Weniger Politikeinfluss, stärkere Gremien

Mainz: ver.di-Diskussion nach dem Urteil von Karlsruhe im ZDF

Große Einigkeit in der Einschätzung des ZDF-Urteils. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer befand, das Urteil stärke die Gremien und die öffentlich-rechtlichen Medien. Nach Ansicht von Uwe Grund, Vorsitzender der Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK), dem Dachverband der Rundfunkräte, hat das Bundesverfassungsgericht die „herausragende Rolle” der Gremien betont. ZDF-Intendant Thomas Bellut freut sich gar über starke Fernsehräte: „Das Urteil stärkt auch die Gremien, sich selbstbewusst und unabhängig im Fernsehrat einzubringen.”

Werner Hahn, Justitiar des NDR und Vorsitzender der Juristischen Kommission ARD, ZDF-Intendant Thomas Bellut und ZDF-Journalist Uli Röhm.  Foto: ZDF / Rico Rossival
Werner Hahn, Justitiar des NDR und Vorsitzender der Juristischen Kommission ARD, ZDF-Intendant Thomas Bellut und ZDF-Journalist Uli Röhm. Foto: ZDF / Rico Rossival

Einen Überblick über das ZDF-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu geben und erste Schlussfolgerungen zu ziehen – das war das Ziel der hochkarätig besetzten Tagung „Nach dem Urteil von Karlsruhe”, die ver.di im ZDF am 4. Juni im Mainzer Sendezentrum veranstaltete. Anders als vorgesehen, sagten allerdings die eingeladenen CDU-Politiker ihre Teilnahme ab. Offenbar ist die Einigkeit im politischen Raum doch nicht so groß. Man darf annehmen, dass mit dem Urteil der Kampf um den politischen Einfluss in den Sendern nicht erledigt ist. In einigen Staatskanzleien wird, wie man hört, recht erfindungsreich daran gebastelt, den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu folgen und zugleich der Politik ihren Einfluss zu bewahren.
Zentraler Diskussionspunkt des ZDF-Urteils ist eben diese Frage nach dem Einfluss der Politik. Künftig dürften nur ein Drittel der Gremienvertreter aus dem politischen Raum kommen, Vertreter der Exekutive eingeschlossen. Der Verfassungsrechtler Dieter Grimm hob hervor, dass die Verfassungsrichter das Vielfaltsgebot in den Vordergrund gestellt hatten – dieses Vielfaltsgebot „gilt auch für Staatsvertreter”. Die Besetzung der Gremien müsse also auch in diesem Punkt ausgewogen sein.
Tabea Rößner von Bündnis 90/Die Grünen, die die Verfassungsklage mit angestoßen hatte, will die Politik nicht aus den Gremien verbannen: „Die Politik ist ein Teil der intermediären Sphäre der Gesellschaft, Politiker vertreten die Interessen von Bürgerinnen und Bürgern. Es ist richtig und wichtig, dass sie in der Aufsicht von ARD und ZDF einen Platz haben.” Es müsse aber verhindert werden, dass sie ihre Macht in einer Art und Weise konzentrieren können, „um unliebsame Kritik der vierten Gewalt an der ersten und zweiten Gewalt zu blockieren”.

