Karola Wille ist seit 2011 Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks und seit dem 1. Januar 2016 auch Vorsitzende der ARD. Der Beginn ihrer Amtszeit fällt zusammen mit einer heftigen Debatte über die Glaubwürdigkeit der Medien und mit einer neuen Gebührenrunde. Laut Entwurf des 20. KEF-Berichts soll der Rundfunkbeitrag erneut gesenkt werden. Dabei bringt die Digitalisierung neue Aufgaben mit sich, etwa das geplante Online-Jugendangebot und die Umstellung von UKW auf DAB Plus. Wie die ARD den Konflikt zwischen Sparzwängen und Erfüllung ihres Programmauftrags lösen will, erläutert Wille im Gespräch mit M.
M | Der MDR lässt seine Teams seit einiger Zeit nur noch in Begleitung von Sicherheitskräften über Veranstaltungen von PEGIDA und AfD berichten. Wird die Pressefreiheit hierzulande von rechtsorientierten Kräften gefährdet?
Karola Wille | Wir werden uns nicht einschüchtern lassen, sondern weiter berichten über das, was geschieht. Es gibt leider Erscheinungsformen von Gewalt gegen Journalisten, die neu sind. Beim Mitteldeutschen Rundfunk sind Kolleginnen und Kollegen bei Demonstrationen nicht nur verbal, sondern auch körperlich angegriffen worden. Um für die Sicherheit unserer Mitarbeiter zu sorgen, engagieren wir, wenn die Lage es erfordert, Sicherheitsfirmen, die unsere Kolleginnen und Kollegen begleiten.
Über die eher undifferenzierten Angriffe von rechts hinaus – Stichwort „Lügenpresse“ – befinden sich die Medien, auch die öffentlich-rechtlichen, seit etwa zwei Jahren in einer Glaubwürdigkeitskrise. Politiker und Journalisten liegen am unteren Ende der Ansehens-Skala der Berufe. Warum ist das so, und wie können ARD und ZDF ihre Glaubwürdigkeit verteidigen?
Mit dem Begriff Glaubwürdigkeitskrise sollte man vorsichtig umgehen. 68 Prozent der Menschen sagen laut dem ARD-Trend 2015, dass das Erste Deutsche Fernsehen mit seinen Angeboten glaubwürdig ist. Gleichwohl nehmen wir das Thema ernst. Wir hören ja die „Lügenpresse“-Rufe auf der Straße. Dem müssen wir begegnen, indem wir weiter verlässlich Qualität bieten und gleichzeitig ein Stück transparenter im journalistischen Handeln werden. Wir stehen für eine saubere und korrekte Recherche und müssen in unseren Angeboten die Differenziertheit der Welt abbilden, in der die Menschen sich bewegen.
Im Kontext der aktuellen Flüchtlingskrise wird dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch schon mal zu positive Berichterstattung vorgeworfen. Zuletzt hieß es nach den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht, mit dem mangelnden Hinweis auf die ethnische Zugehörigkeit von Straftätern, dem Verschweigen von Integrationsproblemen werde das Publikum entmündigt. Wie beurteilen Sie dies?
Wir brauchen differenzierende Perspektive. Das heißt, die Dinge beim Namen zu nennen und zu erklären, was ist – Positives wie Negatives. Das ist unsere Aufgabe, die immer wieder neu zu leisten ist.
Laut jüngsten Meldungen will die KEF den monatlichen Rundfunkbeitrag ab 2017 erneut senken, diesmal um 29 Cent auf dann 17,21 Euro. Und das nach einer ersten Absenkung um 48 Cent im letzten Jahr. Wie werden Sie in der Anhörung vor der KEF am 24. Februar argumentieren?
Wir überprüfen gerade den Entwurf der KEF und werden in den nächsten Tagen dazu Stellung nehmen. Wenn wie beim WDR aber künftig Werbeeinnahmen wegfallen, weil der Gesetzgeber entsprechende Regelungen trifft, muss das kompensiert werden, damit eine bedarfsgerechte Finanzierung gewährleistet bleibt.
Sie meinen die Entscheidung des NRW-Landtags, der soeben mit seiner rot-grünen Mehrheit beschlossen hat, dass die Radiowerbung des WDR schrittweise von jetzt 90 Minuten täglich zuerst auf 75 und dann auf 60 Minuten täglich sinken soll. Das betrifft tendenziell die gesamte ARD. Kann sie das verschmerzen, ohne Abstriche an ihrer Programmleistung zu machen?
