Noch im Oktober wird der Vorabend im „Ersten“ ein ganz anderes Gesicht bekommen:
Die ARD hat eine ganze Reihe neuer Krimiserien in Auftrag gegeben. Neben dem Humor gibt es ein weiteres verbindendes Element: Die Geschichten spielen überwiegend in der Provinz.
Auch im Abendprogramm laufen immer öfter Filme, die nicht in Metropolen wie Berlin, München oder Hamburg, sondern irgendwo auf dem Land entstanden sind. Sie haben oft einen eigenen Charme, weil man in der Überschaubarkeit einer Kleinstadt oder gar eines Dorfes ganz anders erzählen kann. Die Sache hat nur einen Haken: Außerhalb der Großstädte gibt es fast keine filmische Infrastruktur.
Die Vorgabe war klar. „Wir haben eine Stadt gesucht, die einen schönen Fachwerkstadtkern hat. Außerdem brauchten wir eine große Kirche mit einem richtig alten Uhrwerk. Und die Umgebung sollte auch schön sein.“ Gefunden wurde Goslar. Dank der Nähe zum Harz passte die niedersächsische Stadt perfekt als Handlungsort für den Film „Alle Zeit der Welt“ (21. Oktober, ARD), den Rolf Wappenschmitt, Geschäftsführer der Berliner Pinguin Film, im Auftrag der ARD-Tochter Degeto hergestellt hat. Einziger Nachteil: Die Produktion musste das komplette Equipment mitbringen.
Türen gehen einfacher auf
Vor Ort, erinnert sich Wappenschmitt, „gab es weder Lampen noch Walkie-Talkies.“ Aber das kennt der Produzent schon. Pinguin Film drehe oft „in Ecken des Landes, in denen die Filmindustrie nicht zuhause ist. In München oder Berlin stöhnen die Menschen doch längst ‚Nicht schon wieder’, wenn sie merken, dass in ihrer Nachbarschaft ein Film gedreht werden soll. Aber in Bayern oder im Schwarzwald ist das für die Einheimischen immer noch was Besonderes, hier gehen viele Türen viel einfacher auf. Der Bürgermeister von Goslar hat sich sehr gefreut, dass wir da waren, er war eine große Hilfe bei der Vermittlung von Komparsen, bei Drehgenehmigungen oder der Suche nach Unterkünften.“
Sabina Naumann hat Ähnliches erlebt. Sie dreht noch bis Weihnachten auf der anderen Seite des Harzes, in Quedlinburg (Sachsen-Anhalt), die ARD-Vorabendserie „Alles Klara“. Die Produzentin hat das Gefühl, die gesamte Region habe bloß darauf gewartet, dass hier endlich eine größere Produktion stattfindet: „Der Bürgermeister selbst hat uns bei der Suche nach dem perfekten Objekt sehr unterstützt. Auch Polizei und Verwaltung sind sehr entgegenkommend, Drehgenehmigungen sind kein Problem, und wenn mal eine Straße gesperrt werden muss, klappt das reibungslos.“ Und die fehlende Infrastruktur? „Alles eine Frage der Organisation.“ teamWorx-Geschäftsführer Sascha Schwingel hat schon als Filmstudent die Begeisterung erlebt, wenn in einer Region ein Film gedreht wird: „Da entsteht eine regelrechte Volksfestatmosphäre.“ Die logistischen Herausforderungen verteuerten die Produktionen allerdings automatisch: „Die Reisekosten zum Beispiel entpuppen sich oft als Posten, der zu den versteckten Kosten eines Drehbuches gehört.“
Aus diesem Grund spielt „Henker und Richter“ zwar in Westfalen, wird aber rund um Köln gedreht. Auch diese Serie entsteht für den ARD-Vorabend. Produzent ist Mario Krebs, Geschäftsführer von Eikon West (Köln): „Wir müssten mit dem ganzen Tross umziehen. Allein durch die Unterbringung würden immense Kosten entstehen, dafür reicht der Etat nicht aus.“ Wappenschmitt lässt das Kostenargument jedoch nur bedingt gelten, „schließlich sind die Hotelpreise in der Provinz viel niedriger als in der Großstadt.“ Außerdem spare man auf dem Land die Motivmiete: „In Berlin kostet der Quadratmeter einen Euro. Für einen Lkw braucht man rund 14 Quadratmeter, und meistens hat man fünf oder sechs, von den Wohnwagen ganz zu schweigen, da kommt man schnell auf bis zu 400 Euro pro Drehtag.“
Hilfe bei Suche nach Drehorten
Reine Fernsehproduktionen kommen zwar in der Regel nicht in den Genuss einer regionalen Förderung, aber trotzdem können sich die entsprechenden Einrichtungen als unschätzbare Hilfe erweisen. Natürlich gebe es keinen gesonderten Etat für Filme, „nur weil sie außerhalb Münchens gedreht werden“, sagt Klaus Schaefer, Geschäftsführer des FilmFernsehFonds Bayern (FFF). Dennoch können sich die Produzenten auf größtmögliche Unterstützung verlassen. Der FFF stehe „gern mit Rat und Tat zur Seite, um ein Unternehmen auf alternative Handlungs- und Drehorte hinzuweisen. Wir haben in Kooperation mit dem Fremdenverkehrsverband ein landesweites Location-Netzwerk etabliert, das sämtliche bayerischen Gemeinden erfasst.“ Davon hat zuletzt die internationale Kinoproduktion „Die drei Musketiere“ profitiert, die unter anderem in Bamberg, Würzburg und am Herrenchiemsee gedreht worden ist.
