25 Jahre Privatfernsehen, aber der Jubel hält sich in Grenzen. Streikende Mitarbeiter vor der Berliner Sat.1-Zentrale, besorgte Gesichter bei RTL angesichts dramatisch sinkender Werbeerlöse – so rechte Feierstimmung will bei den großen Privatsendern derzeit nicht aufkommen. Mit geringer Verzögerung hat die Finanzkrise auch Teile der elektronischen Medien erfasst. Die Abhängigkeit vom Werbemarkt zeigt erste Auswirkungen auf die Programmpolitik der Privaten. Die fetten Jahre scheinen einstweilen vorbei.
Mit großem Pathos, begleitet von Händels Feuerwerkmusik und Dvoraks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ war vor 25 Jahren das erste private TV-Programm auf Sendung gegangen. Gerade mal 1.200 Zuschauer wohnten am 1. Januar 1984 in Ludwigshafen dem zum „medienpolitischen Urknall“ stilisierten Sendestart des Sat.1-Vorläufers PKS (Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk) bei. Nur einen Tag später folgte RTL (anfangs noch unter dem Namen RTL plus) – mangels deutscher Zulassung zunächst per terrestrischer Ausstrahlung aus Luxemburg – mit immerhin einer Reichweite von rund 200.000 Zuschauern. Was auf Sparflamme begann und wegen seiner inhaltlichen Armut von Medienkritikern zunächst belächelt wurde, mauserte sich rasch zum mächtigen Gegenspieler des öffentlich-rechtlichen Systems.
Ein Jahr nach dem „Urknall“ wurde die PKS in Sat.1 umbenannt. Einer der wichtigsten Kapitalgeber und Programmlieferanten war von Beginn an der Münchener Filmzar Leo Kirch. Er drängte im Laufe der Zeit die zunächst ebenfalls einflussreichen Zeitungsverleger aus dem Sender und übernahm 1997 die Kontrolle bei Sat.1. Sein Versuch, mit der kalten Übernahme der Axel Springer AG einen mächtigen Multimedia-Verbund zu formieren, scheiterte ebenso wie unlängst der umgekehrte Plan Springers, sich die später entstandene Senderfamilie ProSiebenSat.1 einzuverleiben. Die Gewinnzone erreichte ProSiebenSat.1 erst nach dem Kirch-Konkurs und einer radikalen Sanierung durch den US-Investor Haim Saban.
Wirtschaftlich erfolgreicher verlief der Aufstieg von RTL. Ab 1985 sendete man auch per Satellit und baute in den Folgejahren seine Reichweite in Deutschland kontinuierlich aus. Schon 1990 machte man Gewinne, drei Jahre später wurde RTL erstmals Marktführer. Anfangs herrschte noch die Überzeugung, auf Dauer werde sich nur ein privater Sender etablieren können. Daher wurde in der Pionierphase mit harten Bandagen um die Zuteilung terrestrischer Frequenzen gerungen.
Zeit der Kabelpilotprojekte
Den Privaten ging der Ausbau des Kabelnetzes nicht zügig genug voran, und auch der Satellitenempfang war noch längst kein Massengeschäft. Für die Frequenzvergabe zuständig waren die Länder, was zu einer Standortpolitik mit klarer politischer Schlagseite führte. Während die SPD-regierten Länder RTL und dessen Hauptanteilseigner Bertelsmann begünstigten, favorisierte die CDU in ihrem Machtbereich eher Sat.1, dessen Chef Leo Kirch aus seinem freundschaftlichen Verhältnis zu Altkanzler Helmut Kohl keinen Hehl machte. Dies sei „quasi die Geburtsstunde der Standortpolitik“ gewesen, räumte unlängst der damalige Sat.1-Geschäftsführer Jürgen Doetz ein. Als Gegenleistung für die Frequenzvergabe gelang es den Landesfürsten, den Sendern ein mehr oder weniger großzügiges regionales TV-Fenster abzutrotzen.
