Die Krise der Wochenpresse …

…hat vielfältige Ursachen

Die deutsche Wochenpresse leidet unter Auflagenschwund. Gegen die Aktualität der elektronischen Medien und die gestiegene Qualität der Tagespresse können sich Blätter wie „Die Zeit“, „Die Woche“ und Publikationen aus dem kirchlichen Umfeld nur schwer behaupten.

Das „Sonntagsblatt“ ist tot, es lebe „Chrisma“. So lautet – zumindest bis Anfang Dezember – der Titel einer 56-seitigen Monatsillustrierten, mit der die publizistische Tradition der am 13. Oktober letztmals erschienenen Wochenzeitung fortgeführt werden soll. Dahinter steckt eine vergleichsweise kühne strategische Partnerschaft: Das supplementähnliche „Chrisma“ – nun „Chrismon“ (DuMont Schauberg hatte eine Verwechslungsgefahr mit der Fernseh-Beilage „prisma“ geltend gemacht und einen Namenswechsel rechtlich erzwungen) – liegt seit dem 16. Oktober allmonatlich einmal der „Zeit“, der „Frankfurter Rundschau“, der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Sächsischen Zeitung“ bei. Unter Reichweitengesichtspunkten ist die Allianz für die herausgebende Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) allemal ein lohnendes Projekt. Die Gesamtauflage beträgt an die 1,4 Millionen Exemplare. Die Kosten reduzieren sich gegenüber dem „Sonntagsblatt“ um die Hälfte auf 4,5 Millionen Mark. Die Kirche sichert eine Bestandsgarantie von zunächst fünf Jahren zu. Danach, so Chefredakteur Arnd Brummer, werde entschieden, ob man im Supplementsegment verbleibe oder ob sich gar eine Perspektive als eigenständige Magazin-Publikation ergebe.

Zuschussbedürftigkeit der kirchlichen Publikationen

Die Einstellung des Vorgängers „Sonntagsblatt“ hat vor allem gattungsspezifische Gründe.“ Der Markt der Wochenzeitungen ist ein Schrumpfkamerad“, sagt Arnd Brummer, der letzte Chefredakteur des „Sonntagsblatts“. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mochte sich den mit jährlich neun Millionen Mark subventionierten teuren Kostgänger nicht länger leisten. Zuletzt verkaufte das Blatt nur noch 35.000 Exemplare. Eine deprimierend niedrige Zahl gemessen an der 130.000er Auflage, die die Zeitung noch Anfang der 80er Jahre erzielt hatte. Seine große Zeit hatte das „Sonntagsblatt“ bis Mitte der 60er Jahre erlebt, als es neben der „Zeit“ und „Christ und Welt“ als wichtige meinungsbildende publizistische Stimme in der Bundesrepublik galt. Mit der Studentenbewegung geriet es gegenüber der „Zeit“ dauerhaft ins Hintertreffen. Diverse Relaunchversuche und durchweg gediegener Qualitätsjournalismus für die gebildeten Stände konnten den Niedergang nicht aufhalten.

An der Zuschussbedürftigkeit der kirchlichen Publikationen dürfte sich auch künftig generell wenig ändern. Dabei korrespondiert die anhaltende Zahl der Kirchenaustritte mit dem Schrumpfen der Auflagen. Gleichwohl sind die Verantwortlichen bemüht, ihre Medien im Interesse einer wirksamen Außendarstellung zu erhalten. So werden Millionen in die Modernisierung von Layout und redaktionellen Konzepten gesteckt. Beim „Rheinischen Merkur“ gelang es mit behutsamen Erneuerungsschritten und teuren Werbekampagnen, den Niedergang zu stoppen. Die Auflage des Blattes, das 1979 mit dem evangelischen Periodikum „Christ und Welt“ fusionierte und seither auch ökumenische Tendenzen vertritt, liegt seit einigen Jahren stabil bei etwa 110.000 Exemplaren. Eine Stabilität, die freilich nur durch Patenschaftsabos kirchlicher Dienststellen garantiert wird. Das Blatt hängt am Tropf der neue katholischen Eigentümer-Diözesen und der Deutschen Bischofskonferenz.

Ausweitung des Medienangebots

Zu schaffen macht den wöchentlichen Periodika das begrenzte Zeitbudget ihrer Klientel bei gleichzeitiger Ausweitung des Medienangebots. Online-Dienste und Spartenkanäle steuern ständig mehr Beiträge zum informationellen overkill bei. Und obgleich die Medienausgaben der jüngeren Leute ansteigen, ist es für Zwanzigjährige von heute nicht mehr selbstverständlich, sich durch ein Abo an eine Zeitung zu binden. Sie entscheiden vielmehr spontan und kurzfristig über ihren Medienkonsum.

