Kampf um die Macht am Rhein

Gratiszeitungen mischen den Kölner Tageszeitungsmarkt auf – In dem Schlagabtausch riecht es nach Heuchelei

Seit Mitte Dezember wurden die Kölner/innen täglich mit farbenprächtigen Gratiszeitungen zugeschüttet: Blau präsentierte sich „20 Minuten Köln“ vom norwegischen Medienkonzern Schibsted, zum Mitnehmen aus rund 500 Klarsichtboxen an U-Bahnhöfen und Haltestellen, rot hielt das Boulevardblatt „Express“ mit einer kostenlosen Light-Ausgabe dagegen, weiß mischte der Springer-Konzern mit „Köln-Extra“ mit und fast hätte es aus 100 grünen Boxen auch noch den „Kölner Morgen“ des Tageszeitungs-Monopolisten DuMont Schauberg gegeben.

Derzeit ruht der Blätterwirbel: Der „Kölner Morgen“ wurde gestoppt, weil Springer Anfang Januar ein gerichtliches Verbot für „20 Minuten Köln“ wegen Wettbewerbsverzerrung erwirkte – gegen jenen Auslöser des ganzen Theaters, das als „Kölner Zeitungskrieg“ und „Schlacht am Rhein“ militaristische Schlagzeilen produzierte. Nun gibt es drei Wochen Pause bis zur nächsten Gerichtsentscheidung, denn Schibsted legte Widerspruch ein.

Tatsächlich erinnert die Chronologie der Ereignisse um das kostenlose Blatt der Norweger (Umsatz 1,6 Milliarden DM, u.a. Eigner der beiden größten Tageszeitungen Norwegens) an ein absurdes Wettrennen: Einen Tag früher als geplant startete Schibsted mit 150 000 Exemplaren, weil der Springer-Konzern als „Abwehrmaßnahme“ ein „Köln extra“ mit 100 000 Stück am 13. Dezember auf den Markt bzw. die morgendlichen Pendler warf. Springer ist in Köln mit „Bild“ vertreten, der einzigen lokalen Tageszeitung, die nicht im DuMont Schauberg-Verlag erscheint, der mit „Kölner Stadt-Anzeiger“, „Kölnische Rundschau“ und „Express“ (sowie u.a. 13 Anzeigenblättern, einem Lokalsender und einer Stadtillustrierten) den Pressemarkt beherrscht. Einen Tag nach „20 Minuten“ und „Köln extra“ wurden die Kölner/innen folgerichtig auch noch mit einer verdünnten „Express“-Ausgabe beschenkt (Auflage 150 000), verteilt von 450 angeblich freiwilligen Mitarbeiter/innen, um, so der Konzern, „die besondere Verbundenheit des Verlages M. DuMont Schauberg mit den Kölnern zu demonstrieren“ – und gleichzeitig auf das Erscheinen eines kostenlosen „Kölner Morgen“ aus dem Hause DuMont Schauberg ab Mitte Januar vorzubereiten.

Verwirrung bei Leser/innen, zugemüllte Bahnsteige, Gehässigkeiten und martialische Schlagzeilen der kämpfenden Konzerne waren die Folge dessen, was der „Spiegel“ „Kölner Straßenkampf“ nennt. Hintergrund des Ganzen: Erstmals tritt in Deutschland mit „20 Minuten Köln“ ein anzeigenfinanziertes Gratis-Blatt direkt frühmorgens gegen abo- und verkaufsfinanzierte Tageszeitungen an, anders als die „15-Uhr-aktuell“ des Berliner Verlegers Robert Sidor, die mit rund 170 000 Exemplaren nachmittags erscheint und deshalb den Gerichten nicht als wettbewerbsverzerrend gilt.

Springer und DuMont Schauberg argumentieren gegen Schibsted, das kostenlose Produkt sei wettbewerbswidrig, Schibsted kontert mit dem grundgesetzlichen Recht auf Verbreitung der freien Meinungsäußerung. Es riecht nach Heuchelei: Zum einen halten Springer und DuMont Schauberg mit Gratsizeitungen selber dagegen, zum anderen fürchtet man bei DuMont Schauberg neben Anzeigenverlusten schlicht Dumpingpreise für Inserate, konnte man doch bislang nahezu monopolistisch die Konditionen diktieren.

