Tage der Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus gezählt
Seit Ende 2002 leitet Fritz Burschel die Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus in Weimar. Abgesehen von allen Anfeindungen durch „ehrbare Bürger“ wie handfeste Neonazis: Bestenfalls bis Ende 2006 läuft die Finanzierung über das Bundesprojekt Civitas noch. Und danach?
Fritz Burschel sitzt in seinem kleinen Büro am Weimarer Herderplatz. Aus seinem Fenster schaut er auf bürgerliche Idylle; die Freisitze unter alten Bäumen sind von Touristen bevölkert. Drei Etagen über ihm, im Dachgestühl des einstigen Wilhelm-Ernst-Gymnasiums, befindet sich das Studio von „Radio Lotte“, für das er auch als Redakteur tätig ist. Der nichtkommerzielle Sender macht ein unabhängiges und werbefreies Programm – er wird mit Projektgeldern finanziert. Gleichzeitig ist „Radio Lotte“ Träger der Weimarer Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus. Das ist eine weit und breit einmalige Konstellation – wo sonst haben Netzwerker eine direkte Möglichkeit, sich an die Öffentlichkeit zu wenden? Und dennoch steht dem 40jährigen die Sorge ins Gesicht geschrieben: „Meine Tage hier sind gezählt“, sagt er nüchtern. Zum einen hält der Weimarer Stadtrat, mehrheitlich bestehend aus dem „schwarzen Block“ (Honoratioren-Wahlverein Weimarwerk und CDU), Burschels Arbeit in der Netzwerkstelle für „entbehrlich“ und hätte am liebsten sämtliche Zuschüsse gestrichen. Zum anderen erfolgt die Finanzierung der Stelle vorwiegend aus Bundes- und Landesmitteln, und zwar im Rahmen des Projektes Civitas, das die rot-grüne Bundesregierung 2001 auflegte und das spätestens Ende 2006 ausläuft. Vielleicht auch schon früher, wenn die im September zu wählende neue Bundesregierung der gleichen Meinung ist wie der Weimarer Stadtrat.
Seit drei Jahren bemüht sich der gestandene Oberbayer in Weimar um zivilgesellschaftliche Lösungen gegen die deutlichen rechtsextremen Tendenzen in der Region. Vorher tat er dasselbe in Gera. Einfacher wäre es gewesen, als Redakteur beim Ebersberger Lokalteil der Süddeutschen Zeitung weiter zu arbeiten. Doch Burschel ist nicht der Mann für die einfachen Wege: Seit über 20 Jahren ist der streitbare Journalist in der Antifa aktiv. Da war es nur folgerichtig, dass er diese Haltung in berufliche Aktivität umsetzte. Er lebt ganz gelassen damit, steckbrieflich auf diversen Neonazi-Websites vermerkt zu sein. Er hat sich gewöhnt an die Angriffe, die längst nicht nur aus dem rechtsextremen Lager kommen.
„Auwehzwick, so schnell kann’s geh“, sagt man in Burschels Herkunftsregion, wenn dramatische Ereignisse in ruhigem Ton kommentiert werden sollen. Doch man sieht dem studierten Politologen und Historiker an, dass Frust, Trauer und Wut in ihm brodeln: Er sieht die beabsichtigte Abwicklung der Netzwerkstelle als Affront gegen seine Arbeit und die zahlreichen erfolgreichen Aktivitäten und Veranstaltungen, die von ihm initiiert wurden. Spätestens, seitdem Burschel die brutalen Polizeieinsätze am Rande eines Nazi-Aufmarsches in Weimar kritisiert und Ordnungskräften wie -politikern ein tendenziell antidemokratisches Verhalten diagnostiziert hatte, herrscht seitens der Stadt eisige Ablehnung. Einziger Verbündeter in diesem Umfeld scheint nur der parteilose Oberbürgermeister Volker Germer: Der hatte sich hinter Burschels Aufforderung zu zivilem Ungehorsam gestellt und praktiziert selbst eine offen antirechte Haltung ohne politisches Kalkül.
Die Mehrheit der Weimarer Bürger jedoch ignoriert die deutlichen rechtsextremen Tendenzen – angefangen von den Treffen der beiden in der Stadt ansässigen Kameradschaften über „nationale Stadtrundgänge“ bis hin zu Neonazi-Aufmärschen. „Rassistische und antisemitische Tendenzen sind wie überall auch in der Weimarer Bürgerschaft weit verbreitet“, weiß Burschel. Langfristig ändern könne dies nur ein Konzept, das humane Orientierungen, Zivilcourage und wirkliche Streitkultur in die Breite trage. „Das kann eine vorübergehend arbeitende Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus nicht leisten – sie kann bestenfalls ein Katalysator sein.“ Vielmehr müssten die Leute begreifen, dass sie selbst etwas tun müssen. „Wenn Gegenwehr gefragt ist, stehen die Weimarer Bürger schon auf. Aber im Alltag gibt es keine Diskussionskultur.“ Die wiederum versucht Burschel über Beiträge und Interviews bei „Radio Lotte“ anzukurbeln.
Doch ein steter Tropfen sind seine thematischen, streitbaren Einsprengsel in den täglichen zehn Sendestunden nicht wirklich. „Wir müssen Diskussionen zuspitzen, um voran zu kommen“, ist Burschels Maxime. Klar, dass die alles andere als Gegenliebe bei den Stadträten erzeugt. Vielmehr möchte man dort den Ruf der Stadt als geschichtsträchtige bürgerliche Touristenidylle bewahren. Da schaut man gern über die eine oder andere unangenehme „Ausnahme“ hinweg.
Die Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus in Weimar wird also bald der Vergangenheit angehören. Ob es Aktive geben wird, die diese Arbeit ehrenamtlich weiterführen, ist fraglich. Auch Burschels Zukunft ist ungewiss: Ein neuer Job ist nicht in Sicht. Aber eigentlich müssten zivilgesellschaftliche Initiativen bei dem erfahrenen Netzwerker Schlange stehen.
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Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus
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