Abbau von Aktualität und Brisanz

Profilaufweichung beim Nachrichtensender N24 – Verkauf möglich

Verkauf oder Neuausrichtung – diese beiden Optionen hatte die ProSiebenSat.1-Führung zum Jahresende 2009 dem Nachrichten- und Doku-Kanal N24 in Aussicht gestellt. Jetzt läuft es offenbar auf ein Management Buyout unter Beteiligung von Ex-Spiegel-Chef Stefan Aust hinaus. Mit dem Niedergang der Infosparte im Privatfernsehen gerät das duale System in Schieflage.

„Nachrichten sind vielleicht für das Image bei den Politikern wichtig, aber nicht unbedingt bei allen Zuschauern.“ Mit dieser steilen These sorgte ProSiebenSat.1 Vorstandschef Thomas Ebeling bei Medienpolitikern und Medienkontrolleuren im November 2009 für einige Irritation. Besonders schlecht kam die Provokation bei den 320 N-24-Beschäftigten an, die seither um ihre Arbeitsplätze fürchten. In einer ersten Reaktion zeigte sich Ex-Betriebsratsvorsitzender Uwe Theuerkauff „erschrocken und entsetzt“ über die vagen Sanierungspläne Ebelings, „die doch in den kommenden Wochen und Monaten ganz brutale Einschnitte verheißen“. Es hänge ein Damoklesschwert über der nagelneuen Sendezentrale am Potsdamer Platz. „Niemand weiß, was genau passieren wird, wer in Zukunft noch einen Arbeitsplatz haben wird und wer nicht“.
Für Unmut sorgte auch die offenkundige Geringschätzung des Nachrichtengeschäfts durch Ebeling. Das verletze den Berufsstolz der Redaktion, die bereits vor einigen Jahren den RTL-Konkurrenten n-tv als Marktführer abgelöst hat. N24 erzielt immerhin einen Marktanteil von einem Prozent, ein in der News-Sparte durchaus respektabler Wert. Auch das Argument der Geschäftsleitung, die Nachrichtenproduktion sei zu teuer, kann der Betriebsrat nicht nachvollziehen. Man produziere erfolgreich preiswerte Qualitätsnachrichten. „Auf der einen Seite wird den Kollegen gesagt, ihr macht einen Superjob, schon seit Jahren, gefolgt von der Ansage: das wird euch nichts nützen, wir müssen euch trotzdem an den Kragen“, klagt Theuerkauff.
Die Konzernzentrale der ProSiebenSat.1 Media AG verweist auf hohe Verluste des Senderverbunds und den dramatischen Einbruch der Werbeumsätze in jüngster Zeit. Es sei legitim, über geschäftliche Strategien nachzudenken, wie N24 auf einer wirtschaftlich tragbaren Grundlage betrieben werden könne. Der Betriebsrat macht für das Jahr 2009 die Gegenrechnung auf. Demnach standen Programm- und Verbreitungskosten von 75 Millionen Euro rund 30 Millionen Werbe- und sonstige Erlöse gegenüber, außerdem 65 Millionen Euro, die die anderen Mitglieder der Senderfamilie (ProSieben, Sat.1, Kabel 1) für die Nachrichtenlieferung überweisen. Letztere würden vom Konzernvorstand gern unterschlagen, um das unzutreffende Bild eines unprofitablen Senders zu zeichnen.
„Das Problem ist nicht die Performance von N24, sondern der Renditewahn der Heuschrecken, die uns 2007 gekauft haben“, sagt Theuerkauff. Diese hätten die ProSiebenSat.1dazu gezwungen, für mehrere Milliarden Euro im europäischen TV-Geschäft zu expandieren.
Nach der kreditfinanzierten Übernahme der Senderkette SBS vor zweieinhalb Jahren lastet auf ProSiebenSat.1 ein Schuldenberg von dreieinhalb Milliarden Euro und jährliche Zinsbelastungen von 260 Millionen Euro. Kein Wunder, dass bei der N-24-Belegschaft der Eindruck entsteht, sie müssten mit den angekündigten harten Schnitten die verfehlte Politik der Finanzinvestoren KKR und Permira ausbaden.
