Wie wird Künstliche Intelligenz das Filmgeschäft verändern? Und welche Auswirkungen hat die Technologie auf die Kreativen? Die Erwartungen an KI sind groß, die Befürchtungen aber auch. Denn Algorithmen können mit Hilfe von großen Datenmengen schon heute Stimmen oder Deepfakes erstellen. Auf der Fernseh- und Streaming – Messe MIPTV in Cannes beschäftigte das Thema die internationale Branche.
Pünktlich zum Start einer der größten TV- und Streaming Messe der Welt, der MIPTV in Cannes, veröffentlichte das Amsterdamer Unternehmen Dubformer Anfang der Woche eine Software, mit der künstlich generierte Sprache fast genauso gut gelingen soll, wie „menschliche Synchronisation“ im Studio.
Bereits im vergangenen Jahr übersetzte das Start-up im Auftrag von einem der weltweit größten Produktionsunternehmen All3Media 100 Stunden Programm per Computer vom Englischen ins Spanische. Dabei ging es vor allem um Factual – Programmes, die auf Youtube-Kanälen laufen, darunter etwa die True Crime Reihe „Conman Case Files“. Das Publikum hat über unterschiedliche Audiospuren die Wahl zwischen den Sprachversionen.
Geschäftsführer Anton Dvorkovich ist sich sicher, dass die Technologie nun bereit sei, die Anforderungen des Medienmarktes zu erfüllen. Vor allem die Kosteneffizienz sei ein Treiber: „Stellen Sie sich vor, Sie haben einen guten Dokumentarfilm, der in Ihrem Land erfolgreich gelaufen ist. Und Sie möchten ihn in fünf weiteren Sprachen bringen, um ihn neuen Zuschauern zu zeigen.“ Mindestens fünf verschiedene Unternehmen hätte man früher benötigt, um das umzusetzen.“
Pumuckels Stimme dank KI
Auch in Deutschland hat die Zukunft begonnen. Gerade erlebt Pumuckl auf RTL ein Revival. Das Besondere: Eines der charakteristischsten Markenzeichen des Kobolds, – die Stimme des verstorbenen Schauspielers Hans Clarin -, blieb dank künstlicher Intelligenz erhalten. Umgesetzt hat das das ukrainische Unternehmen Respeecher. Ihre Software kombiniert die Pumuckl – Stimme aus den alten Folgen mit dem Tempo und der Modulation eines echten Schauspielers.
In der Sky-Sendung „Me & Myself“ traf Komiker Dieter Hallervorden zu seinem 88. Geburtstag auf seinen 30 Jahre jüngeren digitalen Klon – prooduziert von Volucap. Das volumetrische Studio erstellte auch für „The Matrix Resurrections“ und aktuell für den Science-Fiction Film „Mickey 17“ mit Robert Pattinson 3D-Avatare und Deepfakes der Stars, die in Sequenzen eingefügt wurden. Geschäftsführer Sven Bliedung von der Heide ist sich sicher, dass die technologische Entwicklung noch ganz am Anfang steht und mittelfristig zum Standard in der Bewegtbild-Produktion werden wird.
Nur noch eine Frage der Zeit?
Viele Brancheninsider auf der MIPTV waren davon überzeugt, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis Menschen im Film- und TV-Bereich von Maschinen komplett ersetzt werden können. Das hatte neben anderen strittigen Entwicklungen im vergangenen Jahr zum Streik von amerikanischen Kreativen geführt, der die US-Film- sowie Fernsehbranche monatelang lahmlegte. Die Protestierenden wollten unter anderem verhindern, dass Algorithmen mit ihren Leistungen ohne ihre Zustimmung trainiert werden.
Erst im Dezember kam es zu einer Einigung. Vereinbart wurden Ausgleichszahlungen sowie ein Mitspracherecht der menschlichen Vorbilder, wenn es um den Einsatz ihrer digitalen Kopien geht. Auch über die Bezahlung wurde eine Einigung erzielt, wenn Avatare von Darsteller*innen in beispielsweise Serien verwendet werden, in denen sie bereits „in echt“ mitgewirkt haben.
Zurzeit wird in Deutschland ebenfalls verhandelt. „Wir werden alles dafür tun, damit Kreativität gefördert wird und damit Kreative nicht abgeschafft werden.“ Das sagt Schauspieler Heinrich Schafmeister, der zurzeit als Tarifverhandlungsbevollmächtigter der Schauspielergewerkschaft BFFS gemeinsam mit ver.di, mit der deutschen Produzentenallianz diskutiert. Und es ist ein komplizierter Bereich, um den es geht. Digitale Veränderungen an Schauspieler*innen, digitale Teilverkörperung, digitale Duplikate oder digitale Mischformen. „Wann wollen wir was wie erlauben und wie werden wir darüber informiert, und wie wird es vergütet?“ Mit diesen Fragen umreißt Schafmeister die Problemlage, die es zu klären gilt: „Große Schwierigkeiten haben wir mit Replikaten, die uns letztlich arbeitslos machen würden. Und was ist, wenn die Merkmale verschiedener Schauspieler vermischt werden?“
Kreative Leistungen sind noch nicht ersetzbar
Dass Vergütungen sein müssen, wenn Akteur*innen in Szenen eingefügt oder verfremdet werden, darüber besteht auch für Björn Böhning kein Zweifel, aber der Vorstand der Produzentenallianz möchte bestimmte Anwendungen nicht generell ausschließen: „Wir wollen das für schnellere Produktionsprozesse und unter Umständen auch für bessere Produktionsprozesse einsetzen. Etwa, um bei einer Verletzung von Schauspielern einzelne Szenen mit dessen Zustimmung ersetzen zu können. Das müsste auch im Interesse der Schauspielenden sein.“
Bei RTL jedenfalls werden die neuen Möglichkeiten sowohl „neugierig“ als auch mit „gebotener Vorsicht“ erprobt. „Im fiktionalen Tagesgeschäft hat KI bei uns vor allem eine hilfreiche Unterstützungsfunktion“, so Barthel, „etwa bei schnellen ersten Entwürfen, dem Generieren von vielfältigen Ideen oder einer kurzen Zusammenfassung.“ Das „kluge“ Prompten einerseits und das saubere Überprüfen andererseits seien allerdings unabdingbar. Dasselbe gelte für die Stoffentwicklung. Der Fiction-Chef betont, dass menschliches, künstlerisches Schaffen eins zu eins durch KI „On screen“ zu ersetzen, noch nicht leichter oder günstiger sei. Bei aller Begeisterung für technisch erzeugte Figuren bleibe es aber ein „enormer Unterschied“, wenn „on location“ etwa mittelalterliche Schlachtenszenen „in echtem Dreck“ und mit „handgeknüpften Kostümen“ inszeniert würden.
Schafmeister schließlich ist sich sicher, dass „Kreativität zu einem gewissen Teil auch auf kindlicher Intelligenz, sogar auf menschlichen Fehlleistungen beruht: „Und beides bekommt eine Maschine nicht hin.“ Und mit Blick auf den Einsatz von KI ist er sich nicht sicher, ob in der Produzentenlandschaft, die sich davon Vorteile erhofft, die Folgen auch für deren eigenes Geschäftsmodell unterschätzt werden: „Sie könnten sich in Zukunft damit auch selbst überflüssig machen.“