Richtig, es ist nicht nur der WDR betroffen. Die ARD-Werbegesellschaften vermarkten ihre Hörfunkwerbung bundesweit gemeinsam. Insofern fehlt als Folge der neuen gesetzgeberischen Entscheidung allen etwas in der Kasse. Mit diesen Erträgen wurde aber gerechnet, als wir unseren Bedarf angemeldet haben.
Sehen Sie entsprechende Signale aus der Politik?
Ich glaube, viele in der Politik waren über den Schritt in NRW selbst überrascht. Schließlich wurde erst im letzten Sommer beschlossen, dass erst nach Vorlage des KEF-Berichts über das Thema Werbung entschieden werden soll.
Die Anstalten haben in den letzten Jahren bereits Personal abgebaut, sogar ganze Wellen eingestellt. Wo sehen Sie noch Sparmöglichkeiten?
Am Programm werden wir immer zuletzt sparen. Seit 2009 ist der Rundfunkbeitrag nicht mehr angehoben worden. Der von uns angemeldete Finanzbedarf lag unterhalb der allgemeinen Teuerungsrate. Das haben wir mitgetragen, um die Umstellung von der alten Rundfunkgebühr auf das neue Beitragsmodell zu unterstützen. Durch weitere Kooperationen, etwa im IT-Bereich, lässt sich noch einiges erreichen. Wir müssen immer wieder nach weiteren Möglichkeiten suchen, um Synergien zu erzielen.
Die ARD hat ja den jahrelang schwelenden Konflikt mit den TV-Produzenten unlängst mit einem Eckpunktepapier entschärft, in dem sie sich unter anderem zu ausgewogenen Vertragsbedingungen und einer fairen Aufteilung der Verwertungsrechte verpflichtet. Welches Signal wollen Sie damit setzen?
Für uns ist eine kreative, leistungsstarke Produzentenlandschaft entscheidend. Mit der jetzt formulierten Selbstverpflichtung wollen wir dafür die Rahmenbedingungen stärken.
Die Mehrkosten für geplante Investitionen belaufen sich angeblich auf 50 Millionen jährlich. Macht die KEF das mit?
Wir haben die Mittel für die Umsetzung des Eckpunktepapiers und angemessene Vergütungen im Urheberbereich bei der KEF angemeldet. Wir hoffen, dass im Interesse einer vielfältigen Produzentenlandschaft unser Vorschlag bewilligt wird.
Der lineare Rundfunk gilt als Auslaufmodell. Vor allem die Jugend wird kaum noch von den öffentlich-rechtlichen Anstalten erreicht. Was macht Sie zuversichtlich, dass sich daran etwas durch den gemeinsam mit dem ZDF geplanten Online-Jugendangebot ändert?
Das junge Angebot aus dem Netz, für das Netz, bewegt sich auf Augenhöhe mit den jungen Leuten und ist damit eine große Chance für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das lineare Fernsehen ist tatsächlich kein Leitmedium mehr für diese Zielgruppe. Jetzt liegt es an uns, zu beweisen, dass wir die junge Zielgruppe ansprechen und für sie wieder relevanter werden können. Da mache ich mir aber wenig Sorgen. Die ARD hat sehr viel junges, kreatives Potenzial.
Umstritten ist auch die Sportrechtepolitik von ARD und ZDF. Sollen die Anstalten sich weiterhin am Wettbieten um sündhaft teure Sportrechte beteiligen? Demnächst steht etwa wieder die Vergabe der Fußball-Bundesliga-Übertragungsrechte an. Dem Vernehmen nach sollen die Preise kräftig steigen…
Sport gehört klar zu unserem Programm – in seiner ganzen Vielfalt. Wir berichten allein im Ersten über mehr als 50 Sportarten. Natürlich geht es auch um massenattraktive Sportarten wie Fußball. Aber unser Etat ist nicht unbegrenzt. Es könnte der Fall eintreten, dass TV-Rechte nicht mehr vertretbar zu finanzieren sind.
Viele Nutzer sind unzufrieden mit den aktuellen Regelungen bei den öffentlich-rechtlichen Mediatheken. Sehen Sie eine Chance, restriktive Dinge wie die Löschpflicht in naher Zukunft abzuschaffen?