Auch in Baden-Württemberg ist gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft und der Tourismusförderung ein Netzwerk geknüpft worden, das in dieser Form laut Gabriele Röthemeyer, Geschäftsführerin der Medien- und Filmgesellschaft (MFG), „in Deutschland einzigartig ist.“ Nordrhein-Westfalen wirbt unter anderem damit, dass man dort abgesehen von Alpen und Meer jede nur denkbare Location finde. Auch hier, sagt Christina Bentlage, Leiterin der Förderung der Film- und Medienstiftung NRW, sei „vor gut zehn Jahren ein Netzwerk initiiert worden, das 35 Städte und Kreise umfasst.“ Drehorte können per Anfrage gesucht werden.
Wie positiv der Einfluss der Fördereinrichtungen auf die Entwicklung einer nachhaltigen Film- und Medienstruktur ist, zeigt das Beispiel Mitteldeutschland. Manfred Schmidt, Geschäftsführer der für die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zuständigen Mitteldeutschen Medienförderung, erinnert sich: „Als wir vor zwölf Jahren angefangen haben, gab es hier nur das Fernsehpersonal des MDR. Das hat sich grundlegend geändert. Heute lässt sich der Stab eines Kinofilms problemlos besetzen, wenn nicht gerade sechs Produktionen gleichzeitig entstehen. Leipzig, Erfurt und Halle haben sich zu funktionierenden Medienstandorten entwickelt.“
Gute Projekte fördern
Im besten Fall soll eine Produktionsfirma das Anderthalbfache der Fördersumme im jeweiligen Bundesland investieren. Schmidt betont allerdings, „dass keineswegs nur wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund stehen. Es ist das oberste Ziel der Förderung, qualitativ gute oder gar herausragende Projekte zu unterstützen.“ Serien haben für eine Region naturgemäß eine größere Bedeutung als Einzelstücke. Durch langlaufende Projekte können sich Strukturen vor Ort bilden. Mit Ausnahme von „Event“-Filmen werden TV-Projekte zwar eigentlich nicht gefördert, aber wenn absehbar sei, so Schmidt, „dass sechzig Menschen aus der Region über einige Jahre dauerhaft beschäftigt sind, lassen wir auch über eine Anschubfinanzierung mit uns reden.“ Eine der ersten Förderentscheidungen der MDM galt der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ (Produktion: die Bavaria-Tochter Saxonia Media), die 1998 mit einer Million Mark unterstützt worden ist. Das Geld ist kurz darauf wieder zurückgezahlt worden. Die erste Staffel der ZDF-Serie „Soko Leipzig“ ist ebenfalls gefördert worden. Die UFA hat eigens für diese Serie eine Produktionseinheit in Leipzig aufgebaut. Grundsätzlich aber, sagt Schmidt, hängt die Entscheidung, ob die MDM ein Projekt fördere, immer vom Drehbuch ab: „Wir fragen, ob eine Geschichte in der Region verortet ist, ob sie mit der hiesigen Identität zu tun hat oder ob sie zum Beispiel als Spiel- oder Dokumentarfilm die Geschichte der DDR aufarbeitet. Wir halten gar nichts davon, wenn ein Produzent nur in Thüringen dreht, weil er unsere Fördergelder abgreifen will.“
