Zwei Schritte vor, einer zurück

Revolutionärer Entwurf für einen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag

Für Jugendschutz in den Medien sind Politiker immer gern zu haben. Das Thema geht alle an, die Forderung nach strengeren Maßnahmen wird in der Regel beifällig beschieden, und die Konsequenzen müssen ohnehin andere tragen.

Bayerns Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Edmund Stoiber findet zum Beispiel, das Thema werde „eine ähnliche Dramatik bekommen wie die innere Sicherheit“. Trotzdem ist auch Stoiber für eine Liberalisierung. Offenbar hat sich endlich herumgesprochen, was Jugendschützer seit Jahren beklagen: Die hiesige Regulierungswut ist einmalig. Für jedes neue Medium wurde ein eigenes Gesetz ersonnen; und eine Behörde, die die Einhaltung dieses Gesetzes überwacht, gleich dazu.

Nun aber haben sich die Länder mit dem Bund zusammengerauft und den Entwurf für einen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag vorgelegt. Dieses Arbeitspapier könnte den Jugendmedienschutz in Deutschland regelrecht revolutionieren. Zentrale Änderung: Anstelle der Landesmedienanstalten soll in Zukunft eine Kommission für Jugendschutz das letzte Wort haben.

Das Papier sieht vor, alle elektronischen Medien, also Fernsehen und Hörfunk, Teledienste und Mediendienste, gemeinsam zu erfassen. Das ist vor allem deshalb sinnvoll, weil zurzeit noch zwischen Tele- und Mediendiensten (beides Internetangebote) differenziert wird, obwohl kaum jemand den Unterschied kennt. Zweite große Neuerung: Die Selbstkontrolle, im kommerziellen TV-Bereich zum Beispiel die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), soll gestärkt werden. ARD und ZDF dürfen allerdings auch weiterhin intern festlegen, wie öffentlich-rechtlicher Jugendschutz aussieht. „Völlig indiskutabel“ findet das Wolf-Dieter Ring, engagiertester Sittenwächter bei den Landesmedienanstalten: Es sei ein Unding, zwar Fernsehen und Internet miteinander zu vernetzen, nicht aber die beiden Säulen des dualen Rundfunksystems. Wenn man ARD und ZDF nicht miteinbeziehe, würde die Reform ihr Ziel „total verfehlen“.

Unterstützung findet Ring ausgerechnet bei Gegenspieler Jürgen Doetz, dem Präsidenten des Verbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation: Es sei ungerecht, wenn man kommerzielle Sender auffordere, jugendschutzrelevante Sendungen vor der Ausstrahlung kontrollieren zu lassen, während über Sendungen von ARD und ZDF stets erst nach der Ausstrahlung diskutiert werde. Beide ermahnen aber auch RTL, Sat 1 und Pro Sieben: Oft genug legen die Sender gerade eigenproduzierte Filme, die eine Überprüfung am nötigsten hätten, überhaupt nicht vor; und die werden dann, wie etwa der RTL-Film „Die heilige Hure“, prompt beanstandet.

Größeren Handlungsbedarf dürfte es beim weitgehend unregulierten Internet geben. Laut Friedemann Schindler von jugendschutz. net verdoppelt sich die Kapazität der Web-Angebote jedes halbe Jahr. Es gebe mittlerweile 5.000 mal mehr Websites als 1998, zu jenem Zeitpunkt also, als die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia gegründet worden ist; doch die bestehe nach wie vor bloß aus 1,5 Mitarbeitern – ein Alibi.