Beim geplanten jungen Angebot hat ja der Gesetzgeber bereits vieles erleichtert, weil es hier keine begrenzte Verweildauer mehr gibt. An anderer Stelle gibt es noch Restriktionen. Wir sind aber im Begriff, die Verweildauer für bestimmte Segmente zu erweitern. Das ist wegen der angemessenen Vergütung einerseits eine finanzielle Frage. Andererseits müssen wir die Rechte auch erst einmal eingeräumt bekommen. Der „Tatort“ ist jetzt 30 statt bislang sieben Tage lang im Netz verfügbar. Und im Doku-Bereich stellen wir etwa die Filme der Reihe „Die Story im Ersten“ und „Geschichte im Ersten“ bereits um 18 Uhr vor der TV-Ausstrahlung ins Netz. Wir reagieren also auf die stärkere Nutzung der Mediatheken durch unsere Zuschauer.
Stichwort Kooperationen. Trotz der Klage des BZDZ gegen Tagesschau-App gibt es ja Zusammenarbeit mit einzelnen Verlagen, etwa den Rechercheverbund von NDR und WDR mit der Süddeutschen Zeitung. Sollten solche Kooperationen ausgebaut werden? Auch gegen diese Art von public-private-partnerships gibt es ja Vorbehalte…
Ich halte solche Kooperationen für publizistisch sehr interessant. Der angesprochene Verbund hat ja auch schon zu einer Reihe wichtiger gesellschaftspolitischer Fragen Ergebnisse vorgelegt. Ob so etwas Modellcharakter hat, wird man sehen. Das neue WDR-Gesetz hält zum Beispiel Kooperationen unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig.
Sie sind Vorsitzende der Lenkungsgruppe DAB+ in der ARD – wie optimistisch sind Sie, dass die never-ending-story des Digitalradios zu einem guten Ende kommt. Glauben Sie an eine Abschaltung von UKW in einem absehbaren Zeitraum?
Wir sind 2011 mit der Einführung von DAB+ noch einmal neu gestartet. Im Herbst 2015 standen schon in 11 Prozent der Haushalte DAB+-Geräte. Das Wachstum ist da, UKW ist einfach ausgereizt. Wir setzen auf DAB+, da gibt es eine klare, einheitliche Position in der ARD. Im Moment versuchen wir mit den anderen Marktteilnehmern den Weg und die erforderlichen Schritte dahin zu definieren. Da geht es beispielsweise um Fragen wie das Messen der Nutzung von DAB+, die Rolle der lokalen Anbieter, um flächendeckendes Marketing. Dazu braucht man einen langen Atem. Aber wir sind auf dem Weg in die digitale Radiowelt bei DAB+ und auch im Internet.
Angeblich gibt es Bestrebungen in Thüringen, den MDR zu verlassen und zum HR zu gehen. Bleibt der MDR eine Drei-Länder-Anstalt?
Davon gehe ich aus. Die Drei-Länder-Anstalt war eine kluge und weitsichtige Entscheidung. Ich kann nicht erkennen, dass es wirklich ernsthafte Separationsbestrebungen gibt.
Wie gehen Sie damit um, dass die für den MDR zuständigen Parlamente sich nicht in der Lage sahen, den MDR-Staatsvertrag an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts – Stichwort: ausreichende Staatsferne – anzupassen? Sie agieren faktisch auf einer verfassungswidrigen Grundlage…
Die Politik hat angekündigt, diese Veränderungen noch vorzunehmen. Natürlich wäre es besser gewesen, wenn dies schneller stattgefunden hätte.
Was muss passieren, damit Sie in zwei Jahren eine positive Bilanz Ihrer Amtszeit ziehen können?
Ich habe bei Amtsantritt Leitgedanken formuliert: Dazu gehört, unsere journalistische Glaubwürdigkeit immer wieder zu untermauern und zu festigen, den Dialog mit der Gesellschaft zu stärken und durch Kooperationen, Vernetzungen und crossmediales Arbeiten die ARD noch weiter zu einem föderal integrierten Medienverbund auszubauen. Dazu gehört die Förderung von Innovation und Kreativität, die sich auch in den Eckpunkten mit den Produzenten wiederfindet. Wenn wir in den nächsten beiden Jahren davon einiges umsetzen, würde ich mich freuen.