Ob Rettung naht? Mitte Januar wurde bekannt, dass Torsten Rossmann, geschäftsführender Vorsitzender der N24 GmbH, erwägt, gemeinsam mit anderen leitenden N24-Mitarbeitern den Sender in einem Management-Buyout-Verfahren zu übernehmen. Mit von der Partie soll auch der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust sein, ein Mann, der als ehemaliger Geschäftsführer bei Spiegel-TV und dem Doku-Kanal XXP (heute Dmax) über beträchtliche Erfahrungen im Fernsehgeschäft verfügt. Falls das alte Sendermanagement den Zuschlag erhält, dürfte es auch die Tochter MAZ & More mit übernehmen, eine Firma, die derzeit das Sat.1-Frühstücksfernsehen und das „Magazin“-Format des Senders produziert. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung bestätigte Aust inzwischen sein Interesse an einem Einstieg bei N24. Die Mischung aus Dokus und Nachrichten ähnle der des früher von ihm gemeinsam mit Alexander Kluge betriebenen Senders XXP.
Die Belegschaft reagierte erfreut auf die Ankündigung. Zum langjährigen Geschäftsführer Rossmann habe man volles Vertrauen, und auch Aust habe – anders als die Heuschrecken – „vermutlich ein publizistisches Interesse“, sagt Erdmann Hummel, Mitglied im N24-Redakteursauschuss. Ebelings weit gefasster „News“-Begriff beziehe sich dagegen auf Formate wie „Stefan Raab“ oder „Galileo“. Es drohe ein Systemwechsel, der auf für n-tv/RTL ein Präzedenzfall werden könne. Jeder Eigentümerwechsel werde von der Redaktion darauf abgeklopft, ob es weiterhin „qualitative und quantitative Nachrichten“ bei N24 gebe.
Ob und unter welchen Konditionen es zum Verkauf kommt, ist noch offen. Eine Entscheidung soll laut Geschäftsführung der ProSiebenSat.1 Media AG spätestens im März fallen. Sollte N24 bei der Gruppe bleiben, muss mit einer weiteren Verwässerung des Programmprofils, hin zu mehr Boulevard und Unterhaltung, gerechnet werden. Tatsächlich kann sowohl bei N24 als auch beim RTL-Konkurrenten n-tv von Nachrichten-Spartenkanälen im strengen Sinn längst nicht mehr die Rede sein. In den letzen Jahren wurde der Newsanteil mehr und mehr zugunsten von Dokus zurück gedrängt. Eine Profilaufweichung, die der Betriebsrat vor allem auf die profitorientierte Politik von KKR und Permira zurückführt.
Beim sporadischen Einschalten gewinnt der Zuschauer leicht den Eindruck eines von gelegentlich irrelevanten, häufig militärtechnischen, gern auch zeitlosen Stoffen geprägten Programms. „Seit Jahren arbeitet N24 so konsequent am Abbau von Aktualität und Brisanz, dass man sich wundern muss, dass niemand Einspruch einlegt, wenn sich der Sender immer wieder als ‚Marktführer’ unter den Nachrichtensendern präsentiert“, ätzte erst kürzlich Harald Staun in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Eine dankbare Aufgabe also für einen Mann vom Schlage Stefan Aust. Misslingt der Verkauf, könnte N24 vom Regen in die Traufe kommen. Nach der Entlassung von Sat.1-Geschäftsührer Guido Bolten überraschte der neue Sat.1-Chef Andreas Bartl Mitte Januar zunächst mit der Ernennung von Katja Hofem-Best zur neuen Verantwortlichen für die Informationsinhalte der P7S1-Sendergruppe. Als frühere Programmchefin von RTL2 war sie bislang eher mit Casting- und Reality-Shows sowie anderen Unterhaltungsformaten befasst. Vor diesem Hintergrund musste Bartls Aussage, Frau Hofem-Best stehe für Kreativität und es sei „Zeit für neues, innovatives Fernsehen“, fast schon als Drohung gewertet werden. Eine Woche später sah man den imageschädigenden Irrtum offenbar ein. Verantwortlich für den Bereich Magazine einschließlich News wird nun Carina Teutenberg, bislang ProSieben-Chefredakteurin.
Auch die Medienpolitik beobachtet die aktuelle Entwicklung beim Privatfernsehen und speziell bei N24 mit Argwohn. Zwar versichert ProSiebenSat.1-Konzernsprecher Julian Geist, niemand denke „darüber nach, die Nachrichten aus dem Vollprogramm der Gruppe in irgendeiner Form abzusetzen oder massive Einschnitte vorzunehmen“. Aber selbst Kultur-und-Medienstaatsminister Bernd Neumann (CDU) sah sich genötigt, Ebelings „Sanierungsvorschlag“ mit den Worten zu kontern, die Verpflichtung von Privatsendern zur Information sei „kein Privatvergnügen von Politikern“, sondern geltendes Recht und eine Voraussetzung für die Zulassung der Programme.

