Im neuen Studio

Horrormeldungen über wirtschaftliche Lage von ProSiebenSat.1

Die Krise bei ProSiebenSat.1 (P7S1) spitzt sich zu. Nach dem Umzug von N24 wird jetzt über einen Umzug von Sat.1 nach München spekuliert. „N24 nimmt erfolgreich Sendebetrieb vom Potsdamer Platz auf“ – was in der Verlautbarung des Sendersprechers vom 22. Oktober als Jubelmeldung rüberkam, löste bei den Mitarbeitern des News-Kanals eher gemischte Gefühle aus.

Der als „neues Kapitel“ der Sendergeschichte gefeierte Umzug vom Gendarmenmarkt in das ehemalige Berliner Debis-Gebäude verlief nach dem Muster „Pleiten, Pech und Pannen“. Der „Ausbau zu Europas modernstem Nachrichtensender“ stotterte mächtig: Chaos in den Dienstplänen, massive Mehrarbeit, immer neue Korrekturen der Zeitabläufe – die rund 200 beteiligten Kollegen erlebten den Umzug als ein „großes Desaster“. Viele Stunden Arbeit für wenige Minuten Sendung – kein Wunder dass der Neuanfang sich um ganze vier Tage verzögerte. Gestemmt werden konnte das „Projekt N24“ nur dank des unermüdlichen Einsatzes der Belegschaft – eine Tortur exzessiver Überstunden bei gleichzeitiger Urlaubssperre.
In die Erleichterung über das Gelingen mischt sich ein wenig Bitterkeit. Die von der Geschäftsleitung angepriesene „Vernetzung modernster Systeme für Redaktions- und Produktionstechnik“ ist offenbar so Bahn brechend nicht. RTL arbeite seit 2004 mit ähnlicher Technik, resümiert ein Betriebsrat, letztlich hinke man dem Marktführer wieder einmal hinterher. Das Investitionsvolumen sei vergleichsweise gering, die Zeitvorgabe dagegen „höchst ambitioniert“ gewesen. Die mit der Verzahnung von TV- und Onlineredaktion einhergehende Arbeitsverdichtung spiegle sich auch im Programm wider. Es gebe kaum noch ausreichend Zeit für Recherche. Die Redakteure würden zu Multitasking verdonnert: Text- und Bildrecherche, Schnitt und Ton – alles aus einer Hand. „Der Qualitätsjournalismus bleibt auf der Strecke“, resigniert der Betriebsrat. Mittlerweile existiert ein Redaktionsausschuss. Über ein Statut wird verhandelt.
Immerhin: Der Umzug von N24 kostet vorerst keine Arbeitsplätze. Für andere Betriebsteile der P7S1-Gruppe gilt das nicht. Am Standort Berlin ist der Abbau von mehr als 60 Vollzeitstellen beschlossene Sache. Die meisten Betroffenen willigten „in beiderseitigem Einvernehmen“ in die Aufhebungsverträge ein. Immerhin: Betriebsbedingte Kündigungen konnten verhindert werden; angesichts der Horrormeldungen über die wirtschaftliche Lage des Gesamtunternehmens hatte die Geschäftsleitung offenbar kein Interesse an zusätzlicher Negativberichterstattung.
Im Bereich Grafik fallen allein in Berlin 12 bis 13 Jobs weg, standortübergreifend sind es 38. Längst wurde ein Großteil des IT-Bereichs zu IBM outgesourct. Bei der Produktionstochter PSP arbeiteten im Sommer 2007 noch 400 Festangestellte. Bis Ende 2008 dürfte die Zahl um mehr als ein Viertel geschrumpft sein. Dass derzeit mal wieder eine Delegation von Mc Kinsey durch die einzelnen Betriebsteile zieht, bedeutet ebenfalls nichts Gutes. Auch Dokumentation und Archiv werden durchforstet.
Einmal mehr zeigen sich die Effekte der gefürchteten „Heuschreckenstrategie“, die im Hause seit der vor zwei Jahren erfolgten Übernahme der Senderfamilie durch die beiden Finanzinvestoren KKR und Permira für permanente Unruhe sorgt. Nach wie vor lastet auf dem Unternehmen eine Netto-Schuldenlast von knapp 3.7 Milliarden Euro, verursacht vor allem durch den kreditfinanzierten Kauf der europäischen Senderkette SBS. Die Ende September verbreitete Gewinnwarnung war kaum geeignet, die wegen der angespannten Finanzlage im Unternehmen grassierenden Ängste zu vermindern. „Die Werbeumsätze der Gruppe brechen schneller weg, als man Kosten einsparen kann“, heißt es aus Betriebsratskreisen. Der zum Jahresende ausscheidende Vorstandschef Guillaume de Posch gilt hausintern längst als „lame duck“. Dennoch reagierten die Mitarbeiter empört, als er in seiner Rundmail zur verschlechterten Marktsituation von „jedem einzelnen“ Einsatz und Konzentration auf die „must haves“ forderte. Jetzt rätseln die Betroffenen, was denn mit dem „unbedingt Notwendigen“ gemeint sein könnte. 70 Millionen Euro wurden in den ersten drei Monaten des Jahres eingespart. Für das letzte Quartal hatte das Management Budgetkürzungen von weiteren 30 Millionen Euro angepeilt. Was im kommenden Jahr blüht, bleibt einstweilen Spekulationen überlassen.
Anfang November schrillten mal wieder die Alarmglocken im Berliner Sendergebäude von Sat.1. Der Spiegel hatte sich über einen möglichen Umzug des Problemkinds der Gruppe in die Senderzentrale nach München-Unterföhring ausgelassen. Auch sollen nochmals 100 Millionen im Jahr 2009 bei P7S1 eingespart werden. Erneut reagierte Vorstandschef de Posch mit einer wenig konkreten Mail an die Mitarbeiter. Die Sendergruppe, so ließ er mitteilen, prüfe derzeit das Budget für 2009, befinde sich in einem „extrem schwierigen Marktumfeld“ und denke „über alle Möglichkeiten nach, die Zukunft unseres Unternehmens zu sichern – und zwar in ganz Europa“. Die kurzfristigen Einsparmöglichkeiten einer solchen Transaktion dürften eher gering sein. Es sei denn, der Sender spekuliert darauf, dass ein Teil der Mitarbeiter nicht mit umzieht. Wenn der Berliner Standort wegfällt, würde das neben 200 Sat.1-Mitarbeiter auch alle anderen, die zur Holding P7S1 Media AG gehören, betreffen wie Buchhaltung, Administration oder auch SevenOneMedia und PSP. Damit wären dann 600 Arbeitsplätze im Visier.

 
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