Die Zauberfrauen der sozialen Marktwirtschaft

Die Bertelsmann-Stiftung

Die Bertelsmann-Stiftung versteht sich als Beraterfirma fürs Kanzleramt und Reformwerkstatt – sie hat angeblich viel Einfluss, aber keine Macht und zudem ist sie Eigentümerin des gleichnamigen Konzerns

Wer sitzt mit am Tisch, wenn es auf höchster politischer Entscheidungsebene darum geht, das Gesundheits- und Bildungswesen zu reformieren? Oder in Fragen der Medienpolitik Positionen auszuloten? Wer denkt mit, wenn im Arbeitsministerium über Beschäftigungspolitik nachgedacht wird? Oder wer sitzt – als unsichtbare Vierte – mit am Tisch, wenn im Bundeskanzleramt das Bündnis für Arbeit tagt?

Diese – nicht nur rhetorisch gemeinte – Fragen stellte unlängst das „Handelsblatt“ und lieferte die Antwort: „Die Bertelsmann-Stiftung, nicht links, nichts rechts, nicht einzuordnen.“ Derartig freischwebend berät die Stiftung unter anderem das Bundeskanzleramt und das Bundesarbeitsministerium, wie Mark Wössner auf der Jahrespressekonferenz im Dezember 1999 verriet. In der Bildungspolitik wird der Elite-Gedanke wieder in den Vordergrund gerückt und die Medienindustrie soll sich weitgehend regulierungsfrei entwickeln können. Das sind einige Impulse, die von Gütersloh ausgehen. In ihrem Selbstverständnis versteht sich die Stiftung als gesellschaftspolitische Reformwerkstatt.

Mit der politischen Einordnung ist das so eine Sache. Wenn man davon ausgeht, dass die „Stiftung und die Bertelsmann AG strategisch-traditionell“ zusammen gehören, wie Stiftungschef Mark Wössner sagt, muss man im Prinzip nur noch eins und eins zusammenzählen und kommt zu einem ziemlich eindeutigen Ergebnis. Reinhard Mohn gründete die Stiftung 1977; dabei spielten „gesellschafts- und unternehmenspolitische Überlegungen eine gleichberechtigte Rolle“, wie es in der Selbstdarstellung heißt. Neben dem gesellschaftspolitischen, kulturellen und sozialen Engagement der Familien Bertelsmann und Mohn sollte die Stiftung auch die Unternehmenskontinuität des Hauses Bertelsmann sichern. Im September 1993 hat Mohn 68,8 Prozent der Kapitalanteile der Bertelsmann AG auf die Stiftung übertragen. Über Mohns Motive gibt ein weiterer Satz aus der Selbstdarstellung Aufschluss: „Dass die gemeinnützige Stiftung zum größten Eigentümer des Unternehmens wurde, ist in der Überzeugung Mohns begründet, dass große Vermögen sich der Sozialverpflichtung des Eigentums, wie sie das deutsche Grundgesetz postuliert, unterzuordnen haben.“

Das „Handelsblatt“ gibt folgende Geschichte zum Besten: Bei seinem Abschied als Vorstandschef der Bertelsmann AG schenkten Mitarbeiter Mark Wössner ein Messing-Fernrohr. Damit könne er von seinem jetzigen Arbeitsplatz auf dem Sessel des Stiftungsvorsitzes auf seinen alten Arbeitsplatz und Nachfolger Thomas Middelhoff gucken. Dieses Fernrohr, schreibt das „Handelsblatt“, sei „eines jener Präsente für Leute, die schon alles besitzen und nichts mehr brauchen, außer noch mehr Erfolg“. Das Instrument hierfür sei die über 200 Köpfe starke und mit einem Jahresetat von 103 Millionen Mark ausgestattete „wahrscheinlich größte, auf jeden Fall aber einflussreichste Stiftung Deutschlands.“

