In den großen deutschen Verlagshäusern tobt der „Sparzwang“. Den schwarzen Peter dafür liefert die Finanzkrise. Unternehmenszahlen, die das Klagen auf hohem Niveau verdeutlichen oder Kritiken an Strategien, werden nicht gern gehört. Mit massiven Stellenstreichungen, Auslagerungen, Zentralisierungen, Mantelmodellen, Honorarkürzungen und sogar Kurzarbeit sollen dabei Qualitätsjournalismus und Pressevielfalt erhalten bleiben, wird aus Verlegerkreisen hartnäckig versichert.
Zweifel an einer solchen „Strategie“ sind angebracht. Exemplarisch dafür kann die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) stehen. Dort ist zur Zeit dicke Luft.
Neustadt an der Weinstraße ist die geheime Zeitungshauptstadt der Republik. Geheim ist wörtlich zu nehmen. Ein „clantestines Unternehmen“ sei die Südwestdeutsche Medienholding (SWMH), so ein Wirtschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung; der Mann an der Spitze sei der wohl „mysteriöseste Verleger hierzulande, aber immerhin ein Verleger“. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung am Sonntag nennt das verschachtelte Medienunternehmen des Dieter Schaub „Ein Reich des Schweigens“. Es besteht aus 616 Einzelbeteiligungen, Überkreuzbeteiligungen und Zwischenholdings, wie die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) auf 27 DIN-A4-Seiten dokumentiert. Vom idyllischen Weinort in der Pfalz aus spinnt Altverleger Schaub die Fäden. Die werden in Stuttgart von Richard Rebmann, dem Geschäftsführer der Holding, aufgenommen. Der ehemalige Verleger des Schwarzwälder Boten ist Schaubs Mann für subtile Mitarbeitermotivation.
Freiwilliger Abgang
Unter den vom Manager-Magazin ermittelten 100 reichsten Deutschen sind neun Verleger zu finden. Mit 1,1 Milliarden Euro gilt Schaub unter den hiesigen Verlegern als der Zweitärmste – dicht gefolgt von Erich Schumann (WAZ) der es nur auf 0,95 Milliarden bringt. Um in die Spitzengruppe zu Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn (6,5 Milliarden) aufzurücken, muss dringend gespart werden. Die WAZ macht vor, wie das funktioniert (siehe M Nr. 6–7/2009 „Lokal ausgedünnt“).
Auch Rebmann verordnete einen gnadenlosen Sparkurs. Doch weil Schaub seiner Holding eine „Art Informationszölibat“ (Der Spiegel) verordnet hat, bekommt niemand eine aussagekräftige Bilanz zu Gesicht. Klar, wer „das Geld mit der Schubkarre erst rein und dann wieder rausfährt“ (ein Redakteur), hat keine Zeit für penible Buchführung. Teilbereiche der Holding bringen es nach Betriebsratsschätzungen auf Umsatzrenditen von um die 20 und mehr Prozent. Und irgendwie müssen die gut 700 Millionen Euro, die im Frühjahr 2008 zum Kauf der Süddeutschen Zeitung aufgebracht wurden, refinanziert werden.
Das spürten zuerst die Kolleginnen und Kollegen in München. Um 15 Millionen Euro einzusparen, stellte Rebmann einen üppigen Abfindungstopf auf und innerhalb einer „Selbstentlassungsfrist“ sollten möglichst viele Redakteure freiwillig gehen. Das taten dann vor allem Verlagsangestellte. Pauschalisten wurden gekündigt und der Honorartopf um 20 Prozent gekürzt. Ein Redakteur: „Im ersten Buch und im Wirtschaftsteil dürfen wir keine Freien mehr beschäftigen.“ Das hatte zur Folge, dass auch jede Menge Informationskanäle flöten gingen.
Neben der Großbaustelle Süddeutsche Zeitung gibt es in der Medienholding „so viele Baustellen, da brauchen wir einen Navigator, damit wir uns zurechtfinden“ meint ein Redakteur der Stuttgarter Zeitung. Womit auch ein Problem beschrieben wäre: die Stimmung in den Redaktionen sei mehr als schlecht – die Leute hätten Angst. Und seinen Namen möchte der Redakteur – wie auch andere – nicht in der Gewerkschaftszeitung gedruckt sehen.
Dagegen ist für SWMH-Verhältnisse Rebmann ein geradezu geschwätziger Mensch. Der Sonntag Aktuell-Redakteurin Susanne Stiefel gewährte er sogar ein Interview. „Sie brauchen auch zufriedene Redakteure, denn die gestalten die Zeitung. Die wissen aber nicht, wie lange ihr Schreibtisch steht. Wann gibt es mehr Klarheit?“ wollte Stiefel von Rebmann wissen. Rebmanns Antwort: „Mitte Juli werden wir wissen, welchen Weg wir weiter verfolgen werden.“
Gekündigt und beschimpft
An einem Tag Mitte Juli lief die Produktion von Sonntag Aktuell gerade auf Hochtouren, als ein Verlagsmanager verkündete, zum Ende des Jahres seien alle 17 festangestellten Redakteurinnen und Redakteure gekündigt. Zuvor musste sich die Redaktion anhören, sie machte ein „beliebiges, weinerliches und betuliches Blatt“, das der Verlegergruppe einfach zu teuer sei. „Das ist nicht nur im Ton unanständig, sondern auch inhaltlich eine reine Manager-Fiktion, die den letzten Rest an journalistischem Urteilsvermögen vermissen lässt“, so Konzernbetriebsratsvorsitzender Samir Alicic in einem offenen Brief an den Holdingvorstand.