Aufsicht über Internet noch in der Diskussion

Konkreten Widerstand gegen den neuen Staatsvertrag, der nach seiner Absegnung durch die Ministerpräsidenten und die Landesparlamente frühestens Mitte nächsten Jahres in Kraft treten kann, gibt es auch bei einigen Regierungspräsidenten. Jürgen Büssow (Düsseldorf) zum Beispiel fürchtet, das Internet werde zum rechtsfreien Raum. In insgesamt sechs Bundesländern obliegt die Aufsicht über das „World Wide Web“ bestimmten Bezirksregierungen; in NRW ist Büssow zuständig. Dass eine Kommission für Jugendschutz die zentrale Kontrolle über Fernsehen und Internet übernehmen soll, findet er völlig in Ordnung. Dass dieser Kommission aber auch die gesamte Missbrauchsaufsicht im Internet obliegen soll, versteht Büssow nicht: 90 Prozent aller Beanstandungen hätten mit Jugendschutz nichts zu tun. In der Tat ist die „schwere sittliche Gefährdung von Kindern und Jugendlichen“ bloß einer von fünf Punkten, die im Mediendienstestaatsvertrag aufgeführt werden. Die weiteren Punkte beziehen sich auf Verstöße gegen Strafgesetze (Rechtsextremismus, Pornografie), Verletzungen der Menschenwürde und Kriegsverherrlichung. Der Jugendschutz, so Büssow, spiele bei der Aufsichtstätigkeit nur dann eine Rolle, wenn kein Tatbestand im Sinne der viel stärkeren Verstöße vorliege.

Kommission kann nicht schnell genug agieren

Außerdem könne schon allein „die Menge eindeutig unzulässiger Inhalte“ von einer Kommission gar nicht bewältigt werden. Und weil Verwaltungsverfahren erfahrungsgemäß ihre Zeit brauchten, würden „ordnungsrechtliche Maßnahmen regelmäßig ihr Ziel verfehlen“; die verbotenen Inhalte hätten dann längst die Adresse gewechselt. Ohnehin hätten die Anbieter solcher Inhalte „keine ernsthaften staatlichen Sanktionen“ mehr zu erwarten.

Kritik ganz anderer Art kam aus Bayern. Die Regierung des Freistaates wollte im Zuge der Reform am liebsten gleich auch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften abschaffen. Die 1954 gegründete BPjS ist dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zugeordnet und hat die Aufgabe, Medien mit jugendgefährdenden Inhalten in die Liste mit jugendgefährdenden Schriften einzutragen, sie also zu indizieren.

Das betrifft alle Printmedien, Schallplatten und CDs, Video- und Computerspiele, Kino- und Videofilme sowie – und das ist der Stein des Anstoßes – auch Internetangebote; doch das Internet soll ja nun in ausschließlicher Länderhoheit liegen. Vermutlich wird der BPjS nun ein Übergangszeitraum von zwei bis fünf Jahren eingeräumt; dann kommt sie nochmals auf den Prüfstand. Zeitgemäß ist die Einrichtung ohnehin nicht mehr: Die BPjS kann nur auf Antrag etwa eines Jugendamtes tätig werden. Bis dieser gestellt und bearbeitet ist, gehen in der Regel mindestens zwei Monate ins Land; gemessen am Tempo des Internets eine Ewigkeit. Das selbe gilt für Computerspiele oder Nazi-CDs, die längst alle Adressaten erreicht haben, bevor sie indiziert worden sind.

Jugendschützer sehen allerdings eine Alternativaufgabe für die Behörde. Sie beklagen seit Jahren, dass der Pornografiebegriff nicht näher definiert ist. Die Gerichte berufen sich stets auf das Fanny-Hill-Urteil des Bundesgerichtshof (BGH) aus dem Jahr 1969. Damals ging es um die Frage, ob der Roman „Die Memoiren der Fanny Hill“ pornografisch sei oder nicht. Nein, sagte der BGH, und definierte: Bei Pornografie handele es sich um ein filmisches oder gedrucktes Erzeugnis, das in erster Linie den Betrachter sexuell stimulieren will. „Die Beteiligten werden unter Hintanstellung sämtlicher zwischenmenschlicher Beziehungen auf die Rolle des jederzeit austauschbaren Sexualobjekts reduziert. Sexuelle Vorgänge werden grob anreißerisch in den Vordergrund gerückt“. An diesem Urteil müssen sich seither Fernsehsender, Landesmedienanstalten oder die FSF der kommerziellen Sender orientieren. Die BPjS, regt FSF-Geschäftsführer Joachim von Gottberg an, könne doch diese eher abstrakte Definition nun regelmäßig an den herrschenden Zeitgeist angleichen. Wenn sie außerdem noch für etwaige Streitfälle zuständig wäre, würde dies eine erhebliche Entlastung für die deutsche Gerichtsbarkeit darstellen, denn die muss sich immer noch regelmäßig mit Pornografie beschäftigen.

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