Urheber first!

ver.di legt ein Papier zur Urheberrechtsdebatte vor

Wozu es Gewerkschaften gibt, ist wenigstens in groben Umrissen Gemeingut: Sie sollen dafür sorgen, dass die Verkäuferin im Drogeriemarkt und der Müllkutscher für die geleistete Arbeit ordentliches Geld bekommen und davon anständig leben können – im Ruhestand auch von der mit den Beiträgen bezahlten Rente. Dass durch Tariferhöhungen möglicherweise das Deodorant teurer wird und die Müllgebühren steigen, die Konsumenten also belastet werden, darf eine Gewerkschaft nicht dazu verführen, Hungerlöhne zu akzeptieren. So banal das klingt, so kompliziert wird es anscheinend, wenn es um die gerechte Bezahlung von Urhebern und ausübenden Künstlerinnen geht. Nach langen internen Diskussionen hat ver.di nun ein Positionspapier zur Urheberrechtsdebatte vorgelegt.

Die Meinungsbildung in einer Großorganisation ist niemals einfach und kann auch dauern. Beim Urheberrecht, über das mittlerweile überall debattiert wird, war das besonders schwierig. Das liegt zunächst einmal daran, dass es hier oft nicht um die Bezahlung lebendiger Arbeit geht, sondern um die Rechte an Werken oder Darbietungen verkörperter Arbeit, die von Unternehmen vertrieben wird. Über die Musikindustrie und geldgierige Verlage, die Künstlerinnen und Publizisten schlecht bezahlen, ist leicht zu schimpfen – oder gar über die GEMA, die mittlerweile bei Kritikern das bevorzugte Hassobjekt ist. Zum anderen haben sich die Wünsche der Nutzer verändert, seit sie über Computer und Internetzugang verfügen: Sie wollen „Freiheit“ im Netz auch beim Kopieren und Verteilen urheberrechtlich geschützter Werke und Darbietungen. Und schließlich ist mit der Internetwirtschaft, den Suchmaschinen, „sozialen“ Netzwerken und anderen Dienstanbietern ein mächtiger Rivale auf den Plan getreten, der sich zumeist über Werbung finanziert und nach kostenfreiem „Content“ giert, mit dem er seine Kunden bedienen kann. Die Ausgangslage ist also alles andere als übersichtlich.
In diesem Umfeld fasst das Positionspapier in sechs Punkten die Problemlage aus gewerkschaftlicher Sicht zusammen und markiert das Arbeitsprogramm für ver.di: Im Binnenkonflikt um die Verteilung von Erlösen der Kreativwirtschaft fordert ver.di „fairen Umgang mit Urheber/innen“, weist aber auch darauf hin, dass diese Verwerterindustrie nur fortbestehen kann, wenn sie mit Verbraucher/innen anständig umgeht und ihnen Sicherheit durch Endverbraucherlizenzen verschafft, was unter einem eigenen Punkt näher erläutert wird. Das von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen geforderte Leistungsschutzrecht hält ver.di nur dann für akzeptabel, wenn die Verlage den Urhebern angemessene Vergütungen bezahlen und sie an den zusätzlichen Einnahmen beteiligen. Eingriffe in den Schutzumfang des Urheberrechts, wie etwa eine Verkürzung von Schutzfristen oder unspezifische Einschränkungen (z.B. die amerikanische „fair-use-Klausel“) lehnt ver.di ab, weil damit in das Selbstbestimmungsrecht der schöpferisch Tätigen eingegriffen wird. Denn das kann auch nicht finanziell – etwa durch eine „Kulturflatrate“ – kompensiert werden.
Schließlich verlangt ver.di, dass „jede Form der (bewussten) unerlaubten Nutzung gesellschaftlich geächtet“ wird. Das ist eine deutliche Absage an das Gerede, man müsse sich an das angeblich veraltete, obsolet gewordene Urheberrecht nicht mehr halten, das mancherorts auch im Bundestag hoffähig geworden ist. Auch die Durchsetzung von Rechten im Internet muss nach Auffassung von ver.di gewährleistet sein – eine unmissverständliche Absage an ein Verständnis von „Freiheit“, das auf Rechte anderer keine Rücksicht nehmen will. Allerdings will ver.di dabei nach Wegen suchen, die das aktuell grassierende Abmahnwesen vermeiden.

