Durchbruch für DAB+?

Digitalradiotag auf der IFA – es diskutierten Jörn Krieger, Volker Schott, Ulrich Liebenow, Hans-Dieter Hillmoth, Gerd Bauer, Andreas F. W. Schneider (v.l.n.r.). Foto: Hermann J. Haubrich

Fortsetzung der (fast) unendlichen Geschichte des Digitalradios

Wird in naher Zukunft DAB+ den Radioempfang über UKW endgültig ablösen? Wie können kleine lokale und regionale Sender den teuren Umstieg stemmen? Diese und andere Fragen diskutierten Betroffene und Wissenschaftler auf dem Digitalradiotag der Medienanstalten auf der diesjährigen Internationalen Funkausstellung (IFA) Anfang September in Berlin.

Auf den ersten Blick lesen sich die Zahlen im brandneuen „Digitalisierungsbericht 2015” gut: Zehn Prozent aller bundesdeutschen Haushalte verfügen mittlerweile über ein DAB+-Empfangsgerät – gegenüber 2013 eine glatte Verdoppelung. 7,9 Millionen Menschen – das sind rund elf Prozent der Bevölkerung – nutzen hierzulande DAB+. Die Tagesreichweite liegt bei knapp über fünf Millionen. Davon entfallen 2,9 Millionen Hörerinnen und Hörer auf die DAB-Programme der ARD, während rund 2,2 Millionen Hörer die privaten DAB-Angebote nutzen. In jedem der vier Millionen mit Digitalradio ausgestatteten Haushalten sind durchschnittlich 1,6 DAB+-fähige Geräte im Einsatz – auch beim Digitalradio geht der Trend zum Zweitgerät.

Willi Steul, Intendant des Deutschlandradios Foto: Hermann J. Haubrich
Willi Steul, Intendant des Deutschlandradios
Foto: Hermann J. Haubrich

Manchen Akteur verleitet die jüngere Entwicklung schon wieder zu euphorischen Sprüchen. „Die Kuh fliegt – und sie nimmt Tempo auf”, frohlockte beispielsweise Willi Steul, der Intendant des Deutschlandradios im Angesicht der neuen Zahlen. Aber ist diese Euphorie wirklich berechtigt? Die gefeierte Marge von zehn Prozent DAB+-Haushalten bedeutet im Umkehrschluss: 90 Prozent der Haushalte zeigen sich bislang von den Segnungen der neuen Übertragungstechnik unbeeindruckt. Nach wie vor leidet das Digitalradio unter einem Akzeptanzproblem. Die Vorzüge hingegen sind seit Jahren sattsam bekannt. DAB+ nutzt Frequenzressourcen besser aus, ermöglicht mehr Medienvielfalt, hat günstigere Verbreitungskosten, verfügt über höhere Klangqualität als UKW und bietet bessere Verkehrsinformationen. Aber wichtige Player sperren sich nach wie vor.

Die Zurückhaltung der Autohersteller.

Ein entscheidender Treiber könnten zum Beispiel die Automobilunternehmen sein. Aber die halten sich einstweilen vornehm zurück. Gerade mal 1,91 Millionen Autos sind mit DAB+ ausgestattet, ein kümmerlicher Prozentsatz von knapp fünf Prozent. „Das Produkt ist offensichtlich noch nicht so attraktiv, wie es sein müsste, um die restlichen 90 Prozent zur Anschaffung eines Digitalradios zu motivieren”, sagt Volker Schott vom Verband der Automobilindustrie. Er verwies auf mangelnde Sendervielfalt. Auch bei der Netzabdeckung gebe es noch Lücken. Zwar liege der Versorgungsgrad auf den Autobahnen schon bei fast 100 Prozent. Aber mehr als die Hälfte aller zurückgelegten Wege fänden jenseits der Highways statt, und dort liege der mobile Empfang erst bei 85 Prozent. Andererseits: In Großbritannien, einem Eldorado der Digitalisierung, werden Neuwagen serienmäßig mit Digitalradio ausgestattet. Die Kritik, hierzulande sei DAB+ beim Neuwagenkauf nur als teure Sonderausstattung mit mehreren Hundert Euro Zusatzkosten zu haben, ließ Schott abperlen. Programm- und Netzangebote seien einfach nicht attraktiv genug. Sobald diese Probleme gelöst seien, würden die Autohersteller Digitalradio in Serie anbieten – „zumindest im Premium-Segment”.
Die Geräteindustrie wiederum meint, ihre Hausaufgaben gemacht zu haben. „Die Geräte sind da, die Akzeptanz ist da”, sagte Andreas Schneider, Digitalradio-Sprecher beim Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie (ZVEI), zugleich Leiter der AG digitale Endgeräte bei Sony. Digitalgeräte seien im Audiobereich der Wachstumstreiber, in Europa sogar der stärkste digitale Wachstumsmarkt”, so Schneider: „Wir stehen Gewehr bei Fuß”. Dumm nur, dass am IFA-Stand von Sony kein einziges DAB-Gerät ausgestellt war. Auch von einer Empfehlung des ZVEI an seine Mitglieder, DAB-Geräte vorteilhaft in Szene zu setzen, war nirgends die Rede.