„Reformkommission Soziale Marktwirtschaft“

Ein Blick in die Besetzungsliste und die Papiere der von der Stiftung eingesetzten „Reformkommission Soziale Marktwirtschaft“ gibt zum einen Aufschluss über die politische Bewertung des Kapitalismus und zeigt zum anderen den Einfluss, den die Stiftung auf Politik auszuüben versucht. Unter dem Vorsitz von Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf machen sich der ehemalige Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall, Dieter Kirchner, der ehemalige Vorsitzende der IG Chemie, Hermann Rappe, der Staatssekretär im Wirtschaftsminis-terium, Sigmar Mosdorf, Beinahe-Wirtschaftsminister Jost Stollmann, Oswald Metzger, finanzpolitischer Sprecher von B90/Die Grünen sowie Otto Schlecht und Horst-Friedrich Wünsche von der Ludwig-Erhard Stiftung – um nur einige zu nennen – Gedanken über die „Weiterentwicklung und Perspektiven der Sozialen Marktwirtschaft“, wie es im „Arbeitsauftrag“ der Kommission – in der keine Frau vertreten ist – formuliert ist. Mit den „Verantwortungsträgern“ aus Politik und Wirtschaft soll ein „umsetzungsorientierter Dialog“ geführt werden. Zudem soll sich die Kommission mit „ordnungspolitischen Stellungnahmen“ an der tagesaktuellen Diskussion beteiligen.

Beispielsweise mischt sie sich in die Debatte „Tarifrente mit 60“ – einem Projekt der IG Metall – ein und meint, ein solches Instrument wäre „kein geeigneter Weg zur Vollbeschäftigung“. Dabei hat dies die IG Metall nie behauptet und immer darauf hingewiesen, dass es sich hier lediglich um eine „Beschäf-

tigungsbrücke“ handele. Die „Reformkommission“ hat eine eigene Idee: Anhebung des Rentenalters. Weiter setzt man sich für eine „Renaissance der Selbstständigkeit“ ein; dafür müsse insbesondere das Steuer- und Sozialrecht geändert werden. Die Rücknahme staatlicher Regelmentierung wird gefordert, um den „privaten Wirtschaftskräften Freiraum zurück zu geben.“

Regionales „Bündnis für Arbeit“

In Ostwestfalen organisiert die Stiftung ein regionales Bündnis für Arbeit, mit dem nach eigenen Angaben „in wenigen Monaten über 1000 Arbeitsplätze geschaffen werden konnten“. Es sollen noch mehr werden, zum Beispiel durch die „Zauberfrau“: Die Stiftung lobte einen Wettbewerb zur Gründung einer Dienstleistungsagentur aus. Gewonnen hat das Unternehmen „Zauberfrau“ aus Münster. Jetzt dürfen die Zauberfrauen auch in Gütersloh eine Niederlassung einrichten und bekommen dafür eine Anschubfinanzierung von 50.000 Mark sowie eine „begleitende Beratung im Wert von 10.000 Mark“, wie es im Pressetext der Stiftung heißt. „Gerade berufstätige Singles haben oft kaum noch Zeit, sich um ihren Haushalt zu kümmern. ,Kühlschrank voll, Hemd gebügelt, Blumen auf dem Tisch’ lautet daher unser Serviceangebot“, sagt Zauberfrau-Chefin Mechthild Konerding. Damit ist das frauenpolitische Weltbild von so manchem Mann wieder ins rechte Licht gerückt.

„Kommission Mitbestimmung“

„Kooperation“ ist eines der Zauberworte der Stiftung. Mit der DGB-eigenen Hans-Böckler-Stiftung, dem DGB-Bildungswerk und dem Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft (RKW) wurden Seminarreihen zu den Themen „Unternehmenskultur“ und „Betriebsräte als Manager des Wandels“ aufgelegt. Ziel der Seminare ist, „betrieblich erprobte Handlungskonzepte zur Umsetzung einer erfolgreichen Unternehmenskultur“ zu vermitteln. Zur Begründung wird angeführt, vor dem „Hintergrund der wachsenden Herausforderungen und Marktveränderungen durch Globalisierung sowie den gesellschaftlichen Wertewandel und strukturelle Krisen“ sei das Thema Unternehmenskultur so „aktuell wie nie zuvor“.

Von der Gewerkschaftsöffentlichkeit fast unbemerkt setzten Bertelsmann- und Böckler-Stiftung 1996 die „Kommission Mitbestimmung“ ein, die 1998 ihre inzwischen berüchtigten „26 Thesen zur Mitbestimmung“ vorlegte. Es war die baden-württembergische IG Medien-Chefin Sybille Stamm, die auf dem DGB-Bundeskongress im Juni 1998 in Düsseldorf als einzige zu den Thesen Stellung bezog: Die Thesen seien auch im Hinblick auf das 1996 verabschiedete DGB-Grundsatzprogramms ein „radikaler Bruch in unserem gesellschaftlichen Verständnis von Mitbestimmung“, da sie von einer „strukturellen Gleichheit zwischen Kapital und Arbeit“ ausgehen.

