Unchristlicher Umgang in christlich orientierter Zeitung im Schwäbischen
Die Kolleginnen und Kollegen der dju / SWJV in ver.di Baden-Württemberg in Oberschwaben und der Landesvorstand der Fachgruppe Journalismus sind schockiert über die offenbaren Zensur-Hintergründe, die bei der „Schwäbischen Zeitung“, Leutkirch, zum Rauswurf von zwei Lokalredakteuren in Biberach geführt haben und fordern die Verlagsleitung auf, „die Kündigungen zurückzunehmen und auf den Boden der Pressefreiheit zurückzukehren“.
„In Gutsherrenart werden bei der „Schwäbischen Zeitung “ Arbeitsverhältnisse beendet“, kritisiert der Landesvorstand. Da werde einerseits in Redakteurs-Konferenzen, wie erst vor wenigen Wochen in Bad Saulgau, die kritische und unabhängige Berichterstattung eingefordert, andererseits würden Kollegen, die dies beherzigen, vor die Tür gesetzt. Diese Meinung teilen viele Leser der SZ, die dies bei einer Demonstration der dju in ver.di und DJV auf dem Biberacher Marktplatz, in Unterschriftenlisten und in Leserbriefen unmissverständlich zum Ausdruck brachten. Von einem „schier unglaublichen Abschuss“ ist da die Rede und von einem „politischen Macht-Dreieck Landrat, Chefredakteur und Fürst von Waldburg-Zeil“, dem Hauptanteilseigner der Zeitung „für christliche Kultur“. Es bildete sich spontan ein „Aktionsbündnis Pressefreiheit“, das der „Schwäbischen Zeitung“ den Missbrauch ihrer Monopolstellung vorwirft. Prominentester Kritiker der Leutkircher Machenschaften ist Oberbürgermeister Fettback (SPD), der als Hauptredner bei der Demonstration mit über 500 Teilnehmern sich um den Ruf seiner Stadt und die Pressefreiheit besorgt zeigte.
Leser für dumm verkauft
Der Vorgang: Nach 34 Jahren hatte die „Schwäbische Zeitung“ dem Lokal- und Regionalchef der Zeitung in Biberach Gunther Dahinten den Stuhl vor die Türe gestellt. Dahinten musste wie sein Kreisredakteur Dr. Roland Reck von jetzt auf gleich seinen Schreibtisch räumen. Chefredakteur Joachim Umbach teilte fünf Tage nach dem Rauswurf den Lesern in Biberach mit, dass Dahinten freigestellt worden sei, „da schon länger andauernde Meinungsverschiedenheiten nicht mehr auszuräumen waren“. Zum Fall Reck erklärte der Chefredakteur, dass „die anhaltend unbefriedigende wirtschaftliche Situation“ den Verlag gezwungen habe, sich von dem Kreisredakteur „aus betrieblichen Gründen zu trennen“. Das ist die offizielle Leseart des Chefredakteurs, der den Lesern versicherte, „einen unabhängigen, sauberen und fairen Journalismus zu machen“. Ein Leser antwortete ihm: „Auch ein Chefredakteur sollte seine Leser nicht für dumm verkaufen wollen.“
Zwielichtiges Verhalten zur Demokratie
Der Hintergrund: Der Kreisredakteur, der erst seit einem Jahr der Biberacher Redaktion angehörte, war wiederholt wegen kritischer Berichterstattung in Richtung Landratsamt aufgefallen. Dort residiert Landrat Peter Schneider, der bei der jüngsten Landtagswahl mit landesweit bestem Stimmenergebnis für die CDU ins Stuttgarter Parlament einzog und dies, wie er verkündete, gegen die Stimmungsmache der örtlichen Medien. Schneiders Verhältnis zu demokratischen Spielregeln ist zwiespältig. Eine Kostprobe: „Ich lasse es nicht zu, dass in der Öffentlichkeit Politik gemacht wird“, erklärte der erboste Machtpolitiker und fand sich solchermaßen zitiert und kommentiert sowohl in der „Südwest Presse“, Laupheim, als auch in der „Schwäbischen Zeitung“, Biberach, wieder. Schneider schreckte auch vor offener Drohung nicht zurück. Bereits im Sommer letzten Jahres empörte ihn ein Kommentar (!) von Reck dermaßen, dass er dem Lokalchef Dahinten ankündigte, er werde alles in seiner Macht stehende tun, dass diese Art der Berichterstattung aufhört. Dass Schneider es damit ernst meinte, bestätigte Kreisrat Dr. Bruno Mader gegenüber dem SWR. Mader wies darauf hin, dass der Landrat auch gegenüber Kreisräten sich über die kritische Berichterstattung empört gezeigt und mit Konsequenzen gedroht habe.
Reck nahm offensichtlich seine Berichtspflicht ernster als die Einschüchterungsversuche aus dem Landratsamt. Anfang Februar berichtete der Kreisredakteur gestützt auf Aussagen von Fachleuten ausführlich über die extrem restriktive Bewilligung von Sozialhilfe durch das Sozialamt Biberach. Der Landrat musste in der Zeitung lesen, dass nach Meinung eines Caritas-Abteilungsleiters im Sozialamt mit Antragsstellern wie mit Verdächtigen bei der Polizei umgesprungen werde. Ende Februar musste sich der Landrat wiederum Kritik gefallen lassen, als Reck darüber berichtete, dass im Landkreis Biberach Durchführungsbestimmungen zum Landesjagdgesetz nicht umgesetzt werden. Der Jäger und Landtagsabgeordnete Schneider geriet dabei in die Schusslinie des Stuttgarter Ministeriums, das dem Karriere bewussten Landrat vorhielt, „eine eigenständige Politik gegen Stuttgart“ zu machen.
Klima der Angst
Die Biberacher Lokalberichterstattung war bis zu diesem Zeitpunkt trotz wiederholter Klagen von CDU und Landrat von der Chefredaktion in Leutkirch gestützt worden. Das änderte sich nun schlagartig. Chefredakteur Umbach entdeckte plötzlich „Kampagnen-Journalismus“ und forderte seinen Biberacher Lokalchef auf, dafür zu sorgen, dass auch in Biberach wieder ein kritischer und unabhängiger Journalismus stattfindet. Aber statt einer inhaltlichen Diskussion folgte der sofortige Rausschmiss der in Ungnade gefallenen Redakteure. Begründung: siehe oben!
Die Konsequenz: Furcht einflößend empfanden dies die zurückgebliebenen Kolleginnen und Kollegen in der Biberacher Redaktion. In ihrer Erklärung heißt es: „Mit Gunther Dahinten und Roland Reck verlieren wir zwei von uns respektierte, engagierte, alles andere als arbeitsscheue Kollegen, die sich mit der „Schwäbischen Zeitung “ identifiziert haben. Die atemberaubende Konsequenz, mit der die beiden entfernt wurden – bis zur letzten Sekunde ahnten sie nicht, wie ihnen geschieht – schafft ein Klima der Angst: Wer könnte der nächste sein? Ob wir in einem solchen Umfeld künftig zupackend, kritisch und fair arbeiten können – wir meinen, das taten wir bisher – wird sich zeigen.“