Wes‘ Brot ich ess, des Lied ich sing

rbb: Strafaktion gegen unbotmäßigen Kritiker

Gut ein Jahr nach der Fusion von SFB und ORB scheint es der Geschäftsleitung des rbb eklatant an Souveränität im Umgang mit Kritik zu mangeln. Wer gegen das Gebot „Wes‘ Brot ich ess, des Lied ich sing“ verstößt, muss damit rechnen, nicht mehr beschäftigt zu werden. Freie, die sich nicht ducken, müssen um ihre Existenz fürchten.

In der Überzeugung, dass gerade eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt die „offene Debatte braucht wie die Luft zum Atmen“, hatte sich der erfahrene Medienjournalist Günter Herkel vor allem im Fachdienst „epd Medien“ mehrfach kritisch über das neue Kulturradio geäußert. Im August bekam der langjährige freie Mitarbeiter des SFB den Auftrag, über das „Medienforum 2004“ zu berichten – für eben jenen von ihm kritisierten Sender.

Einen Tag vor dem geplanten Sendetermin am 28. August wurde Herkel jedoch mitgeteilt, dass auf Anweisung des Wellenchefs von Kulturradio, Wilhelm Matejka, der Beitrag aus dem Programm genommen worden war. Matejka begründet sein Vorgehen damit, dass er abwägen musste zwischen dem Bericht über eine Tagung, bei welcher Angelegenheiten des rbb und der ARD keine herausgehobene Rolle gespielt haben und der Ankündigung einer für den rbb bedeutsamen neuen Eigenveranstaltung. „Als vorgesetzter Programmmitarbeiter habe ich mich für das Projekt unseres Hauses entschieden“, argumentiert er. Ganz anders beurteilt Herkel den Vorgang: Ihm sei berichtet worden, dass der Beitrag unter ausdrücklichem Hinweis auf seine kritische Berichterstattung über die Kulturradio-Reform aus dem Programm gekippt worden sei. In Protestbriefen an Matejka und Hörfunkdirektorin Hannelore Steer wertete Herkel die Maßnahme als „Strafaktion gegen einen unbotmäßigen Kritiker der auch von der gesamten Fachöffentlichkeit verrissenen Reform.“

Juristisch ist das Vorgehen von Matejka unzweifelhaft, ungewöhnlich bleibt der Eingriff in die Programmgestaltung der Redakteure dennoch. „Aktuelle Änderungen gehören notwendig zur journalistischen Arbeit mit unserer Sendestruktur“, erläutert Matejka. Wenn er nicht selbst ins Programm eingreife, täten dies ausdrücklich dazu berechtigte und verpflichtete Mitarbeiter, die Verantwortung läge jedoch immer bei ihm als Programmchef.

Die Hörfunkdirektorin spricht in ihrer Replik auf Herkels Brief eine andere Sprache: Wenn sie an die von Herkel publizierten Berichte über den rbb denke, frage sie sich, warum dieser ein Interesse daran habe, seine Fachkompetenz in die Dienste des Hauses zu stellen. „Ich jedenfalls werde niemandem in unserem Hause empfehlen, die Zusammenarbeit mit Ihnen zu suchen“, endet Steer.

Obwohl das Geschehen noch im Redakteursausschuss erörtert wird, sieht Herkel für sich keine Zukunft mehr beim rbb: „Mein Fall ist erledigt, ich bin draußen.“ Der Schlusssatz von Steer sei für ihn deutlich und enthalte ein verklausuliertes Arbeitsverbot beim rbb. Er sehe darin Parallelen zum Fall Jürgen Schäfer, den er für noch viel skandalöser halte, so Herkel weiter. Schäfer hatte sich als Sprecher von rbbpro, der Freienvertretung im Sender und als ver.di-Verhandlungsführer für die Rechte der Freien eingesetzt. Im Juni bekam er die Nachricht, dass sein Beschäftigungsverhältnis aus „strukturellen Gründen“ nicht verlängert werden könne. Gewerkschaftliche Interessenvertretung soll durch Abschreckung unmöglich gemacht werden, folgert Herkel.

 

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