70 Prozent Ein-Zeitungskreise in Deutschland
Die Politik hat den Zeitungsmarkt und die Tagespresse als Themenfeld wieder entdeckt, scheut aber „vor Eingriffen in den Markt“ zurück. Der Anstoß kam durch das derzeitige Zeitungssterben in den USA. Befördert wurde die Themenkarriere wohl auch durch zum Teil massive Stützungsaktionen für Zeitungen im Ausland (z.B. Niederlande und Frankreich). Hierzulande werden Subventionen zum Erhalt der Vielfalt abgelehnt. Stattdessen werden Deregulierungen angemahnt, um Barrieren für expansionswillige Verlagsunternehmen zu schleifen. Dumm nur, dass gerade diese Regelungen bislang für Vielfalt im Medienangebot sorgen sollten!
NRW-Ministerpräsident Rüttgers kam zur Eröffnung des 21. „medienforums.nrw“ am 22. Juni in Köln schnell zur Sache. NRW weise bei den Tageszeitungen bundesweit die größte Vielfalt auf, verkündete er stolz. Zuvor hatten sich bereits die SPD- und CDU-Medienkommission mit dem Zeitungsmarkt befasst. Der Verweis auf den hohen Wert der Zeitungsvielfalt fehlt nirgendwo. Gescheut wird hingegen die nüchterne Analyse: Der Anteil der Ein-Zeitungskreise dürfte bundesweit inzwischen auf 70 Prozent gestiegen sein. Die von der Verfassung geforderte Vielfalt gibt es kaum noch. Wir haben es mit einem krassen Marktversagen zu tun, weil immer mehr Zeitungsausgaben in nachrangiger Marktstellung eingestellt werden. Bei einem ohnehin schon ausgedünnten Angebot verbleibt in der Regel nur noch eine Monopolzeitung.
Monopole sind das Gegenteil von Vielfalt und müssten daher die Politik zum Einschreiten fordern. Regulierungen bestehen im Medienmarkt aber nach wie vor im Wesentlichen für den Rundfunk, nicht für die Presse. Das einzige Instrument, das sich über Jahrzehnte als wirkungsvoll erwiesen hat, die Konzentration im Zeitungsmarkt wenigstens zu verlangsamen, wird nun in Frage gestellt. Kaum hatte Medienminister Neumann Ende letzten Jahres verkündet, eine Novellierung des Kartellrechts sei nicht geplant, meldeten sich Parteikollegen wie Oettinger und Rüttgers und verkündeten das Gegenteil.
Gezielte Hilfen für Titel, die in der aktuellen Werbekrise in Gefahr geraten, werden der Tradition bundesdeutscher Medienpolitik folgend weiterhin abgelehnt. Wie aber sollen auch nur die Reste von Vielfalt erhalten werden, wenn das traditionelle Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert? Jahrzehntelang stammten zwei Drittel der Einnahmen von Zeitungsverlagen aus der Werbung und ein Drittel aus dem Verkauf der Zeitungen. Inzwischen nähern wir uns einer fifty-fifty-Relation. Doch diese Preisschraube lässt sich nicht unendlich weiter drehen.
In den meisten Ländern der EU hat man längst erkannt, dass die beiden Einnahmequellen nicht ausreichen. Staatliche Förderungen vielfacher Art fließen, um die Zeitungsvielfalt zu erhalten. Auch hierzulande werden solche Maßnahmen diskutiert:
- Der BDZV fordert die Absenkung der Mehrwertsteuer, die allerdings für die Vertriebseinnahmen ohnehin schon auf 7 statt 19 Prozent begrenzt ist. Solche Pauschalregelungen grenzen allerdings an Verschwendung öffentlicher Mittel. Die Zeitungsverlage sind alles andere als eine darbende Branche. Diese benötigt nicht in toto staatliche Hilfe. Bild-Chef Dieckmann verkündet beständig, dass Bild die höchsten Renditen ihrer Geschichte einfahre. Ähnliche Vorbehalte gelten auch gegenüber anderen Erleichterungen nach dem Gießkannenprinzip.
- Dazu zählen auch Modelle wie eine Kulturflatrate, falls auch Verlage zu den Begünstigten gehören sollten oder Gebührenmodelle. Die Rundfunkgebühr von knapp 18 Euro monatlich stößt schon heute auf erhebliche Akzeptanzprobleme. Für jede weitere Belastung der Haushalte würde dies noch entschiedener gelten.
- In den USA sind inzwischen bei einigen Verlagen Stiftungen hilfreich. Im Vergleich zu den USA ist das Stiftungswesen in der Bundesrepublik aber völlig unterentwickelt. Woher sollten die Förderer plötzlich kommen?
- Genossenschaftliche Modelle oder Volksaktien können für einzelne Produkte in Nischen in Frage kommen, aber wohl kaum für die typische Lokalausgabe.Als vor drei Jahren die Buersche Zeitung in Gelsenkirchen eingestellt wurde, gab es intensive Bemühungen, die Zeitung in einer anderen Trägerschaft weiterzuführen. Allein es fehlten die Investoren, obwohl die Marktposition der Zeitung so schlecht nicht war und der Jahresverlust gerade 350.000 Euro betragen haben soll.In früheren Jahren sind noch deutlich höhere Verluste einzelner Lokalausgaben von Verlagen akzeptiert worden. Sie lobten ihr vermeintlich altruistisches Vorgehen. Tatsächlich war es eher marktstrategischen Überlegungen geschuldet oder folgte den Interessen von Werbekunden z.B. an einem geschlossenen Anzeigengebiet. Wie sehr die Bereitschaft gesunken ist, defizitäre Ausgaben über interne Quersubventionen zu erhalten, hat sich erst jüngst beim WAZ-Konzern gezeigt.
Wenn die Verlage wirklich an Vielfalt interessiert wären, ließen sich viele nachrangige Zeitungen relativ einfach sanieren. Diesen Zeitungen fehlen insbesondere Werbeeinnahmen, weil viele Anzeigenkunden nur jeweils die Erstzeitung am Markt belegen. Würden sie eingebunden in einen Werbeverbund mit der Erstzeitung, würde die Kasse plötzlich sprudeln. Wenn nötig, könnte man dafür getrost das Kartellrecht ändern und damit auch dem wiederkehrenden Verlangen der Verlage nach größerem Kooperationsspielraum entsprechen. Eine solche helfende Hand von Marktführern wird es allerdings kaum geben. Darbende Wettbewerber sind ein gutes Zeichen dafür, dass das gelobte Land naht: das paradiesische Monopol.
Letztlich bleibt wohl nur ein Retter – die öffentliche Hand. Das Gegenargument, bei gezielten Subventionen sei die Staatsferne berührt, der Staat könnte letztlich auch Einfluss auf Medieninhalte nehmen, überzeugt nicht. Nicht die Exekutive dürfte die Gelder vergeben, sondern ein neutrales Gremium müsste Bedürftigkeit auf Basis von Bilanzen feststellen und Förderhöhen festlegen. Als Modell könnte die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) dienen, über deren Unabhängigkeit insbesondere das Bundesverfassungsgericht wacht.