Von den Börsengurus wurde Bertelsmann seit geraumer Zeit für seine Politik der Eigenständigkeit milde belächelt. Doch Firmenpatriarch Reinhard Mohn hielt stets die Kontinuität, Unabhängigkeit, Mitarbeiterbeteiligung und Unternehmenskultur des Gütersloher Medienhauses hoch.
So sagte er noch im vergangenen Sommer auf einer Managementtagung des Konzern, natürlich brauche man Gewinne, doch die seien nicht das Wichtigste: „Das Wichtigste sind die Menschen – nicht der Shareholder Value“. Vorstandschef Thomas Middelhoff tat nach außen so, als stehe er in der Tradition Mohns und verkündete gebetsmühlenartig, wie sehr ihm das Erbe des Nachkriegsgründers am Herzen liege.
Doch Middelhoff ist viel zu forsch und von der so genannten New Economy überzeugt, als dass er sich traditionalistische Fesseln anlegen ließe. Seit er vor zweieinhalb Jahren die Wössner-Nachfolge antrat, peitscht er den Konzern von einer Schlagzeile zur nächsten. Vom ehrgeizigen Ziel getrieben, das „Content-Powerhaus“ an die Weltspitze zu führen, lebt er eine Schnelligkeit vor, die so manchen der Getreuen aus dem Atem kommen lässt.
„Das machen wir“, soll Mohn geantwortet haben, als er von Middelhoff in die jüngsten Pläne eingeweiht wurde. Jetzt muss man auch den rasanten Personalwechsel an der Konzernspitze in einem anderen Licht sehen. Bereits im Frühjahr 2000 schied Mohn-Ziehkind Mark Wössner im Zorn aus der Bertelsmann-Stiftung aus.
BMG-Vorstand Michael Dornemann warf im Herbst 2000 die Brocken hin. Andere Manager der mittleren Ebene taten es den beiden gleich. Glamour-Typen wie der frühere AOL-Deutschland-Chef Andreas Schmidt wurden zu ostwestfälischen Shootingstars.
Egal wie man zu ihr steht – Mohns Sozialpartnerschaftsideologie ist ins Wanken geraten. Wössner und Dornemann galten als Mohn-Männer und fühlten sich seinen „Idealen“ verbunden. Unter den Beschäftigten genossen sie hohes Ansehen. Middelhoffs Tun wird mit Argwohn beobachtet. „Wir sind die Größten“ und „Wir sitzen auf einem Sack voll Geld“ sind seine Lieblingsfloskeln, und die drücken nicht immer eine gute Geschäftsidee aus, soll die Traditionalisten -Fraktion in Gütersloh lästern.
Schon jetzt lastet viel Druck auf den 76. 000 Bertelsmann-Beschäftigten. Der Konzern ist in viele dezentrale Profitcenter aufgeteilt. Nur wenige Bertelsmann-Betriebe sind tarifgebunden. Wer die strenge Renditevorgabe von 15 Prozent nicht erfüllt, muss mit Konsequenzen rechnen. In Zukunft müssen die Beschäftigten auch noch mit dem Druck steigender Aktienkurse klarkommen. In einer Art Zangenbewegung wird seit Jahren ein Angriff auf die Arbeitszeit geführt. Das fing mit dem Verbandsaustritt der Gruner+Jahr-Druckerei in Itzehoe an, fand seine berüchtigte Fortsetzung beim Mohndruck-„Partnerschaftspaket“ und ist mit der Festschreibung der 40-Stunden-Woche in einigen Dienstleistungsbereichen noch lange nicht am Ende.
Die Gütersloher Profitmaximierungsphilosophie beantworteten vor etwas mehr als einem Jahr Redakteurinnen und Redakteure der „Sächsischen Zeitung“ in Dresden mit einem Streik: Lokalredaktionen sollte in eigenständige Gesellschaften ausgelagert werden, um sie unter anderem „der Kontrolle des Betriebsrats“ zu entziehen, wie in einem verlagsinternen Strategiepapier nachzulesen war. Jetzt muss man wissen, dass die „Sächsische Zeitung“ die Gesündeste im Konzern ist und selbst da wurde der Druck erhöht, damit noch mehr Umsatz in die Kasse nach Gütersloh gespült wird (siehe M 1-2/01). So gesehen warf der zukünftige Börsengang schon viele Schatten.