Darüber hinaus fürchtet man offen bis zu 30 Prozent Auflagenverlust für den ohnehin kränkelnden „Express“. Nicht zu Unrecht: In Stockholm ist „Metro“, die Gratiszeitung der „Modern Times Group“, zweitstärkstes Blatt geworden, die seriöse „Dagens Nyheter“ büßte zehn Prozent, das Boulevardblatt „Expressen“ sogar über 27 Prozent ein.

Öffentlich werden die hehren Grundsätze des Journalismus beschworen: Seriöse Recherche und unabhängige Berichterstattung gäbe es nicht zum Nulltarif und Abhängigkeit von Anzeigenkunden sei bei diesen Blättern ohnehin gegeben. Tatsächlich fehlt bei „20 Minuten“ im Untertitel „Kompetent. Klar. Kölsch“ das eigentlich passende „Kritisch“ nicht grundlos.

Zielgruppe des Blattes sind laut Chefredakteur Kelle „junge Frauen und Singles“, wahrscheinlich deshalb gibt es wenig Sport, dafür Horoskop und Einkaufstipps, zwei Seiten TV in Farbe und viel „Service“. Der sieht dann fürs Bausparen so aus, dass außer der LBS keine andere Bausparkasse vorkommt. Hauptsächlich werden winzige AP-Meldungen gedruckt, fast zu jedem Bericht gibt es eine Internet-Adresse (obwohl das Blatt massenhaft liegen gelassen und weggeworfen wird) und es wird eher unbeholfen formuliert „Top Manager können ihre Mitarbeiter langsam aber sicher in den Wahnsinn treiben, wenn diese demotiviert werden.“ „Hinter den Kulissen von Whitney Houston“). Kritische Kommentare zur Kölner Lokalpolitik sucht man vergebens, dafür stellt sich mehrfach ausführlich der holländische Janssen-Druck vor, der das Blatt produziert. Spekuliert wird in Köln, dass sich im deutschen Umland kein Drucker traute, den Kampf gegen DuMont Schauberg aufzunehmen.

Ein Jubelartikel über die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) wundert noch am wenigsten, denn mit der KVB gibt es einen Vertrag über das Aufstellen der Verteilkästen, der allerdings über 2002 hinaus nicht verlängert werden soll. Lokales nimmt in „20 Minuten“ gerade mal 4 von 24 Seiten ein, Angriffsfläche wiederum für den Gratis-„Express“, der ans Kölner Herz appellierte und behauptete: „Bei uns liest man ,ExpressÔ“. Springer ließ dafür bei „Köln extra“ die Domtürme aufs Titelblatt setzen. DuMont Schauberg reagierte weniger lokalpatriotisch als machtbewusst und verweigerte im hauseigenen „Radio Köln“ einen Werbespot der Norweger, der wiederum Springers „extra“ gewährt wurde.

Springer will sofort sein „extra“ einstellen, wenn es bei der Gerichtsentscheidung bleibt; wie der kostenlose grüne „Kölner Morgen“ von DuMont aussehen sollte, bleibt im Dunkeln. Das Berliner Kammergericht wird den Widerspruch der Norweger gegen das vorläufige Verbot Anfang Februar verhandeln. Schibsted verschwindet einstweilen im Internet und verteilt zweimal wöchentlich „Probeausgaben“, was wettbewerbsrechtlich erlaubt ist. Und versichert, man wolle den Kölner Tageszeitungsmarkt nicht „kaputt machen“, sondern „ergänzen“. Ergänzt hat man jedenfalls die Kölner Müllabfuhr: Per Hotline durfte man bei „20 Minuten“ Räumtrupps anfordern, wenn man seinen Vorgarten mit dem blauen Blatt zugemüllt vorfand.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »

AfD als Social Media Partei überschätzt

Eng vernetzt mit dem extrem- und neurechten Vorfeld und gezielt provozierend mit rassistischem Content: Die Landtagswahlkämpfe der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg waren von einer hohen Mobilisierung geprägt, auch über die sozialen Medien. Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) in Frankfurt am Main zeigt nun aber: die Auftritte der AfD auf Social Media sind weit weniger professionell als zuletzt häufig kolportiert und es gibt deutliche regionale Unterschiede.
mehr »