigen Widersachern lieber kooperieren. Unter anderem haben sie eine gemeinsame Plattform für Qualitätsinhalte vorgeschlagen. Was verstehen Sie darunter?

Die werbungtreibende Wirtschaft gibt den allergrößten Teil ihrer Budgets nicht mehr den klassischen Verlagshäusern, sondern überwiegend den US-amerikanischen Internetgiganten, also Facebook, Google, Youtube, etc. Dadurch ist diese wichtige Finanzierungsquelle des Journalismus für die Verlage sehr schmal geworden. Werbungtreibende gehen am lieb­sten dahin, wo sie eine kritische Masse in ihrer Zielgruppe sicher erreichen. Daher die Idee: Warum bündeln wir – Verlage, Sender, Kulturinstitutionen, Universitäten, etc. – nicht unsere Reichweiten auf einer gemeinsamen Plattform, damit es für die Werbungtreibenden spannender wird, dort zu inserieren?

VPRT-Geschäftsführer Hans Demmel hat unlängst Schutzräume vor den öffentlich-recht­lichen Angeboten im Netz für die Privatsender gefordert. Das zielt vor allem auf die Mediatheken, die Sie ja eher ausbauen wollen. Damit, so der Vorwurf, gefährdeten ARD und ZDF Geschäftsmodelle von Kanälen wie N24 Doku oder Kabeleins Doku. Ist da was dran?

Eines ist doch klar: Wir expandieren nicht, sondern wir schrumpfen, wir bauen Personal ab. Wir haben große Mühe, überhaupt neue Berufsbilder aus dem digitalen Sektor bei uns aufzubauen, obwohl dies dringend nötig ist, weil wir eben per Saldo fast keine Stellen mehr neu besetzen können. Und unsere redaktionellen Mittel sind auch gedeckelt. Klar ist aber auch: Die Mediennutzung der Menschen verlagert sich allmählich vom Linearen ins Netz. Deshalb ist es auch unsere Aufgabe, öffentlich-rechtliche Angebote auf diesem Weg verfügbar zu machen, um möglichst viele Teile der Gesellschaft zu erreichen – so wie es unser gesetzlicher Auftrag fordert.

Stichwort „Babylon Berlin“: Ist das ein taugliches Modell für künftige Kooperationen?

Ganz grundsätzlich: Um konkurrenzfähige Serien dieser Qualität produzieren zu können, brauchen wir starke Partner. Angesichts der immer knapper werdenden Budgets und der immer höheren Qualitätsstandards insbesondere fiktionaler Produktionen im internationalen Wettbewerb – Stichwort Netflix oder Amazon – denken wir in der Tat verstärkt über Kooperationen und Koproduktionen nach. Wir werden Partner brauchen, um gemeinsam Hochwertiges zu produzieren. Grundsätzlich habe ich mich schon immer für Kooperationen stark gemacht – stets in den Grenzen des rechtlich Erlaubten und in einer Form, die mit unserem öffentlich-rechtlichen Auftrag vereinbar war und ist. Diese Tradition setzen wir, mit neuen Ideen, fort.

Der Sportetat der ARD ist bei rund 250 Mio. Euro im Jahr gedeckelt. Zentrale Sportereignisse wie die Champions League wandern ins Pay-TV, die Rechtekosten explodieren. Welche Rolle wird der Sport künftig bei ARD und ZDF spielen?

Der Sport nimmt eine sehr bedeutende Rolle in der Gesellschaft ein und deshalb natürlich auch in den Programmen der ARD. Auch zukünftig werden wir deshalb alles im Rahmen unserer Möglichkeiten dafür tun, dass sportliche Großereignisse wie Olympische Spiele und Fußball-Großereignisse sowie andere attraktive Sportevents in unseren Programmen zu sehen sind. Das erwarten im Übrigen auch unsere Zuschauerinnen und Zuschauer, wie man an der Diskussion um die Rechte an den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr gesehen hat, und was auch jetzt an den hervorragenden Zuschauerzahlen bei unseren Übertragungen aus Pyeongchang deutlich erkennbar ist. Gleichzeitig ist es uns programmlich sehr wichtig, eine möglichst große Vielfalt an Sportübertragungen anzubieten und uns nicht – wie unsere privaten Wettbewerber – auf wenige massenattraktive Sportarten bzw. -ereignisse zu beschränken. In der Tat ist aber der Markt der Sportübertragungsrechte von zunehmendem Wettbewerb und deutlich steigenden Preisen gekennzeichnet, während der Sportrechte-Etat der ARD seit Jahren streng gedeckelt ist. Es ist uns dennoch immer wieder durch intensive Verhandlungen gelungen, auch bei prominenten Sportereignissen Preise zu senken. Oder wir haben uns auf Partnerschaften eingelassen, um für uns relevante Rechte erwerben zu können: mit Sky beim Handball, mit Discovery bei den Olympischen Spielen, mit der Telekom bei der 3. Liga. Unsere größten Argumente sind eine seriöse, qualitativ hochwertige Berichterstattung und eine verlässliche hohe Reichweite, mit der man wirklich alle Teile der Bevölkerung erreicht.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »

AfD als Social Media Partei überschätzt

Eng vernetzt mit dem extrem- und neurechten Vorfeld und gezielt provozierend mit rassistischem Content: Die Landtagswahlkämpfe der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg waren von einer hohen Mobilisierung geprägt, auch über die sozialen Medien. Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) in Frankfurt am Main zeigt nun aber: die Auftritte der AfD auf Social Media sind weit weniger professionell als zuletzt häufig kolportiert und es gibt deutliche regionale Unterschiede.
mehr »