Gute Geschäfte sehen anders aus

Konzernumbau bei Springer unter keinem günstigen Stern

Als Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner Anfang November die Konzernzahlen der ­ersten neun Monate des Jahres 2007 präsentierte, strahlte er noch unbeirrt Optimismus aus. Die Zwischenbilanz schien ihm Recht zu geben. Konzernumsatzsteigerung um gute 8,9 Prozent auf 1,89 Milliarden Euro, Gewinnzunahme um 3,6 Prozent auf knapp 180 Millionen Euro – diese Zahlen konnten sich sehen lassen. Auch die Baustelle PIN AG bewertete Döpfner gelassen. Der von der SPD angepeilte Mindestlohn von 9,80 Euro pro Stunde, sei sicherlich „sehr unerfreulich“, be­deute aber „kein Abschreibungsrisiko“. We­nige Wochen später dann das böse Erwachen.

Nach der Bundestagsentscheidung zur Einführung des Mindestlohns drehten Springers PIN-Mitgesellschafter Holtzbrinck, WAZ und Madsack den Geldhahn zu. Auch ohne Mindestlöhne, so viel war damals schon klar, würde die PIN AG 2007 Verluste von über 50 Millionen Euro machen. Als selbst die Offerte, die eigenen Geschäftsanteile für einen symbolischen Euro abzugeben, auf keinerlei Resonanz stieß, zog Springer die Notbremse. Eine Woche vor Weihnachten teilte der Verlag mit, durch den Ausstieg ergebe sich „voraussichtlich ein Abschreibungsbedarf von bis zu 620 Millionen Euro“. Den Schwarzen Peter für dieses Desaster versuchte Döpfner der Politik zuzuschieben. Ein durchsichtiges Manöver, um von eigenen Fehlern abzulenken. Und von einem nun endgültig gescheiterten „skandalösen Geschäftsmodell“, kommentierte die Süddeutsche Zeitung. Dumpinglöhne für die PIN-AG-Mitarbeiter, „und wer davon nicht leben kann, beantragt beim Staat eben zusätzlich Arbeitslosengeld II“. Im Vertrauen auf Zusagen der Merkel-Regierung, der Mindestlohn werde keinesfalls kommen, hatte sich der Springer-Chef schlicht verzockt.

