70 Jahre dpa: Fragen an Gesamtbetriebsratsvorsitzende Andrea Hellmich
Die Deutsche Presseagentur (dpa) wurde gerade 70 Jahre alt. Gefeiert wurde bereits vorher. Beim Festakt am 1. Juli erklärte Bundespräsident Steinmeier, die dpa habe zum Gelingen dieser Demokratie beigetragen. Als „leuchtendes Beispiel für objektive Berichterstattung“ würdigte Kulturstaatsministerin Monika Grütters den Nachrichtendienst. Kurz zuvor hatte es den ersten Warnstreik in der Geschichte der dpa gegeben. Fast genau zum Gründungstag am 18. August kam dann die Meldung, dass die gewerkschaftliche Tarifkommission dem ausgehandelten Verhandlungsergebnis zugestimmt hat.
Bei so viel Jubiläumslob muss die Frage erlaubt sein: Ist die dpa auch als Arbeitgeberin ein Leuchtturm?
Das Betriebsklima ist vergleichsweise gut, wenn ich schaue, was in anderen Medienhäusern los ist. Es gibt eine lange Tradition von Betriebsratsstrukturen und Tarifverträgen. Die Situation von der Mutter und den elf Tochterfirmen im Haus macht Gleichbehandlung und Angleichungen zur permanenten Aufgabe. Das wird auch auf Geschäftsführungsebene gesehen, obgleich vieles lange dauert. Der wirtschaftliche Druck auf dem Nachrichtenmarkt wächst ständig. Die dpa hat damit zu tun, die aktuellen Anforderungen mit den Ansprüchen der 179 Gesellschafter, der Aufsichtsräte und der Beschäftigten in Einklang zu bringen. Bei dieser Gemengelage gibt es genügend konfrontative Themen, aber das Bestreben, sich zu einigen, ist spürbar vorhanden. Natürlich ginge es immer noch besser, dafür stehen ja auch wir Interessenvertretungen.
Das Nachrichtengeschäft muss sich im Strudel der Zeitungskrise behaupten?
Die reine Basisberichterstattung ernährt uns zumindest nicht mehr. Es reicht nicht einmal mehr aus, schlicht nur eine Meldung zu liefern, Anforderungen nach multimedialen Inhalten wie Fotos und Videos kommen hinzu. Auch wenn sich die dpa bemüht, sich auf neuen digitalen Geschäftsfeldern unabhängiger zu machen, hängt ein großer Teil des Umsatzes noch immer an den Auflagenhöhen der Zeitungen und Zeitschriften. Und wie die sich entwickeln, ist ja bekannt.
Das bedingt Struktur- und Kulturwandel auch innerhalb?
Da sind wir mittendrin. Die Hierarchien werden flacher, es gib zunehmend andere Prozesse wie etwa in Hamburg bei den Technikfirmen, wo Projekte stattfinden, in denen kleine Teams neue Formen der Zusammenarbeit entwickeln. Beim Stichwort „agile Führung“ müssen wir Betriebsräte sehr wachsam sein, ausschließlich schnelle Antworten verstehen wir darunter nicht. Hierzu wird ein gemeinsames Verständnis gerade erarbeitet.
Solche Umwälzungen bedeuten vor allem auch eines: zunehmende psychische Arbeitsbelastungen für die Belegschaft?
Ja, die Arbeit im Großraumbüro ist anstrengend: hohe Geräuschkulisse, den Computer mit drei Bildschirmen im Blick und 27 Quellen, die man permanent zu verfolgen hat. So ist Journalismus heute. Da kommt es sehr darauf an, ein vernünftiges Klima rundherum zu schaffen. Um die Arbeitsbedingungen kümmern wir Betriebsräte uns ständig, etwa im Zusammenhang mit den seit 2013 gesetzlich geforderten Gefährdungsanalysen. Ich bin selbst Teil des Integrationsteams und wir Betriebsräte haben uns eingesetzt, dass diese Analyse nicht nur den Mindestanforderungen genügt, sondern sehr ausführlich und in die Tiefe gehend – mit einer großen Beschäftigtenumfrage und Beratung von außen. Das konnten wir sichern. Die Geschäftsführung hat sich nicht gesperrt, dafür wurden die Mittel bereitgestellt und Daten umfangreich ausgewertet. Seit etwa zwei Jahren werden nun entsprechende Maßnahmen umgesetzt, laufen auch konzernweite Workshops und Schulungen. Sie betreffen die großen Themen Kommunikation, Führung und Arbeitsbelastung.
Bleiben wir bei der Arbeitsbelastung…
Inzwischen haben wir Daten und Belege für solche Belastungsfaktoren. Zeitdruck – das Verhältnis der Arbeitsmenge und der zur Verfügung stehenden Zeit – das hängt natürlich mit unserem Kerngeschäft als Nachrichtenagentur zusammen. Hauptsächlich stellt sich die Frage: Was können wir mit dem vorhandenen Personal unter dem Druck des permanenten Nachrichtenflusses dennoch weglassen? Das fordert entsprechende Entscheidungen des Einzelnen. Es gibt aber auch einen übergreifenden Profil-Prozess, wo Redaktionsleiter, Nachrichtenchefs und auch die Kunden gefragt werden, welche Themen sind für uns wirklich unverzichtbar? Wir Betriebsräte werden aber auch nicht müde, den Kolleginnen und Kollegen immer wieder zu sagen: Schreibt eure Überstunden auf! Schenkt dem Arbeitgeber keine Arbeitszeit!
Der erste Warnstreik war für die Neuigkeitslieferanten selbst ein Novum in der dpa-Geschichte?
