Eiskalt frei gestellt

„Absoluter Tiefpunkt verlegerischen Handelns“ bei Lensing-Wolff in Münster

Der 19. Januar 2007 war ein Tag, den die Redaktion der Münsterschen Zeitung nicht so schnell vergessen wird. Aus ihren schmucklosen Redaktionsräumen im Druck­haus (Redaktionsjargon „Lattenheim“) wurden sie zu einem Termin beim Verlags­geschäftsführer Lutz Schumacher ins frisch renovierte Verlagsgebäude in Münsters Neubrückenstrasse zitiert. Der teilte der 19köpfigen Truppe in einem zehnminütigen Gespräch lapidar mit, dass sie ab sofort von der Arbeit „freigestellt“ sei.

„Das Unternehmen, bei dem sie beschäftigt sind, hat keinen Produktionsauftrag mehr“, so die Begründung für die „Arbeitsbefreiung“. Man könne sich ja bei der neuen Gesellschaft bewerben, die jetzt den Lokalteil herstelle, seine Empfehlung an die erfahrenen Kollegen. Schumacher ist nur Erfüllungsgehilfe und nicht Initiator dieser Aktion. Die hat sich der Dortmunder Verleger Lambert Lensing-Wolff aus­gedacht. Er entzog als Herausgeber der Münsterschen Zeitung Verlagsgesellschaft GmbH & Co KG den Auftrag und übertrug ihn an eine neue Media Service GmbH. Dort beschäftigt er seitdem 17 neue Redakteurinnen und Redakteure, die von einem neu installierten Newsdesk gesteuert die Zeitung produzieren. Und die er, wie die dju NRW in einer Pressemitteilung vermutet, deutlich schlechter und unter Tarif bezahlt. Da dieses skandalöse Vorgehen ein bundesweites Medienecho aus­löste, ist Lensing-Wolff, der sonst eisern zu allen Vorgängen in seinem Medienhaus Lensing schweigt, in öffentlichen Rechtfertigungsdruck geraten. In einem Interview mit sich selbst, dass in der Münsterschen Zeitung und in der Münsterschen Sonntagszeitung veröffentlicht wurde, erklärte er die radikale Umstrukturierung der Zeitungsredaktion damit, dass der bisherige Lokalteil der MZ keine Zukunft gehabt hätte, dies hätten Leserbefragungen ergeben. Mit der alten Redaktion habe er die Zukunft der Zeitung nicht sichern können.