Dieses Phänomen gibt es vor allem beim Kinofilm. Ein Produzent beschreibt das so: „Man muss sein Geld in den verschiedenen Bundesländern zusammenstoppeln, das ist ein regelrechter Rundreisezirkus. Am Ende dreht man fünf Tage in NRW, acht Tage in Bayern, sieben Tage in Brandenburg. Auf diese Weise entstehen zusätzliche Kosten. Außerdem ist man ständig unterwegs.“ Schmidt bestätigt, es komme tatsächlich vor, „dass jemand bei fünf verschiedenen Fördereinrichtungen die Hand aufhält. Aber solche Auswüchse werden immer seltener.“ Auch Schaefer würde diesen „Wanderzirkus“ gern stoppen. Aus seiner Sicht „machen viele Produzenten den Fehler, sich erst um Fördermittel zu bemühen und sich anschließend Gedanken zu machen, wo sie eine Geschichte verwirklichen wollen. Dann bekommen sie zwar Geld aus Schleswig-Holstein und aus Bayern, haben aber ein Problem, denn das funktioniert ja nur, wenn ein Film sowohl am Meer als auch in den Bergen spielt.“ Man müsse sich also zuerst überlegen, „wo man den Film drehen kann, und sich dann die dazu passenden regionalen Förderer suchen.“ Unter der Hand räumen Produzenten ein, es gebe Kollegen, die beispielsweise mit Buchhaltungstricks arbeiten, um in den Genuss einer regionalen Förderung zu kommen. Schaefers Warnung an die schwarzen Schafe ist eindeutig: „Solche Produzenten bewegen sich auf dünnem Eis. Ich kann nur jedem dringend von Subventionsbetrug abraten, das führt zu empfindlichen Konsequenzen. Außerdem kickt man sich ja aus dem gesamten Fördersystem raus.“
Förderungen sind nicht unbedingt automatisch mit der Auflage verbunden, dass auch vor Ort gedreht werden muss. Oft genügt es auch, wenn Teile der Postproduktion im jeweiligen Bundesland stattfinden. Aber natürlich fördern die Einrichtungen lieber Projekte, von denen auch die Region profitiert. Jede Produktion, sagt teamWorx-Produzent Schwingel, „bringt bares Geld in die Gegend. Der Tourismusfaktor ist auch nicht zu unterschätzen. In Österreich hat man diesen Aspekt viel früher erkannt als hierzulande, die regionale Filmförderung ist dort noch professioneller als in Deutschland.“ Für Werbeeffekte sorgen naturgemäß vor allem Filme und Serien, in denen Landschaft eine große Rolle spielt. Die „Schwarzwaldklinik“ (ZDF) hat unzählige Menschen ins Glottertal gelockt, „Der Bulle von Tölz“ (Sat.1) war die beste Reklame, die sich Bad Tölz wünschen konnte. Ein beliebter Drehort ist auch der Bodensee. Das im Sommer 2010 rund um Konstanz entstandene Drama „Eine dunkle Begierde“ (Kinostart: 10. November) wird dennoch keine Werbung für die Region sein, denn die Geschichte spielt in der Schweiz am Vorabend des Ersten Weltkriegs; Regisseur David Cronenberg nutzte den Bodensee als Double für den zersiedelten Zürichsee. Trotzdem hat die Region profitiert: Ein großer Teil der 500.000 Euro, mit denen die MFG die Produktion gefördert hat, ist am Bodensee geblieben, schließlich mussten rund fünfzig Teammitglieder während der gut dreiwöchigen Drehzeit untergebracht, gefahren und verpflegt werden; von Gärtnern, Handwerkern, Absperrern und Komparsen ganz zu schweigen.
