Wer kontrolliert das Internet?

Beim Jugendmedienschutz will jeder für alles zuständig sein

In den letzten zwei Jahrzehnten hat das Medienangebot sprunghaft zugenommen. Die Gesetzgebung hat Schritt gehalten. Kino, Fernsehen, Video, Internet: Für alle Bereiche wurde der Jugendschutz gesetzlich verankert. Doch jedes Mal ist ein eigenständiges Regelwerk mit eigenen Jugendschutzbestimmungen sowie eine eigene Instanz der Selbst- oder Fremdkontrolle geschaffen worden. Selbst Juristen sind der Meinung: Angesichts der mehrfachen Vermarktungs- und Verbreitungsmöglichkeiten von Spielfilmen und des Zusammenwachsens von Telekommunikation, Computer und digitalisiertem Rundfunk bedürfe es „einer Kehrtwende“ bei der Medienkontrolle.

Sämtliche Jugendmedienschützer teilen diesen Standpunkt. Zwischen Theorie und Praxis liegen allerdings Welten: Eine konsequente Reform würde zwangsläufig dazu führen, dass einige der Institutionen Kompetenzen abgeben müssten; „und welche Behörde“, kommentiert ein Jugendschützer sarkastisch, „löst sich schon gern selber auf.“ Doch auch die föderale Struktur der Bundesrepublik steht den Reformen im Wege. Rundfunk ist in Deutschland Ländersache; dem Gesetzgeber sind die Hände gebunden.

Reformvorschläge

Die verschiedenen Reformvorschläge sind teilweise in ein Eckpunktepapier einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingeflossen. Die Jugendministerkonferenz hat dieses Papier der Bundesregierung mit der Bitte vorgelegt, einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Neuregelung des Jugendschutzes zu entwerfen. Fernsehen und Hörfunk, beides Ländersache, werden von dem Eckpunktepapier jedoch nicht erfasst. Offiziell will das Bundesfamilienministerium noch nicht Stellung nehmen, doch unbestätigten Informationen zufolge scheint sich die Reform bislang auf einen Teilbereich zu beschränken: Für Mediendienste und Teledienste sollen die gleichen Jugendschutzregelungen gelten.

Damit würde immerhin ein stetiger Streit beendet. Anders als bei Kino- oder Fernsehfilmen ist die Zuständigkeit im Internet bislang allenfalls theoretisch eindeutig geregelt, denn für das Web gibt es gleich zwei gesetzliche Bestimmungen: das Teledienstegesetz und den Mediendienstestaatsvertrag. Unter Telediensten versteht der Gesetzgeber Angebote, die von vornherein auf spezielle Nutzergruppen beschränkt sind, weil der Zugang beispielsweise nur mit Passwort möglich ist. Mediendienste hingegen sind redaktionell bearbeitete Beiträge, die meinungsrelevant sind und sich an die Allgemeinheit richten. In der Praxis herrscht nicht immer Einigkeit darüber, welches der beiden Regelungswerke auf ein bestimmtes Internetangebot anzuwenden ist.

Aufsicht ohne Vollzugsmacht

Angesichts der immer stärkeren Ausbreitung des Internets und seiner absehbaren Verschmelzung mit dem Fernsehen ist aber schon jetzt die Reform der Reform absehbar. Die Aufsicht über Mediendienste im Internet obliegt den Ländern, die ihre Exekutivgewalt auf die Obersten Landesjugendbehörden (OLJB) übertragen haben. Behilflich ist den OLJB die Einrichtung jugendschutz.net (Mainz). Diese hat allerdings keine Vollzugsmacht; nimmt sie Verstöße gegen den Jugendschutz wahr, muss sie diese an die zuständige OLJB weiterleiten. Gerade weil die Einrichtung also nicht über „ordnungspolitische Instrumentarien“ verfüge, glaubt Wolf-Dieter Ring, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), die Landesmedienanstalten seien geeigneter für diese Aufsicht: „Wir müssen in die Lage versetzt werden, mit einer gleichen Messlatte und gleichen Instrumentarien wie beim Fernsehen vergleichbare Probleme zu meistern. Wir sollten alle Medienangebote, die sich an die Allgemeinheit richten, im Netz mitbeaufsichtigen. Wo ist denn noch der Unterschied zwischen ,Big Brother‘ im TV und im Internet?“

In dieser Frage erntet Ring jedoch heftigen Widerspruch. Fernsehen und Internet, sagt Joachim von Gottberg, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen, „funktionieren nach völlig anderen Prinzipien“. In der Tat sind Jugendschutzinstrumente, die sich im Fernsehen bewährt haben, im Internet völlig untauglich, weil der weitaus größere Teil des Internet-Angebotes aus dem Ausland stammt. Dort gelten andere Gesetze (zum Beispiel beim Rechtsradikalismus), dort wird der Pornografiebegriff zum Teil weitaus liberaler definiert, und aufgrund der Zeitverschiebung ist auch das Mittel der Sendezeitbeschränkung obsolet. Juristen bezweifeln überdies, ob die aus den Rundfunkgebühren finanzierten Landesmedienanstalten in einem Bereich tätig werden dürfen, der definitiv kein Rundfunk ist. Dies wäre nur dann möglich, wenn der Gesetzgeber die beiden Staatsverträge für Rundfunk und Mediendienste koppeln würde.