Dorothee Bär, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) Foto: Hermann J. Haubrich
Dorothee Bär, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI)
Foto: Hermann J. Haubrich

Heikle Finanzierungsfragen.

Während einige der Beteiligten noch mauern, richten sich viele Hoffnungen auf das unlängst beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gegründete neue „Digitalradio Board”. Dem Board gehören 15 Vertreter von Bund, Ländern, öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern, Landesmedienanstalten, die Bundesnetzagentur sowie Radio- und Automobilhersteller an. Das Gremium soll dem schon seit Jahrzehnten diskutierten Umstieg von UKW auf Digitalradio endlich den entscheidenden Kick geben.
Dorothee Bär, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), sprach die heikle Finanzierungsfrage an. „Es ist uns bewusst, dass kleine lokale Rundfunkanbieter den Übergang zur digitalen Verbreitung nicht allein stemmen können”, konstatierte sie. Man kenne die Forderungen, aus einem Teil der Erlöse aus der letzten Frequenzversteigerung die Simulcast-Phase von UKW und DAB+ zu finanzieren. Zwar bekannte sich Bär zur Förderung des Digitalradios. Allerdings lehnte sie es ab, irgendwelche konkrete finanzielle Zusagen zu machen. Die Versteigerungserlöse aus der „Digitalen Dividende II” sind nach den Ministeriumsplänen weitgehend für den Breitbandausbau zweckgebunden.
Für Hans-Dieter Hillmoth, Vorstandsmitglied des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) ist völlig klar: „Das Radio der Zukunft wird durch die lokale und regionale Verankerung leben.” Entscheidend sei die Verwurzelung der Moderatoren, die Interaktion des Publikums mit den jeweiligen local heroes. Selbst Apple mache mit seinem neuen Musik-Streaming-Dienst „Beats 1” gerade die Erfahrung, dass selbst ein gut gemachtes weltweites Radioprogramm nicht wirklich funktioniere. Er plädierte dafür, die bereits vorhandenen Stärken „zum Fliegen zu bringen”. Die lokalen, regionalen, landesweiten Programme müssten über DAB+ verlässlich störungsfrei zu hören sein. Daran anschließend stelle Hillmoth kritische Fragen: Brauchen wir nationale Multiplexe? Wie viele Programme wollen wir insgesamt haben? Und wie diese finanzieren? Für kleinere und mittlere Privatsender sei jetzt schon die Refinanzierung „extrem schwierig”.
Im Gepäck hatte Hillmoth ein VPRT-Positionspapier mit einem klaren Bekenntnis zur Digitalisierung des Hörfunks. Darin heißt es präzisierend, „digitales Radio sei nicht nur DAB Plus, sondern vor allem als Webradio und andere Audioangebote im Netz erfolgreich”. Zur Gewährleistung der regionalen Vielfalt des Mediums benötige das Privatradio einen „Ordnungsrahmen, der eine Schädigung der Gattung Radio und existenzielle Auswirkungen auf den Lokalfunk vermeidet”. Um eine Ausstrahlung über alle Geräte zu gewährleisten, fordert der Verband die Einführung eines Multi-Chips, der die Übertragung über UKW, DAB+ und Internet ermöglicht.

Staatliche Regulierung und öffentliche Förderung.