Wie kam es zu der rasanten Akzeptanz des Privatfunks? Es war der damalige SPD-Postminister Horst Ehmke, der 1973 die Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK) mit der Abfassung eines „Telekommunikationsberichts“ beauftragte. Trotz eines starken Übergewichts von Vertretern aus Wirtschaft, Verlagen und Banken lehnte die Kommission seinerzeit den Aufbau eines bundesweiten Kabelnetzes „wegen des Fehlens eines ausgeprägten und drängenden Bedarfs“ ab. Stattdessen empfahl sie so genannte Kabelpilotprojekte durchzuführen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollten Entscheidungen über die gesellschaftliche Nutzung der Breitbandkommunikation, insbesondere des Kabelfernsehens, vorbereiten helfen. Die ab 1984 gestarteten vier „Modellversuche“ waren schon damals eher Politprojekte, Kampfarenen um das künftige Rundfunksystem. Verfolgte die CDU mit den Projekten die Strategie, auf elegante Weise ihre seit den 50er Jahren („Adenauer-Fernsehen“) nie aufgegebenen Privatfunkpläne endlich zu realisieren, hoffte die SPD auf Zeitgewinn, erlag gar der Illusion, diese „Versuche“ eventuell „zurückholen“ zu können. Spätestens als Ehmkes CDU-Nachfolger im Postministerium, Christian Schwarz-Schilling, sich an die Vollverkabelung der Republik machte, waren die vermeintlichen Pilotprojekte zu einem Anachronismus verkommen. In der Folge wurden in hektischer Eile in den meisten Bundesländern Landesmediengesetze verabschiedet, um in mehr oder weniger liberaler Weise privaten Kabel- und Satellitenrundfunk zu erlauben. Das Medienkapital hatte sich unterdessen den Weg zur Mattscheibe längst freigekämpft. Lediglich der Überbau hinkte wie üblich um Längen hinterher.
In seinem Vierten Rundfunkurteil sorgte das Bundesverfassungsgericht 1986 dafür, dass die neue Rundfunkordnung künftig eine „duale“ sein sollte. Den öffentlich-rechtlichen Anstalten wies das Gericht die Aufgabe zu, für die unerlässliche „Grundversorgung“ einzustehen. Zugleich hielten die Richter es aufgrund der unterschiedlichen Finanzierung für „gerechtfertigt, an die Breite des Programmangebots und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk nicht gleich hohe Anforderungen zu stellen wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“. Eine Klarstellung, die die Privatfunkveranstalter dankbar aufgriffen. Vor allem RTL bewies angesichts bescheidener Ressourcen anfangs erstaunlich viel Kreativität bei der Entwicklung von Programmformaten, wie es sie bis dahin im deutschen TV nicht zu sehen gab. Blödsinn statt Bildung: Krawall-Formate wie „Explosiv“ und „Der heiße Stuhl“ oder mit Soft-Erotik aufgeladene Shows wie „Tutti Frutti“ sorgten dafür, dass manche Kritiker dieser Spielart des Privat-TV bald das böse Prädikat „Unterschichten-Fernsehen“ verpassten. Mit dem Staatsvertrag der Länder „über die Neuordnung des Rundfunkwesens“ wurde 1987 die Koexistenz von privat-kommerziellem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk juristisch fixiert und bestätigt.
In den Folgejahren bauten die Pioniere des Privatfernsehens ihre Reichweiten und Marktanteile zügig aus. Die Hoffnung konservativer politischer Kräfte, die neuen TV-Player würden ihr jahrelanges Eintreten für freie Konkurrenz auf der Mattscheibe mit entsprechender politischer Sympathie vergelten, erfüllte sich freilich nicht. Nachrichten, Polittalks oder andere seriöse Informationsformate galten den Privatfunkern zunächst schlicht als Programmblocker. Es sollte Jahre dauern, bis mit „RTL aktuell“ eine halbwegs ernst zu nehmende private „Newsshow“ entwickelt wurde.