Kontrollfunktion

Nicht ganz so einig waren sich die Referenten in der Frage, ob die Exekutive aus den Gremien herauszuhalten sei, weil Medien schließlich die Politik kontrollieren und kritisieren sollten und die Kontrollierten nicht einfach gleichzeitig Kontrolleure sein könnten – wie es auch Verfassungsrichter Paulus in seinem Minderheiten-Votum sieht. So stellte es in Mainz auch Frank Werneke als offizielle ver.di-Position dar: „Vertreter und Vertreterinnen der Exekutive gehören nicht in Rundfunk- und Verwaltungsräte”. Für Karl-Eberhard Hein, den Prozessbevollmächtigten von Rheinland-Pfalz, hat das Urteil auch eine für die Staatsvertreter positive Perspektive: „Endlich auch eine positive Legitimation der Anwesenheit von Staatsvertretern”. GVK-Vorsitzender Uwe Grund befand, die Exekutive solle sich aus den Gremien fernhalten, denn „sie machen die Mediengesetze”. Werner Hahn, Justitiar des NDR und Vorsitzender der Juristischen Kommission ARD, schlug vor, die Staatsvertreter in den ZDF-Gremien könnten in Fernsehrat und Verwaltungsrat auch ohne Stimmrecht mitwirken, wie das im NDR schon seit Jahren praktiziert werde.
Sichtbar wurde freilich auch, dass der Einfluss der Politik auf die Sender nicht allein an der Zahl der Gremien-Sitze zu bemessen ist. ZDF-Intendant Thomas Bellut hielt sich da erwartbar sehr bedeckt und sagte, er habe sich weder als Leiter der Innenpolitik, noch als Programmdirektor noch als Intendant „unziemlich unter Druck gesetzt gefühlt”. Gleichwohl gibt es natürlich diesen Einfluss, etwa über die im ZDF sehr mächtigen Freundeskreise. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der Anhörung sehr ausführlich mit diesen Freundeskreisen befasst. „Die Freundeskreise sind nicht verboten”, so Dieter Grimm, es handle sich aber um eine „freiwillige Unterwerfung” unter den Willen von Parteien. Tabea Rößner nannte dies „die schwierigste Aufgabe der Politik: Die Macht oder politische Dominanz bestimmter Gruppen durch informelle Absprachen zu durchbrechen und Verkrustungen aufzuheben.”
Wie geht es weiter? Das Bundesverfassungsgericht hat den Ländern nur einen knappen Spielraum gelassen, das Urteil umzusetzen – bis Juni 2015. Jacqueline Kraege, Chefin der Mainzer Staatskanzlei, koordiniert die Medienpolitik der Länder. Sie berichtete, dass Anfang Mai die Arbeitsgruppe eingerichtet worden sei, die die Voraussetzung schaffe, „dass wir bis 2015 fertig sind”. Noch im Juni 2014 würden die Ministerpräsidenten einen konkreten Fahrplan verabschieden. Die Ein-Drittel-Vorgabe für die Gremienbesetzung mache es leichter, nun die Neuregelung des Staatsvertrages auszugestalten. Und der Zeitdruck sei am Ende bei den Diskussionen eher hilfreich.

Gefahr einer Versteinerung

Eine Frage, die nach dem ZDF-Urteil noch einige Probleme aufwerfen wird, ist die Vertretung der gesellschaftlichen Gruppen. Hier hat das Bundesverfassungsgericht von der Gefahr einer „Versteinerung” gesprochen und gefordert, auch andere als die eingeführten Großverbände zu berücksichtigen. Der Medienrechtler Karl-Eberhard Hain prognostizierte, die künftige Besetzung der gesellschaftlichen Gruppen werde „zu einem Kampffeld” werden. Er schlug vor, 10 oder 20 Prozent der Sitze in den Gremien als Experimentierfeld zu betrachten und sie mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen zu besetzen, die bisher keinen Zugang zu den Gremien hatten. Wie auf der Tagung zu hören war, ist die Nachfrage nach einem Platz im Fernsehrat des ZDF ziemlich groß. Sogar die Karnevalisten in Mainz haben schon Bedarf angemeldet – was nur darauf hinweist, dass viele die Aufgabe der Gremien nicht verstanden haben; sie sollen als Vertreter der Allgemeinheit agieren, nicht als Lobbyisten. Die Medienwissenschaftlerin Barbara Thomaß, Mitglied im ZDF-Verwaltungsrat, verwies darauf, dass das Bundesverfassungsgericht mit einem erweiterten Begriff von Öffentlichkeit arbeite. Er umfasse „mehr als das politische System mit seinen Hauptakteuren”. Ihre Schlussfolgerung: Die Bedeutung von sozialen Bewegungen und der Zivilgesellschaft sei gewachsen. Es sollte mit wissenschaftlichen Methoden und in einem „diskursiven Konsultationsprozess” ein Modell für die Besetzung durch gesellschaftliche Gruppen entwickelt werden, basierend auf aktuellen Erkenntnissen über Zusammensetzung, Tätigkeitsfelder und Beteiligte der Zivilgesellschaft für eine „gelingende Repräsentanz vielfältiger VertreterInnen”.
Tabea Rößner schlug vor, eine unabhängige Kommission einzusetzen, die einen solchen Prozess vorbereitet und Kriterien definiert. Wissenschaftler aus den Ländern könnten hier zuarbeiten. Eine solche unabhängige Kommission sollte schnell eingerichtet werden und turnusmäßig alle fünf Jahre zur Überprüfung des Status quo aktiv werden.
Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, zog schließlich den politischen Bogen noch etwas weiter. Die öffentlich-rechtlichen Sender müssten stärker auf ihren Markenkern setzen, die Programme schärfer profilieren und den Qualitätsjournalismus fördern. Sie versicherte, die enge Terminvorgabe durch das Bundesverfassungsgericht müsse unbedingt eingehalten werden. Sie kündigte auch an, dass die Ministerpräsidenten sich in den nächsten Schritten mit der Begrenzung der Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk befassen werden.

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