Ausbau der digitalisierten Kabelnetze langsamer als ursprünglich vorgesehen
Schön, bunt und interaktiv sollte sie werden – die digitale Medienwelt in Deutschland. Nach Kirch-Krise und mangelnder Digitalisierung der hauptsächlichen Verbreitungsstruktur „Kabelnetz“ sieht die mediale Zukunft am Standort Deutschland düster aus. Oder doch nicht?
Das Medienforum NRW in Köln war in diesem Jahr einmal mehr ein Publikumsmagnet für alle Vertreter der Medienberufe, die den Kongress besuchen, mitdiskutieren oder einfach nur journalistisch begleiten wollten. Eine ganze Branche scheint im Aufbruch – nicht erst seit klar ist, dass die Kirch-Gruppe vor dem Zusammenbruch steht, was mit dem Abbau von Arbeitsplätzen einhergeht. Die Fragezeichen stehen auch denjenigen auf der Stirn, die über den Verkauf der deutschen Kabelnetze zu befinden haben.
Wollte die deutsche Telekom noch im letzten Jahr alle Kabelregionen ihrer bis dato defizitär betriebenen Netze an zahlungswillige Investoren – zumeist aus den USA – verkauft haben, sehen Experten heute den Scherbenhaufen einer zerrütteten Kabellandschaft als Grund dafür, dass eine Digitalisierung des Massenmediums Fernsehen nur zögerlich stattfindet. Bereits vor einigen Wochen hatten die Netzinvestoren ish in Nordrhein-Westfalen und iesy in Hessen angekündigt, entgegen allen anders lautenden Plänen nun doch das Kabelnetz nicht weiter auszubauen und Digital-TV in Deutschlands Kabelhaushalten erst einmal auf Eis zu legen. Der hessische Netzbetreiber iesy teilte dazu Mitte Juni mit, dass er sich ab sofort auf „seine Kernkompetenz des analogen Fernsehens sowie im begrenzten Maße auf die Einführung von High-Speed-Internet konzentrieren“ möchte.
Zukunft analoges Fernsehen?
Für viele der deutschen Mitarbeiter von iesy hatte in diesen Tagen nicht einmal das analoge Zeitalter mehr eine Zukunft. Iesy musste aufgrund der getroffenen Entscheidung gegen einen zügigen Netzausbau alle 100 Mitarbeiter der in Mainz-Kastel ansässigen iesy Services GmbH sowie weitere 70 Personen bei der iesy Hessen GmbH entlassen. Nach Angaben des neuen Pressesprechers Clive Hammond, welcher der iesy-Muttergesellschaft NTL in London angehört, erfolgte diese Entscheidung aufgrund eines Unternehmensreviews, den das im letzten Monat eingesetzte neue Management-Team durchgeführt hat.
Das neue Team unter der Führung von NTL ersetzt die bislang vorrangig deutschstämmige Geschäftsführung, die nicht wirklich eine Chance bekam, die von der Deutschen Telekom über Jahre nicht aufgerüsteten Netze auszubauen und damit für Digitalfernsehen sowie interaktive Dienste tauglich zu machen. Zu kurz war die Zeit vom Antritt der Investoren im deutschen Kabelmarkt 2001 bis heute. In nicht einmal einem Jahr musste man in Hessen von Hundert auf Null zurückschalten. „Der Einbruch in der Telekommunikationsindustrie weltweit sowie die mit unseren Banken neu verhandelten Konditionen haben diesen Schritt erforderlich gemacht“, so sinngemäß der nicht deutsch sprechende Pressesprecher des hessischen Kabelbetreibers. Es handele sich nicht um einen „Stopp“ des Netzausbaus, so Clive Hammond, der auch Leiter der iesy-Unternehmenskommunikation ist: „Was nicht gestartet ist, kann auch nicht gestoppt werden“.
Branchenkenner haben die Ankündigungen von iesy, ish und Liberty aus dem letzten Jahr noch im Ohr, wo man bekräftigte, das Kabelnetz endlich auszubauen. Während Liberty der Kauf der Kabelnetze aus kartellrechtlichen Erwägungen in Bonn untersagt wurde, weil Liberty-Chef John Malone laut über die zukünftige Verbreitung von Fernsehfilmen hauseigener Produktion und Rechtevermarktung über das neu geschaffene Netz nachdachte, begann man bei ish in Köln mit dem teuren Netzausbau, der digitale Dienste ermöglichen sollte. Bislang 1,1 Millionen Haushalte auf der so genannten Netzebene 3 wurden an das digitalisierte Kabelnetz angeschlossen. Bis Ende 2002 sollen es 1,3 Millionen Haushalte sein. Nach Unternehmensangaben plant man derzeit im deutschen Hauptquartier in Köln, wie und wann der weitere Ausbau des Kabelnetzes von Nordrhein-Westfalen stattfinden soll.
Fest steht, dass das ursprüngliche Ziel, bis Ende 2004 bei 5 Millionen von 6,2 Millionen anschließbaren Haushalten das Kabelnetz zu modernisieren und für Digitalfernsehen sowie neue Dienste tauglich zu machen, nicht mehr gehalten werden kann. Finanzielle Sorgen trüben auch bei ish die Stimmung, pfeifen in Köln inzwischen die Spatzen von den Dächern.
Zudem stoßen die Modernisierungsbemühungen des nordrhein-westfälischen Netzbetreibers nicht überall auf Gegenliebe. Unterschiedliche Interessengruppen erschweren ein einheitliches Marketingkonzept. Zum einen trifft ish auf Zuschauer, die an neuesten technischen Möglichkeiten interessiert sind und somit wissen, welche Neuerungen die Digitalisierung mit sich bringen kann; zum anderen auf solche, denen technische Spielereien egal sind und die einfach nur weiterhin Fernsehen schauen wollen.