Level Spartenprogramm

Dass TV-Manager wie Ebeling unter dem Druck von Investoren möglicherweise wenig Probleme damit hätten, die Inhalte ihrer Sender auf das Level von Spartenprogrammen zu reduzieren, liegt auf der Hand. Die Rundfunkgesetze legen keine Sanktionen vor, wenn ein Vollprogramm zur Sparte mutiert. Allerdings stünde damit das duale System aus öffentlich-rechtlichen und privaten Anbietern auf der Kippe. Auf dem Deutschen Medienkongress Mitte Januar in Frankfurt/M. bezeichnete Ebeling es als „Phänomen“ des deutschen TV-Marktes, dass „es große Wettbewerber ohne Profit-Interessen gibt (gemeint sind ARD und ZDF, d.A.) und der Hersteller nicht immer Einfluss auf ein Produkt hat“. So müsse Sat.1 zum Beispiel 6,5 Stunden die Woche mit Fremdverpflichtungen füllen, egal, wie gut sich das Umfeld dann vermarkten lasse. Beleg dafür, dass die Privatfunkmanager den Zeitpunkt für geeignet halten, rundfunkrechtliche Auflagen anzugreifen: etwa die Verpflichtung zur Ausstrahlung von Regionalprogrammen oder von Beiträgen so genannter Drittanbieter. Auch die Nachrichten gelten als „Programmblocker“.
Unabhängig von der Qualität der N24-News treibt die Politik die Sorge um, künftig könne unter Umständen ein Drittel der deutschen Fernsehzuschauer nicht mehr oder nur noch mit boulevardesk entstellten Nachrichten versorgt werden. „In Zeiten knapper Mittel droht die Gefahr, dass Programme zusammengestrichen werden, die sich auf ihrem Sendeplatz nicht refinanzieren“, schwant auch dem Vorsitzenden der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM), Thomas Langheinrich. Betroffen davon sei vor allem „die kostenintensive Informationssparte“, so der DLM-Direktor unter Verweis auf die Debatte um die Zukunft von N24.
Über die angemessene Methode, eine gewisse Nachrichten-Grundversorgung auch im Privatfunk zu gewährleisten, gehen die Meinungen in den Ländern und Sendern jedoch auseinander. Martin Stadelmaier, Chef der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei, kann sich durchaus vorstellen, Privatsendern die eigenständige Produktion von Nachrichtensendungen gesetzlich vorzuschreiben. N24, so seine Überzeugung, leide nicht unter einer zu teuren News-Produktion, sondern unter überzogenen Renditeerwartungen seiner Heuschrecken-Eigentümer. Dagegen findet Wolf-Dieter Ring, Präsident der für N24 zuständigen Bayerischen Landesanstalt für Neue Medien (BLM), die Wege zur Entstehung von Nachrichten sollten „nicht ordnungspolitisch diktiert werden“. Nachrichten in angemessener Qualität seien auch im Privat-TV erforderlich. Den Sendern müsse aber auch die Alternative eingeräumt werden, diese in eigener Verantwortung von Dritten einzukaufen. Die DLM hat eine eigene Arbeitsgruppe eingesetzt, die demnächst entsprechende Vorschläge präsentieren soll. Zur Debatte steht dabei auch ein Anreizsystem für die Privatsender, „damit sie auch in Zeiten schwindender Mittel ihre Rolle in der Herstellung von Öffentlichkeit angemessen wahrnehmen können“, heißt es geradezu staatstragend in einer DLM-Pressemitteilung. Eine Position, die Tobias Schmidt, Bereichsleiter Medienpolitik bei RTL, schon seit langem verficht. Wenn die Privaten weiterhin in News und Regionalprogramme investieren sollen, so Schmidt, müsse der Staat Unterstützung leisten – etwa bei der Frequenzvergabe für neue Angebote oder mittels einer im digitalen TV-Überangebot besseren Positionierung auf Elektronischen Programmführern. Selbst bei den Bündnisgrünen sind solche Anreizsysteme unter dem Druck der Krise nicht länger tabu. „Wir befürchten, dass Nachrichten immer das erste Opfer des Sparzwangs werden“, schlägt Tabea Rössner, medienpolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion, Alarm. „N24 darf nicht das Einfallstor für ein Nachrichtensterben im privaten Rundfunk werden.“

 

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