Gesetzliche Grenzen

Für Springer ein herber Rückschlag bei dem Bemühen, neben dem Kerngeschäft Medien ein neues Geschäftsfeld zu erschließen. Denn die Wachstumsmöglichkeiten im Geschäft mit den klassischen Medien stoßen an Markt- und gesetzliche Grenzen. Diese Erfahrung machte Springer zunächst auf dem Printsektor. Der Versuch, die bewährte pressespezifische Fusionskontrolle auszuhebeln, stieß bereits vor zwei Jahren auf den geballten Widerstand von Bundeskartellamt und mittelständischen Regionalzeitungsverlegern. Und die gegenwärtige schwarz-rote Koalition scheint wenig Lust zu haben, angesichts der hohen Pressekonzentration hierzulande diese Debatte neu zu beleben. An den Kartellwächtern scheiterten auch die ehrgeizigen Pläne Springers, den lang gehegten Traum von einem umfassenden Multimedia-Verbund zu realisieren. Bereits zur Jahreswende 2006 / 07 hatte die Bonner Behörde, flankiert von den Medienwächtern der Kommission zur Er­mittlung des Finanzbedarf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (KEF), die vollständige Übernahme der TV-Senderfamilie ProSiebenSat.1 Media AG (P7S1) untersagt. Bekanntlich hatte der US-amerikanische Medienunternehmer Haim Saban die Senderkette später an die Investorengruppe KKR/Permira veräußert. Etwa zeitgleich mit dem Bekanntwerden des PIN-AG-De­sasters kündigte Springer den Verkauf seines verbliebenen 12prozentigen Anteils an ProSiebenSat.1 an. Die Koinzidenz der Ereignisse sei „rein zufällig“, beteuerte eine Pressesprecherin. Gleichwohl fiel auf, dass der für den Verkauf des P7S1-Pakets erzielte Erlös nahezu identisch war mit der Summe, die Springer einst für die Übernahme der PIN-AG-Mehrheit bezahlt hatte. Für viele Medienbeobachter ein Deal, der alle Merkmale eines „Notverkaufs“ trug. Denn er erfolgte zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Stand im Sommer 2007 der Kurs der P7S1-Aktie noch bei 30 Euro, so lag er Ende des Jahres nur noch bei etwa 18 Euro. Gute Geschäfte sehen anders aus. Laut Branchenspekulationen brauchte Springer dringend Cash, um eine andere Investition zu finanzieren: die vollständige Übernahme der Anteile am Gemeinschaftsunternehmen Bild-T.Online AG.
Der Ausstieg bei P7S1 markiert zwar nicht den kompletten Abschied aus dem TV-Geschäft. Es bleiben Anteile an den Ballungsraumsendern TV Berlin und Hamburg (jeweils 27 Prozent), außerdem ein 25-Prozent-Paket am türkischen Dogan TV, das erst im vergangenen Jahr erworben wurde. Aber im nationalen Free-TV spielt Springer vorerst keine Rolle mehr. Beim Versuch, dieses Manko durch beherzte Investitionen wieder wett zu machen, fiel der Konzern abermals auf die Nase. Zur Jahreswende scheiterte auch der bereits stolz verkündete Einstieg auf dem polnischen TV-Markt. Ein bereits unterzeich­neter Kaufvertrag über einen 25,1prozen­tigen Anteil beim polnischen Privatsender Telewizja Polsat verwandelte sich nach Intervention der polnischen Kartellbehörde in Makulatur. Den Medienwächtern wurde die Gefahr einer kombinierten Marktmacht aus Print (Fakt, Dziennik) und Fernsehen am Ende wohl unheimlich.
Sowohl für externes Wachstum durch Zukäufe als auch für internes Wachstum durch den Ausbau bestehender Marktpositionen standen die Zeichen bei Springer zuletzt nicht günstig. Und das ausgerechnet in einer Situation, in der die Geschäftsführung sich zu einem Umbau des Konzerns anschickt, wie ihn das Haus in seiner mehr als 60jährigen Geschichte noch nicht erlebt hat. Während in anderen großen Medienhäusern wie Bauer oder Gruner + Jahr relevante Geschäfts- und Produktionsbereiche längst outgesourct sind, vollzieht sich dieser Prozess bei Springer erst jetzt. „Große, zentrale Unternehmensorganisationen neigen zur Trägheit, zu ineffizienten Selbstkosten, sie erschweren schnelle Entscheidungsprozesse“, erläutert Martin Dieckmann, medienpolitischer Referent von ver.di, die dahinter steckende Philosophie. Aus Sicht einer mo­dernen Konzernstrategie ergebe sich Beweglichkeit „nur dann, wenn jede Unternehmenseinheit nach Art einer mittelstän­dischen Geschäftsführung ge­leitet wird“.
Beleg dafür ist die unlängst bekannt gegebene Verselbständigung der Bild-­Familie. Zum 1. Januar 2008 wurden Bild, Bild am Sonntag und Sport-Bild sowie ­diverse bisher dem Zeitschriftenbereich zugeordnete Titel wie Auto Bild, Bild der Frau und Computer Bild nebst Online-Ableger ausgegliedert und gebündelt. Gleichzeitig übernahm Springer die bisher von der Deutschen Telekom gehaltenen 37 % Anteile an der Bild.T-Online AG. „Mit der neuen Struktur“, so frohlockte Springer-Vorstandschef Döpfner, „können wir unsere multimedial ausgerichtete Markenstrategie noch konsequenter umsetzen“.

Betriebsbedingte Kündigungen

Betriebsräte und Gewerkschafter müssen sich warm anziehen. Denn mit der neuen Konzernstrategie steht offenbar auch ein massiver Einschnitt in das bisher meist als vorbildlich gepriesene alte Axel-Springer-Sozialmodell an. (siehe auch „Ende der Kuschelpolitik“ M 01 – 02 / 07) Als im Zusammenhang mit der Ausgliederung und Verlagerung des Finanz- und Rechnungswesens nach Berlin 34 betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen wurden, saß der Schock tief. Ein „Dammbruch“, schlug die Hamburger ver.di-Betriebsgruppe Axel Springer Alarm. Zuletzt hatte es solche Kündigungen 1978 beim Umzug von Berlin nach Bonn gegeben. Gleiches und Schlimmeres könnte sich jetzt beim Ostern anstehenden Umzug von Bild und Bild am Sonntag in die Hauptstadt abspielen. Betroffen sind an die 500 Beschäftigte. In der Verlagsprosa von Springer-Chef Döpfner klingt das so: „Hamburg ist unsere Heimat, Berlin unsere Zukunft“. Aber auch großzügige Extras wie Umzugspauschalen und die Erstattung von Pendler- und Maklerkosten reichen nicht aus, um alle zum erzwungenen Jobwechsel zu motivieren. „Vor allem Kollegen, die nicht redaktionsnah sind, sträuben sich gegen den Umzug“, resümiert ein Hamburger Betriebsrat. Was die mit der Geschäftsleitung vereinbarte Bestandsgarantie für den Standort Hamburg mit den restlichen Springer-Publikationen wert ist, muss die Zukunft zeigen.
Die Versicherung der Geschäftsführung, auch nach dem großen Packen würden in Hamburg mehr Springer-Mitar­beiter tätig sein als in Berlin, dürfte für manchen Neuberliner kein Trost sein.

 

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