Druckwerk noch erhältlich – Jobs ohne Sicherheitsnetz
Die Brockhaus-Enzyklopädie geht online! Die komplette 30-bändige Ausgabe ist ab April kostenfrei verfügbar und soll sich über Werbung finanzieren. Konkurrenzlos wird Brockhaus im Netz nicht sein: Bereits Mitte Februar startete Spiegel Wissen (wissen. spiegel.de), die Rechercheplattform im Internet der SPIEGELnet Gmbh und der Bertelsmann-Tochter Wissen Media Group.
„Abschied vom Bildungsbürgermöbel“ titelte die taz am 12. Februar und fasste damit die öffentliche Resonanz zusammen. Der Verlag kommunizierte so ungeschickt, dass der Eindruck entstand, die Enzyklopädie sei nur noch online verfügbar und als gedrucktes Werk nicht mehr erhältlich. Verstärkt wurde dies durch diverse Interviews von Unternehmenssprecher Klaus Holoch, der verkündete, dass die jetzige Druckfassung vermutlich die letzte ihrer Art sein dürfte, künftig stünde sie nur noch im Netz. Unerwähnt blieb dabei, dass die vollständig überarbeitete Enzyklopädie erst zur Buchmesse 2006 vorgestellt wurde und nach wie vor zahlreiche andere Lexika-Reihen von Brockhaus verlegt werden. Peter Neulen, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender der B. I. & F. A. Brockhaus AG (bifab) in Mannheim befürchtet, dass die Medienberichte den Absatz weiter geschwächt haben.
Dabei ist der Hintergrund für den Spurwechsel in die digitale Welt die branchenweit schwierige Marktlage für Nachschlagewerke. Nach vorläufigen Zahlen sank der bifab-Umsatz ohne Kalender- und Schulbuchverlag von 85 auf 76 Millionen Euro für das Jahr 2007. Die Geschäftsleitung rechnet mit einem Verlust von mindestens vier Millionen Euro. Noch für das Jahr 2006 hatte Brockhaus einen Umsatzsprung verkündet, mit einem Jahresüberschuss von 5,68 Millionen Euro, der aber auf die Dudenreihe und die Rechtschreibreform zurückgeführt wurde.
Um Kosten zu senken, will der Verlagsvorstand rund 50 Stellen abbauen. Von den 450 Beschäftigten arbeiten 250 in Mannheim, knapp 60 in Leipzig in der Online-Redaktion, der Rest verteilt sich auf die Standorte Dortmund, Berlin, Frankfurt/Main und Weingarten. Der Stellenabbau sei von langer Hand vorbereitet worden, erklärt Rudi Munz, zuständiger ver.di-Gewerkschaftssekretär für den Brockhaus-Standort Mannheim. Seit 2007 sei Brockhaus im Arbeitgeberverband Börsenverein Baden-Württemberg nur noch ohne Tarifbindung (OT) Mitglied. Im März 2007 kündigte die Geschäftsleitung an, die Arbeitszeit von 37 auf 40 Stunden ab 1. Juni 2007 einzelvertraglich erhöhen zu wollen. „Der Entgeltausgleich sollte in drei Stufen erfolgen. In einer zweiten Variante wurde dann eine Stufenregelung von 37 auf 40 Stunden bei entsprechendem Entgeltausgleich über drei Jahre angeboten“, sagt Rudi Munz. Für die folgenden Jahre sollte es keine weiteren Gehaltsteigerungen geben, dies hätte Nullrunden bedeutet. ver.di warnte damals davor, dass die 40-Stunden-Woche zu weiterer Arbeitsverdichtung und vor allem zu Entlassungen führen kann. Der Arbeitgeber stritt dies ab. Vielmehr soll sich die zuschlagpflichtige Mehrarbeit verringern. „Wir haben verhandelt, um einen Haustarifvertrag abzuschließen“, berichtet Rudi Munz. Die betriebliche Tarifkommission habe die Anhebung der Arbeitszeit mit einer Beschäftigungssicherung koppeln wollen, um betriebsbedingte Kündigungen auszuschließen. Darauf wollte sich der Arbeitgeber nicht einlassen, die Verhandlungen scheiterten.
„Jetzt ist auch dem Letzten klar geworden, warum sie dies nicht wollten“, betont Rudi Munz. „Im Endeffekt ist die Arbeitszeitverlängerung die Voraussetzung für die jetzt im Raum stehenden Entlassungen.“ Problematisch ist, dass ein großer Teil der Beschäftigten auf ein Lockangebot des Arbeitgebers einging, der ihnen eine Prämie zahlte, wenn sie in Einzelverträgen der Arbeitszeitverlängerung zustimmen. Noch hat die Geschäftsleitung aber keine konkreten Unternehmenszahlen vorgelegt, die notwendig sind für Gespräche über Kündigungen und einen Sozialplan.
In Leipzig hat Brockhaus seine Online-Redaktion mit rund 60 Beschäftigen angesiedelt. Trotz der neuen Geschäftsstrategie ist auch dort die Lage nicht ungetrübt. Die Arbeitszeit wurde vor zwei Jahren von 39 auf 42 Stunden trotz Tarifnachwirkung erhöht. Gekoppelt war dies mit einer Beschäftigungsgarantie bis Ende 2008. Zudem wurden befristet Beschäftigte eingestellt. „Alle Standorte werden jetzt wohl überprüft, also auch unserer“, sagt Dörte Brox, Brockhaus-Betriebsratsmitglied in Leipzig. Ob in Sachsen Stellen abgebaut werden, sei deshalb noch offen.