60jährige im seriösen Mäntelchen?

Reifende Erkenntnis: Politischer Einfluss von Bild sinkt analog zur Auflage

Auch im 60. Jahr seiner Existenz polarisiert Deutschlands größte Tageszeitung und erregt die Gemüter. Dabei erscheint die Wirkung der Zeitung als politisches Kampfblatt dses Springer-Konzerns begrenzter denn je.

 

Axel Springer Foto: Axel Springer Verlag
Axel Springer
Foto: Axel Springer Verlag

„Jedermann weiß, dass diese Zeitung nicht schüchtern ist, weiß, dass Bild gehalten ist, holzschnittartig zu formulieren. Das passt einer Minorität von Ästheten nicht so recht. Aber in toto kommt es glänzend an.“So sah es einst Blattschöpfer und Verleger Axel Springer. In sentimentaleren Momenten gestand er allerdings auch, zuweilen „wie ein Hund“ unter seiner eigenen Schöpfung zu leiden. Im Grunde ist zu Bild alles gesagt, wenn auch selten so drastisch und präzise wie von Gerhard Henschel im Merkur 2005, der das Blatt als „Europas größte und übelste Sexualklatschkloake“ würdigte. Nachdem eine Bild-Delegation unter dem amtierenden Chefredakteur Kai Diekmann dem Papst im Vatikan die Bild-Volksbibel überreicht hatte, schrieb Henschel: „Ein denkwürdiges Ereignis: Der Stellvertreter Gottes auf Erden hat dem Herausgeber und Chefredakteur der Bild-Zeitung eine Audienz gewährt – einer Kreatur, in deren täglicher Telefonsex-Kontaktbörse unersättliche Lustluder, dicke Girls, total versaute Strohwitwen und naturgeile Nymphen tabulosen Männern perversen Spontansex im Auto versprechen, nebst einer strengen Erziehung, die aber wohl nur in den allerperversesten Ausnahmefällen die stimulierende Belehrung der Kunden über die im Katechismus der katholischen Kirche festgeschriebenen Anstandsregeln einschließen dürfte.“
Dass Bild kürzlich unter der zweideutigen Headline „Zapfenstreich“ die Abschaffung des „Seite-1-Girls“ proklamierte, soll wohl eine Hinwendung zu mehr Seriosität insinuieren. Tatsächlich ist das Bemühen von Chefredaktion und Verlagsleitung um einen Imagewandel unverkennbar. Das gilt nicht nur für das Schmuddelressort. In der Causa Wulff ließ sich beobachten, wie die Chefredaktion die Chance witterte, sich zum journalistischen Hüter über die politische Moral der Republik aufzuschwingen. Selbst überregionale Qualitätszeitungen wie FAZ und Süddeutsche wurden eingespannt, die Bild-Recherchen über eine vermutete Vorteilsnahme des Ex-Präsidenten zu komplettieren. Bild als investigativer und staatspolitisch verantwortungsvoller Wächter über die Pressefreiheit? Wer solches ernsthaft glaubt, sollte vorsichtshalber noch einmal beim Deutschen Presserat nachfragen. Nach wie vor kassiert Bild im Schnitt jede vierte der vom Rat erteilten Rügen, in der Regel wegen Verstößen gegen die journalistische Sorgfaltspflicht und Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Und es ist ein Treppenwitz der Mediengeschichte, das Bild für einen Beitrag in der Affäre um Ex-Bundespräsident Christian Wulff den renommierten Henri-Nannen-Preis „Beste investigative Leistung“ erhielt. Zustimmung und Respekt ist dabei Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung zu zollen, der, auch im Namen zweier Kollegen, den Preis für die Aufdeckung der Formel-1-Affäre“ bei der BayernLB ablehnte. Begründung: Sie wollten nicht zusammen mit der Bild-Zeitung ausgezeichnet werden.
Warum diese durchsichtigen Versuche, dem „Lügenblatt“ (Wallraff) ein seriöses Mäntelchen überzustreifen? Nicht unwahrscheinlich, dass in erster Linie ökonomische Erwägungen dahinter stecken. Zwar gilt Bild nach wie vor als Cashcow des Springer-Konzerns. Das liegt jedoch eher an den gestiegenen Copypreisen als am Publikumserfolg. Denn die Bild-Auflage ist seit den Hochzeiten der Anti-APO-Hetze in den sechziger Jahren von fünf Millionen auf bescheidene 2,7 Millionen geschrumpft. Eine Entwicklung, die umso dramatischer erscheint, als sie sich vor dem Hintergrund eines Lesermarktes abspielt, der seit der Wende um ein Drittel gewachsen ist.

Glaubwürdigkeitsverlust

Die Gründe für diesen rasanten Abstieg sind vielfältig. Zum einen erleidet Bild das gleiche Schicksal wie die meisten anderen Printmedien auch. Im Zeitalter der Digitalisierung schwinden die Chancen der „Holzmedien“, gleichzeitig kannibalisiert sich das Blatt durch den eigenen Online-Ableger bild.de selbst. Längst wird das Unterhaltungsbedürfnis breiter Bevölkerungskreise durch andere Print- und Online-Medien genauso gut oder besser gestillt (S. 6–8). Ein weiterer Grund dürfte der galoppierende Glaubwürdigkeitsverlust des Blattes sein. Musste sich ein Günter Wallraff vor 35 Jahren noch undercover bei Bild Hannover einschleichen, um politische Verfälschungen der Zeitung zu enttarnen, liefert heute Bildblog täglich und zeitnah entsprechendes Aufklärungsmaterial. Dass Bild in der Vergangenheit vor allem rot-grüne Politiker aufs Korn nahm, um sein eigenes politisches Farbenspiel zu betreiben, ist bekannt. Erinnert sei an das manipulierte Foto des damaligen Bundesumweltministers Jürgen Trittin bei einer vermeintlichen Gewaltdemo. Umgekehrt ist noch lebhaft in Erinnerung, wie Bild dem einstigen Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg auch noch die Stange hielt, als dessen plumpes Plagiat längst Objekt staatsanwaltlicher Ermittlungen war. Den Sturz des einstigen Senkrechtstarters und politischen Hätschelkindes konnte indes auch Bild nicht verhindern. So reift allmählich die Erkenntnis, dass der politische Einfluss des einst so mächtigen Massenblatts analog zur Auflage rasant gesunken ist. Altbundeskanzler Gerhard Schröder glaubte noch, gegen Bild und Bild am Sonntag ließen sich nur schwer Wahlen gewinnen. Doch diese Zeiten sind definitiv vorbei.

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