Wie könnte eine „Roadmap” für den Weg zum Digitalradio hierzulande aussehen? „Allein marktgetrieben wird der Umstieg nicht gelingen”, konstatierte Martin Deitenbeck, Mitglied im Fachausschuss Technik, Netze, Konvergenz der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM). Ohne staatliche Regulierung samt öffentlicher Förderung werde es nicht gehen. Digital bedeute allerdings auch für die Medienanstalten „DAB+ und Internet, also hybrid”. Wie bringt man am besten lokalen und regionalen Hörfunk in die digitale Welt? Der DLM-Mann unterschied zwischen einer Aufbau- und einer Migrationsphase. Für die Aufbauphase gelten klare Kriterien: an deren Ende müsse eine 95prozentige Flächenabdeckung mit mindestens zwei Multiplexen stehen. Nötig sei ein „quantitativer Programm-Mehrwert” gegenüber der aktuellen UKW-Versorgung, dazu müssten „mindestens 30 Prozent der neu verkauften Geräte” DAB+-tauglich sein. Diese drei Kriterien, so schätzt Deitenbeck, seien in den nächsten zwei bis drei Jahren erfüllbar. Länger dauern werde wohl die gleichfalls nötige Entwicklung eines „Messverfahrens, das die tatsächliche Nutzung von Digitalradio belastbar nachweist”.

Martin Deitenbeck, Mitglied im Fachausschuss Technik, Netze, Konvergenz der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) Foto: Hermann J. Haubrich
Martin Deitenbeck, Mitglied im Fachausschuss Technik, Netze, Konvergenz der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM)
Foto: Hermann J. Haubrich

Für die Migrationsphase gelte unter anderem, dass UKW-Frequenzzuweisungen nur an Veranstalter erfolgen dürften, die ihre Programme per Simulcast verbreiteten. Unzulässig sei künftig ferner die UKW-Verbreitung von bislang ausschließlich digital verbreiteten Programmen – ein Seitenhieb auf den Bayerischen Rundfunks, der seinen digitalen Jugendkanal BR Puls auf der UKW-Frequenz von BR Klassik ausstrahlen will. Das Ende der Migrationsphase bedeute das Ende des Simulcastbetriebs und damit auch das Ende von UKW.
Auf diesem Weg kann Ulrich Liebenow, Leiter der AG Digitalradio der ARD, gut mitgehen. Für ihn zählen vor allem die Inhalte. Bei guter technischer Versorgung und einem verbesserten Programmangebot werde eine weitere Zunahme der Akzeptanz von Digitalradio nicht ausbleiben, prognostizierte er. Allerdings, so räumte er ein, sei auch innerhalb der ARD der „Enthusiasmus für DAB+ unterschiedlich ausgeprägt”. Liebenow plädierte für eine „möglichst kurze Simulcast-Phase, um die Kosten gering zu halten”.
Nach wie vor ungeklärt ist weiterhin, aus welchen Mitteln die Privatsender in der Migrationsphase den Simulcastbetrieb finanzieren sollen. Eine denkbare Alternative: Die Quersubventionierung dieser Aufgabe aus den Erlösen der im Juni abgeschlossenen Versteigerung terrestrischer Fernsehfrequenzen. Aber auch die beträchtlichen Mehreinnahmen aus dem neuen Rundfunkbeitrag könnten eine mögliche Finanzierungsquelle sein. Gerd Bauer, Direktor der Landesmedienanstalt Saarland, kann sich sogar eine direkte staatliche Unterstützung vorstellen. Schließlich sei auch die bundesweite Verkabelung in den 1980er Jahren aus Steuermitteln finanziert worden. Wenn die Politik einen „eigenständigen digitalen Verbreitungsweg für das Radio” wünsche, müsse sie auch die materiellen Voraussetzungen dafür schaffen. Die Privatsender dürften mit dieser Aufgabe nicht allein gelassen werden, weil sonst die „Gefahr eines Auseinanderdriften des dualen Systems” entstehe.
Bleibt noch die Frage nach Sinn und Unsinn eines konkreten Abschalttermins für UKW. Den gab es schon einmal. Aber angesichts der Hunderte Millionen UKW-Empfangsgeräte in deutschen Haushalten wurde der klammheimlich wieder kassiert. Selbst unter den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist diese Frage umstritten. Während die ARD nach den bisherigen Erfahrungen einer solchen Deadline eher skeptisch gegenüber steht, können die Verantwortlichen des Deutschlandradios sich das sehr wohl vorstellen. DLR-Intendant Steul: „Ich bin weiterhin der Meinung, dass ein anvisiertes Abschaltdatum von UKW der Sache hilfreich wäre.” Immer wieder genannt wird das Jahr 2025.

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