Stamms Augenmerk galt besonders der These 11, die sie wörtlich zitierte: „Tarifverträge und die Tarifautonomie der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sollen das Zustandekommen von beschäftigungssichernden Standortvereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgebern unterstützen. Soweit mittelfristige Investitionszusagen des Arbeitgebers davon abhängen, dass der Betriebsrat normalerweise tariflich geregelte Aspekte von Arbeitszeit und Entlohnung in ein gemeinsames Paket standortsichernder Maßnahmen einbringen kann, sollten die geltenden Tarifverträge diese ermöglichen. Der notwendige Schutz vor einem Unterbietungswettbewerb zwischen konkurrierenden Unternehmen kann durch eine im Tarifvertrag vorgesehene Ratifizierung von betrieblichen Vereinbarungen, die in tarifliche Regelungen modifizierend eingreifen, durch die Tarifvertragsparteien sichergestellt werden.“

„Man denkt, man liest eine Unternehmerpostille“, rief Stamm dem Kongress zu und forderte dazu auf, „wenn das das neue Verständnis des Verhältnisses von Mitbestimmung und Tarifpolitik“ sei, muss es zum Gegenstand des Kongresses gemacht werden. Stamm blieb die einzige Rednerin! Mitglieder der Kommission waren anwesend und hätten sich zumindest rechtfertigen können. Zum Beispiel DGB-Chef Dieter Schulte, ÖTV-Chef Herbert Mai, HBV-Chefin Margret Mönig-Raane oder Heide Pfarr, Geschäftsführerin der Hans Böckler-Stiftung. In der Kommission arbeiteten aber auch solche „Freunde der Mitbestimmung“ wie Karl Molitor, ehemaliger Arbeitgeberpräsident der chemischen Industrie, der oben erwähnte Dieter Kirchner, Peter Harz – „das atmende Unternehmen“ – VW-Arbeits-

direktor oder der Ehrenpräsident des BDI, Klaus Murmann, mit. Dass der Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts und Niedriglohnbefürworter im Bündnis für Arbeit, Klaus Streeck mit von der Partie war, überrascht nicht besonders.

Gemeinsames Projekt mit der ÖTV – „ein Stück Vorarbeit für ver.di“

Unter der Überschrift „Mitgift für ver.di“ veröffentlichte der DGB-Info-Dienst „einblick“ einen Beitrag über ein gemeinsames Projekt der ÖTV mit der Bertelsmann-Stiftung. Die ÖTV hatte nach eigenem Bekunden erkannt, dass „Kommunikation der Schlüssel für effektive Gewerkschaftsarbeit“ ist. Mit einem Etat von 1,1 Million Mark – den sich die beiden Partnerinnen teilten – wurde das Kommunikationswesen der ÖTV auf den Prüfstand gestellt. „Unser Problem ist oft, den Veränderungsprozess zu gestalten. Für diese Veränderungen haben wir mit der Bertelsmann-Stiftung eine kompetente Partnerin gewonnen“, so Herbert Mai zu dem Projekt. Und weiter: „Die guten Erfahrungen mit dem Projekt und die zahlreichen Erkenntnisse sind auch ein Stück Vorarbeit für ver.di.“

Ob der Politik der Böckler-Stiftung sind erste kritische Stimmen zu hören. So forderte der letzte Gewerkschaftstag der IG Metall den Vorstand auf, „in Anbetracht des fortschreitenden strukturellen Niedergangs des DGB, sowie den anhaltenden Verstößen gegen das Prinzip der Einheitsgewerkschaft“, die Arbeit der Böckler- Stiftung „kritisch zu bilanzieren“. Gegebenenfalls müsse die Arbeit der IG Metall-eigenen Otto-Brenner-Stiftung sys-tematisch ausgebaut werden.

Das Schlusswort soll das „Handelsblatt“ haben: „Das Niedriglohnkonzept beispielsweise war ein Kind der Bertelsmann-Stiftung; ’sie hat einen gewissen Einfluss in den Themenfeldern, in denen sie sich Kompetenz erworben hat’, sagt Mark Wössner.“ Aber mit Einfluss sei keine Macht verbunden.

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