Abstimmung aller Bestimmungen

Die meisten Jugendschützer sind allerdings der Meinung, das Internet sei bei den Obersten Landesjugendbehörden sehr gut aufgehoben. Wenn überhaupt die Position einer Behörde gestärkt werden sollte, dann die der OLJB. Voraussetzung dafür wäre laut von Gottberg allerdings die Schaffung eines „Gesetzes zum Schutz der Jugend in den Medien“, deren Einhaltung die OLJB überwachen würden. In diesem Gesetz könnten die Jugendschutzbestimmungen für alle Medien zusammengefasst und aufeinander abgestimmt werden. Die OLJB sollten zudem ermächtigt werden, „für ihre Prüfaufgaben Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle zu nutzen.“ Würden diese den zulässigen Spielraum überschreiten, könnten die OLJB die Prüfergebnisse durch eigene ersetzen.

Von Gottbergs Vorschlag hat einen Hintergedanken: Die FSF befindet sich in einer Krise. Sie wurde 1993 gegründet, um Programmbeiträge von Privatsendern vor deren Ausstrahlung im Hinblick auf die Jugendschutzbestimmungen zu begutachten. Doch auch hier scheitert die Theorie an der Praxis. Von Gottberg: „Lehnt die FSF die Ausstrahlung eines Films ab, muss sich der Sender daran halten; trotz einer Freigabe können aber die Landesmedienanstalten den Film erneut prüfen und anders entscheiden. Bei dieser Doppelprüfung haben die Sender keine Planungssicherheit.“

Unklare Situation bei der FSF

Die Änderung des Rundfunkstaatsvertrages brachte eine weitere Schwächung der FSF mit sich: Die Freigabe indizierter Filme, vorher Aufgabe der FSF, obliegt nun den Landesmedienanstalten. Das hat zwangsläufig zu einer Konkurrenzsituation zwischen den beiden Einrichtungen geführt. Ein Jugendmedienschützer: „Den Landesmedienanstalten bleibt gar keine andere Wahl; sie müssen vermitteln, sie seien die besseren Jugendschützer, und zu strengeren Ergebnissen kommen“.

Wolf-Dieter Ring, der auch Vorsitzender der Gemeinsamen Stelle Jugendschutz und Programm der Landesmedienanstalten ist, verteidigt deren Position natürlich. Seine grundsätzliche Kritik: „Das Problem der FSF ist, dass sie einen Großteil der Sendungen gar nicht zu Gesicht bekommt. Sie wird nur eingeschaltet, wenn Sender indizierte Filme ausstrahlen wollen. Aber sie ist nicht bei Talkshows dabei, nicht bei Psycho-Shows wie ,Big Brother‘, nicht bei Eigenproduktionen wie TV-Movies“. Rings Schlussfolgerung: Wenn die FSF nicht alle Sendungen begutachten könne, „dann ist sie zukünftig überflüssig“.

Jüngster Beleg für Rings Position: RTL 2 hatte drei Filme ausgestrahlt, obwohl die Landesmedienanstalten sieben andere kurz zuvor als pornografisch eingestuft hatten. Gleichzeitig zeigt dieser Vorfall aber auch, wie diffizil die gesamte Thematik ist: Die Filme waren von der Juristenkommission der SPIO (eine Einrichtung der Filmwirtschaft, die unter anderem die FSK, die Freiwillige Selbstkontrolle für Kino- und Videofilme, trägt) und teilweise von der FSF freigegeben und als nichtpornografisch bezeichnet worden. Wie soll ein Sender seine Programme planen, fragt sich FSF-Chef von Gottberg, „wenn ihm niemand vorher sagen kann, ob die Landesmedienanstalten nicht vielleicht der Meinung sind, es könne sich sehr wohl um Pornografie handeln?“

Hintergrund des Dilemmas ist nicht zuletzt die Ungenauigkeit des Begriffes „Pornografie“. Der Gesetzgeber hat auf eine Definition verzichtet, weil der Begriff inhaltlich einer natürlichen Dynamik unterliegt; infolgedessen bleibt vieles Geschmacksfrage. Gerade dies wird spätestens im Zuge der Europäisierung des Medienmarktes zu sehr viel Diskussionsbedarf führen, denn unter Pornografie wie auch unter Gewalt wird in nahezu jedem europäischen Land etwas anderes verstanden. Die Selbstkontrolle, glaubt von Gottberg, sei am besten geeignet, diese Herausforderung zu meistern. Sie könne viel mehr leisten, als ihr bislang zugebilligt worden sei, doch sie benötige einen vernünftigen gesetzlichen Rahmen; „ohne den ist sie tot, und das wäre für den Jugendschutz ein Desaster.“

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