Digitale Möglichkeiten
Was aber leistet das digitalisierte Kabelnetz, was das bisherige Kabelnetz nicht konnte? Ish-Pressesprecherin Eva Krüger fasst zusammen: „Die Digitalisierung des Kabels bietet neben analogem Fernsehen die Möglichkeit für Internet und Telefonie sowie digitales und auch interaktives TV. Gerade für Internet sehen wir durchaus Interesse bei technik-affinen Zielgruppen, weshalb ish diesen Dienst ja bereits anbietet. Für digitales Fernsehen im Sinne einer Vielzahl von neuen, zusätzlichen Bezahl-Programmen, sehen wir derzeit nur eine geringe Nachfrage. Premiere zeigt, dass es nicht einfach ist, sich damit am deutschen Markt durchzusetzen, denn das Angebot an frei empfangbaren Sendern in Deutschland ist einfach sehr stark. Interaktives TV bietet eine neue Art des Fernsehens, das den Zuschauer beteiligt, und auch hier ist noch nicht klar: Ist der deutsche TV-Zuschauer nun ein Couch Potato, der nur berieselt werden will oder hat diese neue Art des Fernsehens Erfolg? ish konzentriert sich im derzeit sehr schwierigen Marktumfeld darauf, solche Dienste anzubieten, von denen wir glauben, dass sie wirtschaftlich erfolgreich sind.
Abwarten heißt also die Devise in Köln, wohl auch in der Hoffnung, dass ein Haushalten mit knapp bemessenem Geldbeutel wenigstens den derzeitigen Geschäftsbetrieb aufrechterhält. Unterdessen fordert die Kabel-Interessengemeinschaft ANGA, die Ausbaubemühungen medienpolitisch zu forcieren und notfalls auf Telekom, ish und iesy bei weiteren Planungen zu verzichten. ANGA-Hauptgeschäftsführer Peter Charissé warnte die Politik im Vorfeld des Medienforums NRW, weiterhin beim Thema Kabelausbau zu zögern: „Die Politik darf jetzt nicht den Fehler machen, auf einen neuen Heilsbringer zu warten.“ Es sei in volkswirtschaftlicher Hinsicht völlig unverantwortlich, das industriepolitische Potenzial, das im deutschen Kabelmarkt – dem zweitgrößten nach den USA – schlummert, länger ungenutzt zu lassen. Schließlich werde mit dem Ausbau der BK-Netze eine einzigartige Wertschöpfungskette angestoßen, die vom elektrotechnischen Handwerk über die Tiefbaubranche und die Telekommunikationsausrüster bis hin zur Endgeräteindustrie und der gesamten Medienbranche reiche, so der Geschäftsführer der Kabel-Interessengemeinschaft.“
„Einfach nur Fernsehen“
Auch den Privatsendern geht es nicht schnell genug, da immer mehr Sender und Angebote hinzukommen, die sich nicht mehr sinnvoll im überfüllten analogen Kabelnetz verteilen lassen. Zeitpartagierung mehrerer Sender auf einem Kabelplatz ist bereits heute eine Folge dieser Entwicklung. Für den Notfall wollen die deutschen TV-Sender sogar selbst als Investoren in das Kabelgeschäft mit einsteigen, wie Jürgen Doetz, Präsident des Privatsenderverbandes VPRT, auf dem Medienforum NRW erneut bekräftigte. Von der Digitalisierung der Netze versprechen sich die Sender weitere Erlösquellen, da interaktiver Zugriff über die Fernbedienung auch die Möglichkeit bietet, e-Commerce-Dienste über das TV-Gerät anzubieten.
Die Frage bleibt aber, ob die Zuschauer die Digitalisierung der Netze und die neuen Dienste überhaupt wollen. Heinz-Peter Labonte, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Kabelverbandes FRK, sieht es nüchtern: „Wir machen derzeit eine Studie, was die Kabelkunden wirklich wollen. Demnach wollen 90 Prozent einfach nur Fernsehen schauen.“ Der Kunde sei König. Daher müsse man die Frage stellen dürfen, was der Zuschauer wirklich will. Leider seien die amerikanischen Netzinvestoren in dieser Angelegenheit „beratungsresistent“, so Labonte auf dem Medienforum in Köln.
Die Bemühungen der Deutschen Telekom, weitere Käufer für die im Besitz der Telekom befindlichen Kabelregionen zu finden, gehen unterdessen unvermindert weiter. Wie Gerd Tenzer, Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom, auf einer Veranstaltung des Medienkongresses in Köln klar stellte, gibt es allen Unkenrufen zum Trotze bereits einige Kaufinteressenten. „Ich bin vorsichtig optimistisch, dass der Verkauf des Kabelnetzes bis Ende des Jahres abgeschlossen ist.“ Dass dies nicht unbedingt heißen muss, dass ein Verkauf der verbliebenen Kabelregionen mit einer Aufrüstung und Digitalisierung der Netze einhergehen muss, ist inzwischen allen Beteiligten klar geworden. Experten gehen sogar davon aus, dass die Digitalisierung im Kabelnetz noch Jahre dauern wird.
Bis in den letzten Winkel der Republik soll die Digitalisierung ohnehin nicht voranschreiten. Hier wird der Satellitendirektempfang immer die zwingende Alternative sein. Wer heute schon digitales Fernsehen sehen möchte und nicht warten will, kann die digitalen Möglichkeiten ohnehin schon via Satellit erleben. Die Konkurrenz schläft eben nicht.