Das Positionspapier Neu erschienen ist ein Flyer zum Urheberrecht. Das Positionspapier und der Flyer stehen im Netz unter www.verdi-fuer-urheber.de
Das Positionspapier
Neu erschienen ist ein Flyer zum Urheberrecht. Das Positionspapier und der Flyer stehen im Netz unter
www.verdi-fuer-urheber.de

Noch viel zu tun

Das Papier steht unter dem Motto „Urheber first“ – solche Sprüche sind Geschmackssache und darüber sollte man nicht streiten – und zeigt entsprechend klare Kante: Für die Gewerkschaft stehen die Interessen der schöpferisch Tätigen im Fokus. Für deren Belange und deren verfassungsrechtlich und gesetzlich (§ 11 Satz 2 UrhG) verbürgten Anspruch auf eine „angemessene“ Vergütung tritt ver.di ein. Darum geht es und nicht vorrangig um die Wünsche und Forderungen derer, die man heute als „Nutzer“ bezeichnet, ohne dabei einen Unterschied zu machen zwischen dem Schulkind, das ein urheberrechtlich geschütztes Musikstück ins Netz stellt, und Weltkonzernen wie Google, der dreist Bücher in seine Datenbank kopiert.
Hinter diesem Papier steht der Bundesvorstand von ver.di und damit ist eine urheberfreundliche Linie vorgegeben. Im Detail ist aber noch einiges zu tun. Aus den abstrakten Grundsatzpositionen werden noch konkrete Vorschläge zu erarbeiten sein, was die „faire Vergütung“ und der „faire Umgang mit Publizistinnen und Urhebern“ sein soll, bedarf der Konkretisierung – um nur zwei Beispiele zu benennen. Der Beschluss des Bundesvorstands markiert damit nicht den Endpunkt der Arbeit am Thema Urheberrecht, sondern den Anfang.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Journalismus gefordert wie noch nie

„Demokratie im Krisenmodus – Journalismus gefordert wie nie!“ lautet das Motto des 37. Journalismustags der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, der am 25. Januar in Berlin stattfindet. Angesichts von Digitalmonopolen, Autoritarismus und Desinformation lädt die dju zur Debatte darüber ein, welche Rolle Journalismus in dieser gesellschaftlichen Situation spielen kann.
mehr »

SZ-Streik macht sich bemerkbar

Mit Plakaten, Sirenen und deutlichen Forderungen läuteten 120 Redakteur*innen der Süddeutschen Zeitung am Dienstag den dritten Streiktag in München ein. Im Zentrum der Kritik: Ein Angebot der Arbeitgeber, das die inflationsbedingten Reallohnverluste kaum abfängt – und vor allem Berufseinsteiger*innen hart treffen würde.
mehr »

Ampelbilanz: Von wegen Fortschritt

"Mehr Fortschritt wagen" wollte die Ampel-Regierung laut Koalitionsvereinbarung von 2021 – auch in der Medienpolitik. Nach der desaströsen medienpolitischen Bilanz der vorausgegangenen Großen Koalition, so die Hoffnung, konnte es nun eigentlich nur besser werden. Von wegen. Die meisten der ohnehin wenig ambitionierten Vorhaben der Ampel blieben im Parteiengezänk auf der Strecke. Für den gefährdeten Lokal- und Auslandsjournalismus bleibt weiterhin vieles im Unklaren.
mehr »

Österreichs Rechte greift den ORF an

Eines muss man Herbert Kickl lassen – einen Hang zu griffigen Formulierungen hat er: „Die Systemparteien und die Systemmedien gehören zusammen, das ist wie bei siamesischen Zwillingen,“ sagte der FPÖ-Spitzenkandidat auf einer Wahlkampfveranstaltung im September. „Die einen, die Politiker, lügen wie gedruckt, und die anderen drucken die Lügen. Das ist die Arbeitsteilung in diesem System“. Seinen Zuhörenden legte Kickl mit seinen Worten vor allem eins nahe: Die rechte FPÖ könne dieses dubiose System zu Fall bringen oder zumindest von schädlichen Einflüssen befreien.
mehr »