Ein Stück Zeitung, bitte!

Das Blendle Team mit den Gründern Alexander Klöpping (l.) und Marten Blankesteijn (r.) Foto: Blendle / Leonard Fäustle

Online-Plattformen verkaufen einzelne Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften

Das in den Niederlanden bereits erfolgreiche Web-Angebot Blendle startet im September in Deutschland. Das Hamburger Startup Pocketstory war etwas schneller und ist bereits seit Mai in der Beta-Version online. Beide bündeln die Angebote von Zeitungen und Zeitschriften und bieten Artikel daraus zum Kauf an. Ist das die Lösung für die Finanzierungsnot des Journalismus?

Das Konzept von Blendle ist simpel: Interessiert man sich für einen Artikel in einem Magazin oder einer Zeitung, muss man so nicht mehr das ganze Heft kaufen, sondern kann für einen geringeren Preis den einzelnen Artikel online erwerben. Es sind viele und namhafte Zeitungen und Zeitschriften, deren Artikel bei Blendle zum Verkauf stehen werden: Von der Zeit über den Spiegel und Cicero bis hin zur Bild am Sonntag und Brigitte, aber auch kleinere Lokalzeitungen. Wie hoch der Preis ist, bestimmt der Verlag, 30 Prozent des Verkaufspreises verbleiben bei Blendle. Durchschnittlich werden 20 bis 30 Cent für einen Artikel fällig. In den Niederlanden läuft Blendle bereits seit einem Jahr – mit beachtlicher Resonanz. 300.000 Nutzer sind registriert. Zahlreiche Medien beteiligen sich an der Plattform.

Qualitätsjournalismus als Lückenfüller.

Wenn Blendle in Deutschland startet, konkurriert die Plattform mit einem Anbieter, der bereits seit Mai in der Beta-Version ähnliche Dienste bereitstellt: Das Hamburger Startup Pocketstory bietet einzelne Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften an. Das Angebot jedoch ist spärlich im Vergleich zu dem, was Blendle ankündigt. Die Artikel stammen vor allem aus Publikationen des Zeit- und Spiegel-Verlags, nicht alle Artikel sind aktuell. Ausgewählt werden sie „ausschließlich nach der Qualität der Inhalte”, erklärt Dieter Dengler, Geschäftsführer von Pocketstory. Man picke aus den Medien die Rosinen heraus. Angeboten werden nur längere Artikel ab 5.000 Zeichen „Wir wollen unseren Lesern Artikel mit klugen Gedanken, originellen und tiefgründigen Informationen und lange Gespräche und Interviews bieten.” Dafür sorge, so Dengler, selbst ehemaliger Chefredakteur von Spiegel Online, ein Redaktionsteam, das von erfahrenen Zeitungs- und Magazinmachern geleitet wird.

Dieter Degler, Anke Rippert, Thorsten Höge von Pocketstory (v.l.n.r.) Foto: Dirk Moeller
Dieter Degler, Anke Rippert, Thorsten Höge von Pocketstory (v.l.n.r.)
Foto: Dirk Moeller

„Mitreißende Geschichten” verspricht Pocketstory auf seiner Webseite. „Perfekt für Bus, Bahn und unterwegs”, ideal also für die, die „wenig Zeit für ein ganzes Heft” haben. Folgerichtig wird zu jedem Artikel die geschätzte Lesezeit angegeben. Ein Spiegel-Artikel über die Flüchtlinge im Mittelmeer etwa könnte eine Pause von 25 Minuten füllen, ein Artikel über einen Tatort-Kommissar in der Berliner Zeitung die Zeit bis zur Ankunft der S-Bahn in sieben Minuten. Ein Artikel kostet hier allerdings auch mal 1,99 Euro – und damit nicht viel weniger als ein ganzes Heft.
Von Blendle unterscheide man sich außerdem, indem man bereits online sei und deutschen Datenschutzbestimmungen unterliege. Für Blendle hingegen führt Gründer Marten Blankestejin an, die Plattform habe sich bereits bewährt und das Angebot sei umfassender als das des Konkurrenten.

Zugang zu jungen Lesern.

Trotz der betonten Unterschiede: Mit ihren Angeboten füllen beide Plattformen eine Lücke, die durch die Änderung der Lesegewohnheiten und des Medienkonsums entstanden ist. Die Auflagen der Print-Produkte gehen zurück, immer weniger Menschen lesen Zeitungen oder haben sie gar im Abo. Journalistische Inhalte sind im Internet bislang meist kostenfrei abrufbar. Ideen für die Finanzierung von Journalismus in Zeiten des Internets gibt es kaum. Die Verlage sehen in Blendle und Pocketstory ein Marketinginstrument und versprechen sich von der Kooperation neue Vertriebswege. Sie hoffen, neue Leserinnen und Leser zu gewinnen, insbesondere unter den Jungen, die im Internet zuhause sind und um Print-Medien bislang einen Bogen gemacht haben. Die Nutzer von Blendle sind jung, die meisten zwischen 25 und 30 Jahren alt. Springer und New York Times scheint das Konzept zu überzeugen: Sie haben drei Millionen in Blendle investiert.

„Vielversprechendes Angebot”. Auch Cornelia Haß, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di hält Blendle für ein „vielversprechendes Angebot”. Es könne „offenbar tatsächlich dazu beitragen, dass verstärkt auf Qualitätsinhalte zugegriffen und dafür bezahlt wird”. Journalistische Inhalte seien so nur gegen Gebühr verfügbar, weshalb Blendle aus Sicht der dju ein „interessantes Vertriebsmodell” sei.
Andreas Bull, Geschäftsführer der taz, teilt diesen Optimismus nicht. Die taz sei zwar generell „Experimenten gegenüber aufgeschlossen”, auch gäbe es keine ideologischen Vorbehalte. Das Geschäftsmodell von Blendle halte man aber für „wenig aussichtsreich”. Für Bull stehe immer noch im Vordergrund, was durch das Zerpflücken der Zeitungen in einzelne Artikel verloren geht: „Das kompositorische Werk der Redaktion als Kollektiv”. Die taz beteiligt sich deshalb bislang nicht an der Plattform.

www.blendle.com / www.pocketstory.com

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

KI-Lösungen: Heise macht es selbst

Das Medienhaus „Heise Medien“ hat kürzlich das auf generative Künstliche Intelligenz (KI) spezialisierte Medienhaus „Deep Content“ (digitale Magazine „Mixed“ und „The Decoder“) aus Leipzig gekauft. Damit will Heise die Zukunft generativer KI mitgestalten. „Deep Content“ entwickelte mit „DC I/O“ ein professionelles KI-gestütztes Workflow-Framework für Content-Teams und Redaktionen. Bereits seit Juni dieses Jahres kooperiert Heise mit „Deep Content“ bei der Produktion des Podcasts „KI-Update“. Hinter der Übernahme steckt die Idee, den neuen Markt weiter zu erschließen und hohe Gewinne einzufahren.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »