Auf Leserfang

Tabloid im Blickpunkt einer dju-Veranstaltung in Köln

Seit gut einem Jahr versuchen die drei Verlage Holtzbrinck, Axel Springer und Neven DuMont mit so genannten Tabloids neue und verlorengegangene Käuferschichten (zurück) zu erobern. Insgesamt sechs Titel gibt es auf dem Markt, jüngstes Produkt ist „20 Cent Saar“ aus dem Hause Holtzbrinck.

Neu sind Zeitungen im kleinen Tabloid-Format in Deutschland allerdings nicht. Schon vor Jahren versuchte die „Hamburger Morgenpost“ mit der Schrumpfung auf eine U-Bahn-nutzungsfreundliche Größe ihre Auflage zu stabilisieren. Doch jetzt geschieht dies bundesweit mit der ausdrücklichen Zielrichtung, junge (Nicht-)Leser bis 39 Jahre zu gewinnen. „i-Pod-Generation“ konkretisiert Wolfgang Ernd, News-Verlagsgeschäftsführer seine Zielgruppe, die „mobil“ sei und eine „hohe Medienkompetenz“ habe. Zusammen mit den kurzen Artikeln, übersichtlicher Struktur, einem lockeren Layout und einem hohen Nutzwert (gemessen am Leseaufwand) kommen sie damit den Wünschen von Jugendlichen nach, wie sie, so Gregor Hassemer, Journalistik Dozent an der Uni Dortmund, die Forschung ermittelt habe.

Keine einheitliche Strategie

Auf einer ver.di-Veranstaltung der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in Köln im April versuchte Hassemer Licht in den Dschungel des neuen Marktes zu bringen. Denn eine einheitliche Strategie zur Eroberung verlorener oder neuer Leser ist nicht zu erkennen, ebenso wie die Größe Tabloid (in der Literatur 235 x 315 mm) in der Realität sehr unterschiedlich ausfällt. Der Verkaufspreis der sechs Tabloids liegt zwischen 20 und 50 Cent. Die Zeitungen erscheinen Montag bis Freitag, „Boulevard“ nur wöchentlich. Verkaufsverluste zu bestehenden Zeitungen aus den eigenen Verlagen werden einkalkuliert.

Die neue Lokalzeitung „direkt“ erscheint lediglich in Köln und hat eine eigene Redaktion. Vom großen Bruder „Kölner Stadt-Anzeiger“ werden Themen, in der Regel aber keine Artikel übernommen. „Welt kompakt“ ist, wie der Name sagt, eine zusammenfassende Überarbeitung der „Welt“ mit einem kleinen Regionalteil. Doch auch hier gilt: Die Artikel sind nicht einfach gekürzt, sondern auf die Bedürfnisse der Zielgruppe umgeschrieben. Anders geht Holtzbrinck vor: Hier wird die Zusammenarbeit mit lokalen Zeitungen vor Ort gesucht wie „Lausitzer Rundschau“, „Saarbrücker Zeitung“. Das gemeinsame Projekt kann dann auf die Produkte der Holtzbrinck-Gruppe („Die Zeit“, „Handelsblatt“) zurückgreifen. „News“ und „20 Cent“ sind Lokalzeitungen, „Boulevard“ versorgt seine Würzburger Leser vor allem mit Veranstaltungshinweisen.

Im Erscheinungsbild ähneln die Tabloids den Gratiszeitungen, die um die Jahrtausendwende den „Kölner Zeitungskrieg“ entfesselten. Sie setzen allerdings überwiegend auf eigene Beiträge. Untersuchungen damals ergaben, dass die gewünschte Zielgruppe – Jugendliche und Frauen – erreicht wurde. Ob dies auch für die neuen Tabloids gilt, wurde noch nicht untersucht. „direkt“-Redaktionsleiter Wolfgang Brüser ist da allerdings optimistisch: So hätten Stichproben an Verkaufsstellen ergeben, dass zwei Drittel der Käufer unter 30 Jahren seien, auf ein jugendliches Alter lasse auch schließen, dass 90 Prozent der Leserreaktionen als SMS kämen.

Die verkauften Auflagen bewegen sich allerdings noch eher in unteren Bereichen: „20 Cent“ (Cottbus) garantiert 10.000 Exemplare bei gedruckten 20.000, im Saarland ging man allerdings gleich mit 50.000 an den Start. „News“ verkauft 9.800 (Druckauflage 25.000), „Boulevard“ 5.700, keine Angaben gibt es zu „Welt kompakt“. 5.474 mal geht „direkt“ täglich über den Kiosktresen. Als Ziel haben sich die Kölner 20.000 gesetzt, in „zwei bis drei Jahren“ wolle man dies erreichen, so Brüser auf der dju-Veranstaltung. Ob das neue Kind in ein paar Jahren das Mutterblatt „Kölner Stadt-Anzeiger“ stützen könne, bleibe abzuwarten.

Vor allem Freie beschäftigt

Und ob es unterm Strich mehr Arbeitsplätze für Journalisten, insbesondere Festanstellungen, gibt, scheint fraglich. Den neuen Tabloid-Redaktionen steht der bundesweite Trend entgegen, vor allem Bezirksredaktionen zu schließen. Wenn, dann dürften vor allem jüngere Journalisten bei den Tabloids eine Chance haben. Am aufwändigsten ist mit 28 Redakteuren die Frankfurter „News“-Redaktion bestückt. „Boulevard“ kommt mit einem Redakteur und drei Pauschalisten aus, „20 Cent“ in der Lausitz hat zwei Redakteure und zehn Pauschalisten, der Namensvetter in Saarbrücken setzt auf zehn Festangestellte. In der Berliner „kompakt“-Zentrale arbeiten zehn Redakteure, hinzu kommen acht in vier Regionalredaktionen. „direkt“ wird von fünf Redakteuren gemacht.

Für die Redakteure gelten die entsprechenden Tarifverträge. Über die Arbeitsverträge ist in der Regel auch die Überlassung der Urheberrechte an allen Verlagsprodukten geregelt. Bei den freien Mitarbeitern, auf die alle Zeitungen in hohem Maße zurückgreifen (bei „direkt“ sind es 12), sind derzeit Bezahlung und Urheberrechte eine Frage der freien Vertragsgestaltung, so ver.di-Jurist Wolfgang Schimmel in Köln. Bei „direkt“ gibt es statt Zeilenhonorar ein „Tagegeld“, dessen Höhe Brüser allerdings nicht verraten wollte. So lange es keine Verträge über angemessene Vergütungen nach dem neuen Urhebervertragsrecht gibt, müsse die Gewerkschaft ein waches Auge auf die Entwicklung haben, so Schimmel.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »

AfD als Social Media Partei überschätzt

Eng vernetzt mit dem extrem- und neurechten Vorfeld und gezielt provozierend mit rassistischem Content: Die Landtagswahlkämpfe der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg waren von einer hohen Mobilisierung geprägt, auch über die sozialen Medien. Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) in Frankfurt am Main zeigt nun aber: die Auftritte der AfD auf Social Media sind weit weniger professionell als zuletzt häufig kolportiert und es gibt deutliche regionale Unterschiede.
mehr »