Zur aktuellen Debatte um Multimedia und die neuen Mediendienste
Sicher ist es noch nicht, aber vieles spricht dafür, daß der 13. Mai 1996 in die bundesrepublikanische Mediengeschichte als “Schwarzer Montag“ eingehen könnte. Zur Eröffnung der Leipziger Medienmesse hat Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) an diesem Tag in seiner Eröffnungsrede ein eindeutiges politisches Signal gesetzt: Sachsen werde anders als die anderen Bundesländer dem geplanten Bundesgesetz für neue Medien zustimmen.
Elf Tage zuvor hatte sein Parteikollege und Bundesminister für Bildung und Forschung, Rüttgers, erneut die Zuständigkeit des Bundes für Multimedia reklamiert. In einem Eckpunktekatalog hatte Rüttgers die Rahmenbedingungen für die gesetzliche Regelung der multimedialen Anwendungen skizziert. Das wichtigste Gebot im Multimediagesetz des Bundes ist seiner Auffassung nach das der „Offenheit des Multimedia-Marktes“. O-Ton Rüttgers:“Wir gehen vom Grundsatz der Zulassungs- und Anmeldefreiheit der neuen Dienste und damit von der Gewerbefreiheit aus.“
Für ihre neuen und profitträchtigen Medienaktivitäten sollen die alten Medienkonzerne und ihre neuen Multimediapartner bzw. Konkurrenten also freie Bahn haben. Wer Deregulierung propagiert favorisiert die anarchischen Gesetze des Marktes. Deren Resultat ist noch immer Konzentration und Zentralisation. Unter dem falschen Etikett der Marktöffnung wird also eine neue Etappe der Konzentration eingeleitet. Diese wird auch die Netze nicht unberührt lassen.
Die Folgen für die Medienfreiheit sind noch nicht absehbar. Wer allerdings den Konzentrationsprozeß der vergangenen Jahre sowohl im Printmedienbereich als auch im Rundfunkbereich verfolgt hat, muß mehr als skeptisch sein. Das partielle Versagen hinsichtlich der Konzentrationskontrolle im Bereich des privat-kommerziellen Rundfunks ist nicht etwa korrigiert sondern durch die Senkung der Meßlatte sanktioniert worden.
Bis Anfang Mai waren sich die für Rundfunk zuständigen Bundesländer noch einig, daß hinsichtlich der neuen Mediendienste die Zuständigkeit der Bundesländer gegeben ist. Die Ministerpräsidenten Stoiber (CSU) und Beck (SPD) hatten sogar erklärt, bis zum Bundesverfassungsgericht gehen zu wollen, wenn der Bund in ihre Zuständigkeit eingreift. Mit dem Ausscheren Sachsens durch die Ankündigung Biedenkopf dem geplanten Bundesgesetz für Multimedia zuzustimmen, ist der bisherige Konsens der Bundesländer bei der Gesetzgebung für die sogenannten neuen Mediendienste nun zerbrochen.
Zwei Optionen zeichnen sich ab:
Entweder, da die Bundesländer sich nicht einigen können, setzt sich der Bund mit seiner Rahmengesetzgebung durch und schafft so Fakten, die nicht mehr revidierbar sind. Oder die Bundesländer finden einen Konsens auf dem von Rüttgers vorgegebenen Weg. Den Interessen der Industrie wäre damit genüge getan. Ihren Anspruch medienpolitisch zu gestalten hätten die Bundesländer damit auf dem Multimediasektor allerdings aufgeben.
Das Gefährdungspotential für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung ist mit Regelungen zum Verbraucher-, Daten- und Jugendschutz nur unzureichend erfaßt. Über die Regelungsanforderungen zu den drei letztgenannten Komplexen liegen die Auffassungen der Diensteanbieter, Politiker und gesellschaftlichen Interessengruppen übrigens noch ziemlich weit auseinander. Hier herrscht noch erheblicher Diskussions- und Klärungsbedarf.
Es geht dabei übrigens nicht darum, wie von interessierter Seite oft fälschlich behauptet wird, das Internet selbst mit dem neuen Gesetz regeln zu wollen. Es geht um die Zuständigkeit der dort agierenden Diensteanbieter. Um ihre spezifischen Dienste und Programme, für die sie verantwortlich sind. Andererseits geht es um Transparenz auf diesem Markt. Ohne Zulassung oder Anmeldung ist diese schon vom Ansatz her nicht gegeben.Darüber hinaus geht es auch darum, wieweit der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich an den neuen Diensten beteiligen dann oder sie selbst veranstalten darf. Seit dem Angriff von Stoiber und Biedenkopf auf die ARD vor zwei Jahren ist es Strategie der Konservativen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf eine Grundversorgung, die als Mindestversorgung interpretiert wird, zurechtzustutzen. Auch mit ihrer sehr eng gefaßten Definition des Rundfunkbegriffs verfolgen Wirtschaft und liberal-konservative Politiker dieses Ziel. Mit dem Kampf gegen den auch vom Bundesverfassungsgericht weit und flexibel gefaßten Rundfunkbegriff wollen sie Definitionsmacht gewinnen und die Bestands- und Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschneiden.
Ministerpräsident Biedenkopfs Ausscheren aus dem bisherigen Konsens der Länder darüber was ihre Zuständigkeit hinsichtlich Rundfunk ist, bedeutet eine weitere Etappe auf dem Weg zur einschneidenden Veränderung der Medienlandschaft in der Bundesrepublik zugunsten privat-kommerzieller Medienanbieter.