Oberbürgermeister von Münster informiert sich persönlich

Durch Münster weht seitdem ein Sturm der Entrüstung. Leser kündigen ihre Abos, Anzeigenkunden stornieren Aufträge. SPD und DGB kritisierten in Presse­erklärungen diesen „absoluten Tiefpunkt unternehmerischen Handelns“ und solidarisierten sich wie viele andere Organisationen mit den Betroffenen. Der DGB-­Vorsitzende im Münsterland, Bernhard Tenhofen, hofft, dass der Verleger „von seinem Verband zurückgepfiffen wird“. Lensing-Wolff, der in Dortmund auch die Ruhr-Nachrichten herausgibt, ist immerhin zweiter Vorsitzender des Nordrhein-Westfälischen Verlegerverbandes. Langjährige freie Mitarbeiter wie der Kolumnenschreiber Hannes Demming alias Holsken Hannes kündigten freiwillig ihre Mitarbeit auf. Und da es über Tage in Müns­ter kaum ein anderes Gesprächsthema gab, ließ sich Oberbürgermeister Dr. Berthold Tillmann persönlich in einem Gespräch von betroffenen Kollegen und den Journalistengewerkschaften informieren und nahm die Fakten „mit deutlicher Sorge“ zur Kenntnis.
Zwar werden eine Sekretärin und ein Redakteur inzwischen wieder beschäftigt, der Rest der Redaktion bleibt der Weg zurück ins Verlagshaus, das von einem Wachmann gesichert wird, verwehrt. In verschiedenen Protestaktionen in Müns­ters City haben sie inzwischen mit Unterstützung der dju die Rückkehr an ihren Arbeitsplatz gefordert. Bislang vergeblich.
Ihnen wurde nur die befristete Weiterbeschäftigung in einer Beschäftigungsgesellschaft in Aussicht gestellt. Dieses aber nur, wenn sie auf eine Kündigungsschutzklage verzichten. Der Erfolg arbeitsgerichtlicher Verfahren, so Münsters ver.di-­Mediensekretär Michael Schulenberg, werde maßgeblich davon abhängen, ob das Gericht zu der Auffassung kommt, dass es sich um einen Betriebsübergang handelt. Dann müssten die Redakteure mit allen Rechten und Pflichten von der neuen GmbH übernommen werden.
Dies würde Lensing-Wolff, der sein Medienhaus in ein undurchsichtiges Geflecht von Kleinfirmen zersplittert hat, das kaum noch Betriebsräte kennt, natürlich nicht gefallen. Er lässt sich in einem Schreiben seiner Chefredaktion sogar zum Opfer einer „Schmutzkampagne“ stilisieren, die die Gewerkschaften und die örtliche Mitbewerber, die wertkonservativen „Westfälischen Nachrichten“, seit Jahrzehnten Marktführer in der Stadt, gemeinsam gegen ihn inszeniert hätten. Dass er gerade einer kompletten Redaktion „eiskalt die Existenzgrundlage entzogen hat“, wie es in einem Flugblatt der Exilredaktion heißt, scheint er tunlichst zu verdrängen.

 

Weitere aktuelle Beiträge

Vernetzte Frauen im Journalismus

Sich als Frau in einer Branche behaupten müssen, in der Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein entscheidende Faktoren sind: Für Generationen von Journalistinnen eine zusätzliche Belastung im ohnehin schon von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten Beruf. Angesichts dieser Herausforderung sind Netzwerke und solidarische Bündnisse von großer Bedeutung. Der Journalistinnenbund (JB) hatte hierbei seit seiner Gründung im Jahr 1987 eine Vorreiterrolle inne. Sein Anliegen: Geschlechtergleichstellung in den Medien erreichen.
mehr »

In den eigenen Räumen etwas bewegen

Stine Eckert forscht zu Geschlechterkonstruktionen in den Medien am Institut für Kommunikationswissenschaft an der Wayne State University in Detroit. Ihr Buch „We can do better“ versammelt  „feministische Manifeste für Medien und Kommunikation“. Mit Ulrike Wagener sprach sie für M über die Verbindung zwischen Universitäten und Aktivismus und die Frage, wo Medien und Medienschaffende etwas verändern können.
mehr »

Gutes Ergebnis für die VG Wort

Im Jahr 2024 hat die VG Wort 165,64 Millionen Euro aus Urheberrechten eingenommen. Im Vorjahr waren es 166,88 Millionen Euro. Aus dem Geschäftsbericht der VG Wort geht hervor, dass weiterhin die Geräte-, und Speichermedienvergütung der wichtigste Einnahmebereich ist. Die Vergütung für Vervielfältigung von Textwerken (Kopiergerätevergütung) ist aber von 72,62 Millionen Euro im Jahr 2023 auf nun 65,38 Millionen Euro gesunken. Die Kopier-Betreibervergütung sank von 4,35 auf 3,78 Millionen Euro.
mehr »

Smart-Genossenschaft für Selbstständige

Smart klingt nicht nur schlau, sondern ist es auch. Die solidarökonomische Genossenschaft mit Sitz in Berlin hat seit ihrer Gründung im Jahr 2015 vielen selbstständig Tätigen eine bessere und stärkere soziale Absicherung verschafft – genau der Bereich, der bei aller Flexibilität und Selbstbestimmtheit, die das selbstständige Arbeiten mit sich bringt, viel zu oft hinten runterfällt.
mehr »