Dass man auch zwiespältige Erfahrungen mit Kinofilmen machen kann, musste die Schweiz erleben. Erst hatte man erfolgreich indische „Bollywood“-Produktionen ins Land gelockt, dann wollte man sie wieder loswerden. In Gstaad gibt es mittlerweile sogar ein Drehverbot für indische Crews. Dienstleister aus der Region profitieren ohnehin nicht, die Inder bringen alles mit und wollen im Zweifelsfall auch noch finanzielle Unterstützung. Aber dieses Phänomen, kritisiert Produzent Krebs, gebe es in Deutschland auch, und dafür brauche es gar keine Inder: „In NRW hat man ja gehofft, man könne sich als dritte Säule neben Hamburg und München etablieren. Aber diese dritte Säule ist dank der alten DEFA-Studios dann Berlin geworden, außerdem haben dort viele Produktionsfirmen ihren Sitz. In Köln ist keine bleibende Großstruktur entstanden, es gibt hier zum Beispiel nicht mal ein Kopierwerk. Man hat sogar Probleme, genügend Schneideräume zu finden.“ Gleiches gelte für freie Mitarbeiter der verschiedenen Gewerke. Auch Kamera und Licht kämen bei großen Produktionen aus München oder Hamburg. „Die Filmstiftung verkauft es schon als Erfolg, wenn Lars von Trier den Wald von ‚Antichrist’ im Bergischen Land dreht. Dabei wird aber verschwiegen, dass er seine eigenen Leute mitgebracht hat.“ Die NRW-Vision „Industrielle Strukturen schaffen“ hält Krebs für gescheitert. Es fließe viel zu viel Geld in internationale Pipelines. Darüber hinaus halte die Film- und Medienstiftung vor allem „‘Rucksackproduzenten’ am Leben, die alle drei Jahre einen Film machen.“
Studios auf höchstem Niveau
Zumindest den Vorwurf der fehlenden Infrastruktur will Christina Bentlage von der Film- und Medienstiftung nicht auf NRW sitzen lassen: „Die hiesigen Studios arbeiten auf absolut höchstem Niveau und bieten auch hinsichtlich ihrer innovativen Möglichkeiten alles, was man für eine Filmproduktion braucht. Es lässt sich belegen, dass man bei uns in allen Gewerken auch international erfahrene Filmschaffende findet. Für Schauspieler und Regisseure gilt das vielleicht noch nicht durchgängig im gleichen Maße. NRW ist kein traditioneller Filmproduktionsstandort, aber wir arbeiten mit Hilfe eines langfristig angelegten Konzepts täglich daran, dass sich das ändert.“
Krebs’ Ausführungen könnte man auch auf Baden-Württemberg übertragen. Dort sind zwar zuletzt einige Serien entstanden („Eine für alle – Frauen können’s besser“, „Soko Stuttgart“, beides Bavaria-Produktionen), aber ein nachhaltiger Effekt für die Region ist nicht erkennbar. Gerade rund um Stuttgart, widerspricht Gabriele Röthemeyer, sei durchaus „eine gewisse Infrastruktur in Form einiger Gewerke und Dienstleister entstanden.“ Außerdem habe die Ausbildung des Nachwuchses „einen hohen Stellenwert, weshalb die Studenten der finanziell hervorragend ausgestatteten Filmakademie Baden-Württemberg auf die neueste Technologie zurückgreifen können.“ Viele Absolventen der Ludwigsburger Filmhochschule sind in der Region geblieben und haben eigene Firmen für die Bereiche Visuelle Spezialeffekte und Animation gegründet. Studio Soi war mit dem Kurzfilm „Der Grüffelo“ sogar für den „Oscar“ nominiert.
Außerdem hat Frieder Scheiffele, ebenfalls ein „Ludwigsburger“, bewiesen, dass man in Baden-Württemberg eine Serie auch ohne Hilfe aus München herstellen kann. Der Produzent betont, im „Ländle“ gebe es „hervorragend qualifizierte Filmschaffende und Schauspieler sowie zuverlässige und kompetente Dienstleister etwa beim Casting, im Technikverleih- oder im Postproduktionsbereich.“ Scheiffele und seine Mitstreiter hätten bei der an der Akademie entwickelten und für den SWR entstandenen Serie „Laible und Frisch“ von „Dienstleistern, Behörden und Einheimischen die beste Unterstützung erhalten, weil wir die Geschäftsbeziehungen und Partnerschaften schon seit vielen Jahren gepflegt haben. Wir kennen die Drehorte und Bedingungen vor Ort sehr genau. Dies alles spart Geld und erhöht die Qualität. Davon profitieren am Ende alle.“
Und manchmal profitiert eine Region auch dann noch, wenn sie gar nicht mehr damit rechnet. Die niedersächsische Nordmedia hat zwei Filme der Berliner Firma Pinguin gefördert. Und wenn jemand gute Erfahrungen gemacht hat, kommt er gern wieder. Auch das war für Wappenschmitt ein Grund, „Alle Zeit der Welt“ in Goslar zu drehen; selbst wenn es für den Film gar keine Förderung gab.