Intendanten rangeln um einen Kompromißvorschlag zur ARD-Reform für die Ministerpräsidenten
Wenn hochbezahlte Rundfunkfunktionäre öffentlich miteinander scherzen, haben sie meistens etwas zu verbergen. Zumindest konnte man sich des Eindrucks bei der Pressekonferenz nach der Konferenz der ARD-Intendanten und Gremienvorsitzenden in Potsdam Ende September nicht erwehren. Eigentlich sollten zukunftsfähige Reformen verkündet werden, heraus kam aber nur ein Mehrheits- und ein Minderheitsvotum.
„Wir sind nicht besonders zerstritten“, meinte ARD-Vorsitzender Udo Reiter in Potsdam auf die Frage, ob die ARD nicht vor ihrer größten Zerreißprobe seit Jahren stehe. „Die ARD-Strukturreform nimmt Gestalt an“, verkündete er am 22. September optimistisch zum Ende zweitägiger Beratungen der Intendanten und einer Klausur mit den Vorsitzenden der Rundfunk- und Verwaltungsräte. Er sei sicher, daß man fristgerecht bis Ende Oktober den Ministerpräsidenten eine entsprechende ARD-Antwort auf den Reform-Fragenkatalog geben werde.
Was der MDR-Intendant in Potsdam als ARD-Lösung anbot, waren aber nur Vorschläge der sechs „gebenden“ Anstalten an die drei „nehmenden“ Anstalten im ARD-internen Finanzausgleich. Demnach wollen WDR, NDR, SWR, MDR, BR und HR den derzeitigen Ausgleichstopf von jährlich über 186 Millionen Mark bis auf einen Sockelbetrag von 80 Millionen oder ein Prozent des Gebührenaufkommens begrenzen. Das müsse für Saarland und Bremen als Zuschuß reichen. Der SFB würde laut eigenem Bekunden Zuschüsse nach der Jahrtausendwende sowieso nicht mehr benötigen. Die restlichen 106 Millionen Mark pro Jahr sollen beginnend ab 2001 über zwei Gebührenperioden hinweg gegen Null gefahren werden. Außerdem soll der Fernsehvertragsschlüssel, der die Zulieferungen zum Ersten und die Abführungen für Gemeinschaftseinrichtungen und -aufgaben regelt, dem Gebührenschlüssel angepaßt werden.
Der offiziellen ARD-Erklärung und Erläuterungen ihres Vorsitzenden folgte noch während der Pressekonferenz das Veto der Betroffenen. So bezeichnete der Intendant des Saarländischen Rundfunks, Fritz Raff, das Angebot als „nicht ausreichend“. Er verlangte mindestens 1,5 Prozent Sockelbetrag, einen späteren Beginn der Reduzierungsphase als 2001 und eine längere Dauer des Übergangs. Raff warnte zugleich vor den Gefahren der Anpassung von Fernsehvertrags- und Gebührenschlüssel. Zwar bringe das Entlastung für kleine Anstalten, doch dort stünden dann „betriebsbedingte Kündigungen“ aufgrund der geringeren Programmzulieferungen an. Raff sprach von 25 bis 30 Prozent Personalkürzungen.
Auch SFB-Intendant Horst Schättle widersprach vehement der Annahme, die Berliner Anstalt werde künftig freiwillig aus dem Finanzausgleich ausscheiden. Angesichts von Gebührenausfällen von allein 17 Millionen Mark in diesem Jahr und insgesamt fast 50 Millionen bis 2001 brauche der SFB dringend Unterstützung. Deshalb habe man sich an die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) mit der Bitte gewandt, den SFB-Bedarf individuell in einer Sonderprüfung zu ermitteln. Ohne ARD-Unterstützung seien selbst „zarte Pflänzchen der Kooperation“ wie die gemeinsamen Radioprogramme mit dem ORB gefährdet, drohte Schättle.
„Die Aufgabenverteilung ergibt sich aus dem Finanzdruck“ (Reiter)
Nicht nur als Gastgeber saß ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer zwischen den Fronten – die Potsdamer Anstalt ist weder nehmender noch gebender Sender. Rosenbauer erinnerte daran, daß in den „Hamburger Eckwerten“ vom Juni dieses Jahres dem ORB und SFB eine Fusion nahegelegt wurde (M 6/98). Dazu wolle er mit Schättle den Zeitplan und die Wege zu einer Zweiländeranstalt erarbeiten und ab Herbst 1999 – nach den Wahlen in beiden Ländern – der Politik präsentieren. Auch Rosenbauer geht aber von nur 1400 Mitarbeitern der künftigen Berlin-Brandenburg-Anstalt aus, die gemeinsam ein Drittes TV-Programm und vier Hörfunkwellen betreiben. Das bedeutet – nach dem Gebührenaufkommen berechnet – vor allem beim SFB eine Personalreduzierung von 25 Prozent und zugleich einen Abbau des gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunkangebots in der Region.
Für Reiter stellt sich das alles gar nicht so problematisch dar: Solidarität habe auch etwas mit Gerechtigkeit zu tun, derzufolge man nur das ausgeben kann, was man hat, beschied der Intendant eine Journalistenfrage nach der bröckelnden ARD-Solidarität. Verabschieden werde man sich auch von dem Prinzip „eine Stimme für jede Anstalt“ in allen Angelegenheiten der Arbeitsgemeinschaft. Welche Form der Stimmengewichtung es künftig gebe, sei „kein Problem der ersten Reihe“. Denkbar sei ein Bundesratsmodell mit unterschiedlichen Stimmenzahlen für ARD-Anstalten je nach Größe. Überhaupt: Wer keine Krimis zum Ersten zuliefert, stimme in dieser Sache eben nicht mehr mit. Auch eine neue inhaltliche Aufgabenverteilung zwischen den ARD-Anstalten je nach Kompetenz brauche nicht extra debattiert und festgelegt werden, sie ergebe sich „automatisch aus dem Finanzdruck“.
Ob auch die Ministerpräsidenten der Logik „der Markt regelt alles“ folgen, ist offen. In einer ersten Reaktion „quakten die Frösche, deren Sumpf trockengelegt wird“ – um in der Diktion der Reiterschen Sprecherin Susan E. Knoll zu bleiben. So erklärte die IG Medien: „Wenn dieses ,Angebot‘ der gebenden Sender Wirklichkeit wird, ist das Ende der kleinen Anstalten besiegelt“, da diese durch die Absenkung eines Restbetrages über zwei Gebührenperioden in eine „Abwärtsspirale“ getrieben würden, „an deren Ende ihnen die Eigenständigkeit genommen“ sei. Nach Auffassung der IG Medien wird mit dem vom amtierenden ARD-Intendanten getragenen Vorstoß gegen die kleinen Rundfunkanstalten das Ende des Finanzausgleichs und einer einheitlichen Rundfunkgebühr eingeleitet. Der Weg dorthin wäre mit „Personalabbau, Programmkürzungen und dem Verlust von Vielfalt insbesondere bei den Kulturprogrammen verbunden“. Der Wegfall des Finanzausgleichs widerspricht nach Auffassung der Gewerkschaft sowohl dem geltenden Rundfunkstaatsvertrag als auch der einschlägigen Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und insbesondere der ARD beruhe wesentlich auf dem Prinzip der einheitlichen Rundfunkgebühr und dem Föderalismus der Rundfunkanstalten der Länder.
(Siehe dazu auch Seite 12)