Solche veränderten Verhaltensmuster bedrohen selbst den Klassiker unter den deutschen Wochenzeitungen, die „Zeit“. Zwar hält sie bei einer Auflage von rund 440.000 klar die Marktführerschaft im Segment der Wochenpresse. Doch seit dem Höhenflug Anfang der 90er Jahre, als ein meinungsfreudiges Klima im Gefolge der politischen Wende dem Blatt vorübergehend fast eine halbe Million Käufer bescherte, geht es bergab. Daran konnte auch die seit 1997 unter dem neuen Chefredakteur Roger de Weck schrittweise vorgenommene Rundumerneuerung nichts ändern. Angesichts der Flut neuer Publikumsblätter findet es „Zeit“-Geschäfsführer Rainer Esser logisch, „dass general-interest-Titel mit hoher Auflage zu kämpfen haben“. Trotz modernerer Optik und inhaltlichen Zugeständnissen an den Zeitgeist gilt das Blatt Spöttern immer noch als Lieblingslektüre deutscher Studienräte. Mit diversen Modernisierungsschritten sucht das Blatt neuerdings ein jüngeres Publikum an sich zu binden. Der soeben präsentierte überarbeitete Wirtschaftsteil kreist vor allem um Themen aus dem Spektrum der New Economy. Der Anfang September geliftete Internet-Auftritt wartet mit Chat-Angeboten, speziellen Hochschulinfos und zusätzlichen exklusiven Beiträgen von Autoren der Print-Ausgabe auf. Die 15.000 Leser, die durch Einstellung des unrentablen „Zeit-Magazins“ im vergangenen Jahr verprellt wurden, konnten überwiegend mit der neuen Farbbeilage „Leben“ und weiteren Neuerungselementen versöhnt werden. Die Frischzellenkur wirkt sich offenbar verjüngend aus: Lag das Durchschnittsalter der „Zeit“-Leserschaft vor zwei Jahren noch bei 46, ist es mittlerweile auf 43 Jahre gesunken. Gleichwohl setzt das Blatt laut Esser weiterhin auf „evolutionäre Weiterentwicklung“, um die traditionelle Klientel nicht zu verstören. Allerdings nicht mehr mit Roger de Weck – inzwischen wurde seine Ablösung bekanntgegeben. Als neue Chefredakteure fungieren Herausgeber Josef Joffe und Michael Naumann, bis dato noch Staatsminister für Kultur, künftig ebenfalls im Herausgeberkreis der „Zeit“.

Qualitätssteigerung der Tageszeitungen

Die wohl größte Bedrohung für die Wochenpresse geht wohl von dem rasanten Qualitätsanstieg der Tageszeitungen aus. Die früher geltende Arbeitsteilung – newsorientierter Tagesjournalismus hie, hintergrundliefernde Wochenpublizistik da – gilt nicht mehr. Wissenschaft und Bildung etwa, einst klassische Themen der Wochenpresse, finden heute in jeder besseren Tageszeitung ein breites Forum. Umfassende, gründliche und kommentierte Information lässt sich über die großen überregionalen Tageszeitungen ebenso gut und aktueller erreichen.