Für den Südwesten der Republik produziert die Sonntag Aktuell-Redaktion seit 30 Jahren im Auftrag etwa 40 Tageszeitungen der Holding die „siebente Ausgabe“. Rebmann fand die Zeitung nicht mehr zeitgemäß und wollte etwas anderes – ohne zu wissen, was und wie er sich das vorstellt. In der schon seit Anfang des Jahres bestehenden Projektgruppe, die für die Sonntagszeitung ein neues Konzept erarbeiten soll, ist von der jetzigen Redaktion niemand vertreten. Auf die Frage, warum das so sei, soll Rebmann laut Branchenbeobachter Günther Kress geantwortet haben: „Wenn Beteiligte über ihr eigenes Schicksal nachdenken sollen, kommt es leicht zu Denkblockaden.“ Wertschätzung sieht anders aus.
Was sich das Management leiste, sei einfach nur noch „planloser und ungehemmter Sparwille, der in menschenverachtender Art und Weise durchgezogen wird“, so ver.di-Landesfachbereichsleiter Gerhard Manthey während einer „kämpferischen Mittagspause“, an der sich nach dem Ausspruch der mündlichen Kündigungen etwa 200 Beschäftigte beteiligten. Danach wiegelte das Management ab: noch sei nichts entschieden, es gebe vorerst keine Kündigungsschreiben. Auch sei man gewillt, einige Redakteure zu übernehmen. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe dauerten die Verhandlungen zum Interessenausgleich an.
Unterdessen ist der Relaunch der Stuttgarter Zeitung abgeschlossen und bei einer prächtigen Party hat man sich selbst gefeiert. Sogar der Ministerpräsident vom Ländle war da und hat die „anwendungsfreundliche Zeitung“ gelobt. Ob er realisiert hat, dass 20 Prozent Inhalt wegrelauncht wurden? „Es ist doch eine Meldung wert, dass das gleiche Produkt zum gleichen Preis mit 20 Prozent weniger Information ausgestattet ist“, moniert die dju Stuttgart. „Ein Wort des Dankes an die Belegschaft“ wäre zudem eine gute Tat gewesen.
Keinerlei Mitsprache
Auch der Newsroom der Stuttgarter Zeitung funktioniert inzwischen. „Dabei wurden gut funktionierende Redaktionsstrukturen zerschlagen“, berichtet eine Redakteurin. Mitsprache bei der Besetzung der Tische: Fehlanzeige! Und während Redakteure anderer Blätter bei der Installation neuartiger Redaktionstechnik vor gar nicht allzu langer Zeit noch sagten, für eine Beurteilung sei es zu früh, ist die Ansage aus Stuttgart glasklar: „Der Newsroom ist ein perfides Rationalisierungsinstrument.“ Ein anderer Redakteur: „Zum Beispiel wird der Artikeltausch zwischen den Blättern immer einfacher.“ Was da momentan in einigen Zeitungshäusern erprobt werde, komme einem Dammbruch gleich: die Vielfalt bleibe auf der Strecke. „Ich will nicht das Gefühl haben, dass ich das, was ich in der Stuttgarter Zeitung lese, überall lese“, so der Schwabe Cem Özdemir, Parteichef der Grünen, bei der Relaunch-Party. Die Angst einiger Redakteure, dass der Mantelteil eines Tages aus München geliefert wird, scheint mehr als berechtigt zu sein.
Auf ihren bisherigen gemeinsamen Mantelteil müssen ab kommenden Jahres die Leserinnen und Leser in Coburg (Frankenpost), Suhl (Freies Wort) und Hof (Neue Presse) verzichten – er kommt dann von den Stuttgarter Nachrichten (siehe M Nr. 6–7/2009 „Kein Blatt vor den Mund“). Während sich die Beschäftigten in Thüringen und Franken noch gegen Verschlechterungen aufbäumen, scheint man sich weit im Osten der Republik der Resignation hinzugeben. Die komplette Redaktion und der Verlagsservice der Märkischen Oderzeitung wurden in die Holdingeigene Leiharbeitsfirma ausgelagert. Tarifflucht – im Osten erprobt – scheint die neue Konzernstrategie zu werden, befürchtet ver.di-Mann Gerhard Manthey: „Mittelfristig könnte es laut Herrn Rebmann in der Holding keine Tarifbindung mehr geben.“ Die Gewerkschaft stelle sich auf einen heftigen Abwehrkampf ein.
Paul Sethes – „Ich bin kein Linker“ – legendärer Satz „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten“ wäre heute angesichts der Besitzverhältnisse noch zuzuspitzen. In seinem Leserbrief an den Spiegel – veröffentlicht am 5. Mai 1965 – hatte Sehte prophezeit: „Da die Herstellung von Zeitungen immer größeres Kapital erfordert, wird der Kreis der Personen, die Presseorgane herausgeben können, immer kleiner. Damit wird unsere Abhängigkeit immer größer und immer gefährlicher.“