„Wir streiken auch mit 70“ stand auf einem der Plakate, das fand ich besonders schön. Wir Aktiven in der Tarifkommission waren selbst positiv überrascht: Eine Stunde Mittagspause bei sengender Hitze im Freien mit Teilnehmer*innen aus allen Bereichen des Berliner Newsrooms, das war schon ein Erfolg. Zuvor gab es lange Jahre ja eher eine „Streikhemmung“, auch aus Angst um den Arbeitsplatz. Dem haben wir nun mit viel Information entgegengewirkt. Die Geschäftsführung hat recht sportlich reagiert und dann auch zügig ein Angebot vorgelegt.
Zuvor verliefen die Verhandlungen reichlich zäh. Wie ist nun das Tarifergebnis zu beurteilen?
Positiv ist schon mal, dass der Manteltarifvertrag ohne wesentlichen Substanzverlust fortgeführt wird. Der betrifft allerdings nur die Beschäftigten der dpa GmbH. Aber wir konnten auch eine weitere finanzielle Angleichung in den Tochterfirmen erreichen. Wichtiges Anliegen dieser Tarifrunde war, unsere jüngeren Redakteurinnen und Redakteure besser zu stellen; sie mussten durch die Anpassung der Berufsjahre bei dem letzten Abschluss große Einbußen hinnehmen. Dafür gibt es jetzt eine Kompensation, indem die unteren Gehaltsgruppen prozentual mehr profitieren. Andererseits mussten wir bei den Zulagen der Fotografen Kürzungen hinnehmen. Und insgesamt sind die Erhöhungen zwar im Gesamtpaket zufriedenstellend, aber natürlich kein Grund zum Jubeln, auch nicht die zwei Einmalzahlungen für Leermonate. Zudem ist die Laufzeit mit zweieinhalb Jahren relativ lang, doch angesichts der wirtschaftlichen Unwägbarkeiten verspricht das zugleich auch eine Stabilität.
Bleibt für Tarifkommission und Betriebsräte dennoch genügend zu tun?
Eigentlich haben wir schon länger das Anliegen, den gesamten Gehaltstarifvertrag einmal neu zu verhandeln. Das ist allerdings eine Mammutaufgabe. Die Arbeitsplatzbeschreibungen entsprechen vielfach nicht mehr der Realität, Strukturen haben sich verändert und es sind neue Berufsfelder entstanden. Aufgrund des Kulturwandels wird die Trennung von Redaktion, Technik und Vertrieb immer schwieriger. Die Entwicklung geht sehr in Richtung Technik, hin zum Visuellen, außerdem steht die ganze KI-Welt vor der Tür. Wir Betriebsräte müssen grundsätzlich dafür sorgen, dass die Beschäftigten auf diesem Weg mitgenommen werden. Wenn es heißt: Das reine Schreiben reicht nicht mehr, dann weckt das vor allem bei den etwas Älteren berechtigte Ängste. Wir sind als Interessenvertretung sehr nah dran an diesen Prozessen und begleiten auch die Ausbildung des Nachwuchses. Und natürlich gilt: Immer ein offenes Ohr für die Beschäftigten zu haben, bis in alle Büros hinein. Das ist bei unserer Struktur – von Moskau bis Kiel – manchmal schon Aufgabe genug.
Ganz aktuell ist Veränderung bei der Inlandsberichterstattung angesagt. Zwar soll die Zahl der Reporter in der Fläche gleich bleiben, aber die Meldungen der Landesdienste werden künftig von weniger Personal bearbeitet?
Ja, es ist geplant, die bisherige Eingabe der Landesdienstmeldungen an den RegioDesks bis frühestens Sommer 2020 in Berlin zu zentralisieren. Acht bis zehn Desk-Stellen sollen dadurch eingespart werden. Die Reporterkapazität wird eher wieder gestärkt, da sie ja dann keine Desksschichten mehr übernehmen werden. Thema wird aber auch sein, wieviel zusätzliche Arbeitsbelastung auf Berlin zukommen wird. Das Konzept dazu wird noch erarbeitet. Die Betriebsräte haben die Verhandlungen aufgenommen. Diese Entscheidung hat große Unruhe und zum Teil großen Widerstand in den Redaktionen der Landesbüros ausgelöst.
Ergebnisse des Tarifabschlusses 2019
Die Entgeltsteigerungen für die Redakteurinnen und Redakteure der dpa-Mutter betragen mindestens 3,2 Prozent. Überproportional angehoben werden dabei über Fixbeträge die Entgelte der jüngeren Beschäftigten. Zum 1. Juli 2019 erhalten sie rückwirkend 250 bzw. 200 Euro, ab dem 1. Juli 2020 noch einmal 80 Euro mehr. Die Angestellten der dpa-Mutter bekommen insgesamt 4 Prozent mehr Entgelt (jeweils 2 Prozent zum 1. Juli 2019 und zum 1. Juli 2020).
Die jeweils sechs Leermonate in 2019 und 2021 werden mit Einmalzahlungen in Höhe von 350 und 400 Euro überbrückt. Die Zulage für Bundeskorrespondenten bleibt erhalten. Die Beschäftigten der dpa-Töchter erhalten Fixbeträge von 120 Euro zum 1. Juli 2019 sowie 80 Euro zum 1. Juli 2020. Das sind – bei einem Durchschnittsgehalt von 3.600 Euro – 3,3 und 2,2 Prozent mehr Geld. Das Urlaubsgeld für Töchterbeschäftigte wird um jeweils 150 Euro (2019), 300 Euro (2020) und 150 Euro (2021) erhöht.
Mehr dazu: https://mmm.verdi.de/tarife-und-honorare/weg-frei-fuer-mehr-gehalt-bei-der-dpa-60203