„Probleme haben doch alle“

Diese Tendenz macht auch der Hamburger „Woche“ zu schaffen. Dabei gilt das 1993 gegründete Blatt geradezu als Prototyp einer modernen Wochenzeitung. Noch vor „Focus“ setzte die „Woche“ auf eine neuartige formale Ästhetik: auf Info-Grafik, aufgelockertes Layout bei weit gehenden Verzicht auf „lange Riemen“, auf großzügigen Einsatz von Farbe. Inhaltlich rückte personen- und autorenorientierter Journalismus in den Vordergrund. Das innovative Konzept brachte zwar jede Menge Preise der Society for Newspaper Design ein. Der Durchbruch beim Lesepublikum blieb hingegen aus. Den bisherigen Auflagenzenit erreichte die „Woche“ vor zwei Jahren, als sie bei 145.000 Exemplaren notiert wurde. Danach ging es wieder bergab. Derzeit stagniert das Blatt bei rund 130.000, also 20.000 unter der Marge, die als Grenzwert für rentables Wirtschaften angesehen wird. Nach Branchenschätzungen fährt die Zeitung jährlich Verluste in Höhe von 20 Millionen Mark ein. Auch die Anfang des Jahres vorgenommen Reduzierung des Copy-Preises um 60 Pfennige auf jetzt 3,90 Mark konnte den Trend nicht stoppen. Gleichwohl mag Klaus Teichmann, Geschäftsführer des Jahreseiten-Verlag, nichts von einer Krise wissen. „Mit Ausnahme einiger Computer- und Wirtschaftstitel haben doch alle Probleme“, findet er und verweist auf das Schicksal von „Sonntagsblatt“ und „Bayernkurier“. Der bisherige Mitgesellschafter Dietrich von Boetticher sah das offenbar anders. Mitte September stieß er seine 20-prozentige Beteiligung bei der „Woche“ ab. Die letzte Rate eines Rückzugs, der bereits im Frühjahr 1999 mit der Reduzierung seines ursprünglich bei 46 Prozent liegenden Anteils begonnen hatte. Boetticher hatte bei seinem Einstieg im Jahre 1996 die Abonnentenkartei des eingestellten ehemaligen DDR-Blattes „Wochenpost“ in die Ehe mit dem Jahreszeiten-Verlag eingebracht. Doch die erhoffte Bluttransfusion fiel schwächer aus als erwartet. Von den zuletzt knapp 25.000 „Wochenpost“-Abonnenten konnte nicht mal ein Drittel gehalten werden. Man möge den Ausstieg Boettichers nicht dramatisieren, sagt Teichmann, es handle sich schlicht um eine „Begradigung der Gesellschafterverhältnisse“. Jetzt befindet sich die „Woche“ wieder zu 100 Prozent in den Händen von Jahreszeiten-Verleger Thomas Ganske. Konkurrenz sieht Teichmann weniger bei den neuen Medien und Spartenblättern als bei den Tageszeitungen: „Die Tagespresse hat tatsächlich ihr redaktionelles Angebot aufgestockt und in Qualität investiert.“ Dennoch könne ein Mehr an Informationen den besonderen Nutzwert, den die Wochenpresse durch Einbettung, Kommentierung und Hintergrund liefere, nicht ausgleichen.

Neue Allianz rettet „Bayernkurier“

Von der Einstellung bedroht schien bis vor kurzem der „Bayernkurier“, das Zentralorgan der bayerischen CSU. Das Traditionsblatt riss jährlich ein Loch von viereinhalb Millionen Mark in die Parteikasse. Allein im vergangenen Jahr sank die verkaufte Auflage um 25.000 auf zuletzt 124.000 Exemplare. Davon sind nur 15.000 reguläre Abos, beim größeren Rest handelt es sich um „sonstige Verkäufe“. Die Drohung von CSU-Chef Edmund Stoiber an das Parteivolk, nur bei einer Verdreifachung der Abos könne das Blatt gerettet werden, verhallte ungehört. Ende September dann die überraschende Wende: Künftig wird das CSU-Präsidium den „Bayernkurier“ gemeinsam mit der Leadermedia Deutschland, einer Tochter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ herausgeben. Mit der Dienstleistungsgesellschaft, die das internationale Anzeigengeschäft der FAZ („International Herald Tribune“, „Kurier“) vermarktet, hat die CSU einen Geschäftsbesorgungsvertrag geschlossen. Seit November übernimmt die Leadermedia die technische Herstellung, das Anzeigengeschäft und den Vertrieb des „Bayernkurier“. „Eine hervorragende Lösung, die die publizistische Zukunft unserer Zeitung sichert“, lobt Chefredakteur Wilfried Scharnagl. Die strategische Partnerschaft wird mit einem Relaunch verknüpft. Scharnagl verspricht „mehr Farbe, mehr Rubriken, mehr Köpfe und kurze Dinge“. Die Wirtschaftberichterstattung soll ausgebaut, der Umfang nach Möglichkeit erweitert werden. Die Auflage schrumpft auf etwa 70.000 bis 80.000. Künftig wird das Blatt nur noch den rund 50.000 Mandatsträgern kostenlos zugestellt. Dazu kommen die Abonnenten, die sich die Parteizeitung jährlich 150 Mark kosten lassen. Der Erscheinungstag wechselt vom Sonnabend auf den Donnerstag. Die erste neue Ausgabe ist am 9. November herausgekommen. Ob die erstaunliche Allianz von FAZ und „Bayernkurier“ auf Regionalisierungsgelüste der Frankfurter hindeutet, bleibt abzuwarten.

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