Eindrucksvolle Erfolgsbilanz
„Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“ – nach dieser Devise setzte der frühere RTL-Geschäftsführer Helmut Thoma auf eine bedenkenlose Orientierung am Massengeschmack. (Was hinterher mit dem Fisch geschehen mochte, interessierte ihn weniger). Erfinderisch soll sich Thoma auch bei der Revolutionierung des Werbegeschäfts gezeigt haben, als er kurzerhand die Gruppe der 14- bis 49jährigen zur „werberelevanten Zielgruppe“ erklärte. „Das hat er schlicht erfunden, und später hat es sich dann europaweit verselbständigt“, behauptete unlängst Thomas Nachfolger Gerhard Zeiler. Ob Wahrheit oder Legende: Vor allem den öffentlich-rechtlichen Anstalten macht diese Klassifizierung des Publikums zu schaffen. Da die unterhaltungsorientierten jungen Zuschauer mehr und mehr zu den Privaten abwandern, haftet ARD und ZDF inzwischen das Negativimage von „Kukident“-Sendern an.
Eine kleine Zäsur in der medienpolitischen Entwicklung markierte die Wende von 1989. Anfangs setzten die basisdemokratischen Kräfte der untergehenden DDR auf eine Transformation des Deutschen Fernsehfunks und des DDR-Hörfunks in eigenständige „Säulen“ des bundesdeutschen Mediensystems. Doch die Hoffung auf einen „dritten Weg“ scheiterte. Die etablierte Politik sorgte für eine nahtlose Integration der ostdeutschen Medien nach westlichdeutschem Muster. Die in der Nachwendezeit vorherrschende antiobrigkeitliche Stimmung in der Ex-DDR trug zudem dazu bei, dass die als „Staatssender“ missverstandenen öffentlich-rechtlichen Anstalten in der Gunst des Publikums gegenüber den Privaten früh ins Hintertreffen gerieten.
Wirtschaftlich warteten die Privatfunker mit einer eindrucksvollen Erfolgsstory auf. Ihre Umsätze stiegen (unter Einschluss der Radio-Anbieter) bis 2008 auf rund acht Milliarden Euro – die Gebühreneinnahmen der Öffentlich-Rechtlichen belaufen sich auf sieben Milliarden. Euro jährlich. Vor allem die Betreiber der privaten Vollprogramme haben die enormen Anfangsverluste der Pionierjahre mittlerweile verdaut; die Gewinne der gesamten TV-Branche werden auf jährlich etwa eine Milliarde Euro geschätzt. Auf diese vergleichsweise guten Zahlen im Free TV fällt allerdings der Schatten des schweren Verlustbringers Premiere. Auch aufgrund der hohen Anzahl frei empfangbarer Kanäle konnte sich das Bezahlfernsehen hierzulande bisher nicht durchsetzen. Im vergangenen Herbst sah sich Premiere nach einer gründlichen Karteibereinigung genötigt, die Zahl der direkten Kunden von 3,4 auf 2,4 Millionen zu korrigieren. Ob künftig ausgerechnet unter der Regie des größten Anteilseigners Rupert Murdoch eine Wende zum Besseren erfolgt, wird in der Branche eher skeptisch beurteilt.
Ginge es nach dem 1990 gegründeten „Verband privater Rundfunk und Telemedien“, wäre die Gebührenfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten längst eingefroren, öffentlich-rechtliche Werbung abgeschafft und der Funktionsauftrag von ARD und ZDF auf Kultur und Bildung, mithin das Bedienen von „Minderheiteninteressen“, reduziert. Doch trotz permanenten medienpolitischen Trommelfeuers der Privatfunklobby in Brüssel und den deutschen Ländern blieb das duale System intakt. Auch das Ansinnen der Privaten, ARD und ZDF eine angemessene Online-Präsenz zu untersagen, wurde trotz mancher Einschränkungen im jüngst verabschiedeten 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag abgeschmettert. Einige Großverlage kooperieren – zum Unwillen der Privatsender – bereits mit öffentlich-rechtlichen Sendern, um Bewegtbilder in ihren Online-Auftritt zu integrieren. Wenn es um solide Qualität geht, so führt eben auch ein Vierteljahrhundert nach dem „Urknall“ von Ludwigshafen kein Weg an den öffentlich-rechtlichen Anstalten vorbei. Dies belegt auch die Leistungsschau beim Adolf-Grimme-Preis. Nur sieben von 60 Nominierungen entfielen in diesem Jahr auf Produktionen privater Sender. Gerade in der Krise – so scheint es – zeigt sich, was die Gesellschaft an einem gut ausgestatteten öffentlich-rechtlichen System hat.