Konkrete Solidarität bei der „Badischen Zeitung“
Frankfurt am Main im Februar 2003, Sitz von zwei renommierten überregionalen Tageszeitungen. Auf eine ausgeschriebene Stelle in einer Nachrichtenagentur gehen hunderte Bewerbungen ein, die Interessenten sind bestens ausgebildet, verfügen über Berufserfahrung, können Auslandsaufenthalte vorweisen. Gleichzeitig herrscht schlechte Stimmung in den Zeitungshäusern. Es gab Kündigungen, es wird gespart an allen Ecken, ein Ende ist nicht abzusehen.
Bei der „Frankfurter Rundschau“ geht es um die Existenz. Es geht dem Blatt so schlecht, dass die Geschäftsleitung die Zahlen auf den Tisch gelegt hat. Der Betriebsrat kennt das gesamte Ausmaß der Schulden und Verbindlichkeiten. „Wenn das passiert, dann ist die Situation beschissen“; so beschreibt der FR- Betriebsratsvorsitzende Viktor Kalla die Lage auf einer Veranstaltung in Köln. In Zahlen: Es gab 62 betriebsbedingte Kündigungen, bis Ende 2004 werden von den zur Zeit noch 1.417 Beschäftigen von Verlag und Redaktion noch 1.157 übrig sein. Betriebsbedingte Kündigungen soll es aber bis Ende 2007 nicht mehr geben. Die Belegschaft leistet ihren Beitrag, die immer noch drohende Insolvenz abzuwenden. So gibt es zum Beispiel 2003 kein Urlaubsgeld und die Hierarchie wird verkleinert. Das Eigenkapital ist aufgebraucht, jetzt werden Immobilien verkauft.
Nach vielen satten Jahren schreibt auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ rote Zahlen. Zwei Kündigungswellen sind schon abgeschlossen, 300 Mitarbeiter, davon 80 Redaktionsmitglieder, mussten gehen. Eine dritte Kündigungswelle steht bevor. Anders als bei der FR gab es allerdings beim vornehmen Konkurrenzblatt keine Betriebsversammlung, keine Informationen über Zahlen und Fakten, keine Zusammenarbeit der Geschäftsleitung mit den Arbeitnehmervertretern, keine Transparenz über die Kriterien, nach denen die Kündigungen ausgesprochen wurden. Kündigungsschutzklagen sind die Ausnahme, großzügige Abfindungen die Regel. Hilfe und Unterstützung von ver.di und DJV wurden vom Betriebsrat, so berichten gekündigte Mitarbeiter, abgelehnt. Auch die bevorstehende dritte Kündigungswelle mobilisiert keine Gegenwehr, sie führt eher, so stellt es sich dar, zu Erstarrung.
Volontärsprogramm auf Eis
Ein drittes Beispiel ist der Holtzbrinck-Verlag, wo „Handelsblatt“ und „Wirtschaftswoche“ erscheinen. Der Verlag ging in die Offensive und kündigte im Handelsblatt den Personalabbau von 15 Prozent an. Letzten Sommer mussten 175 Mitarbeiter aus Redaktion und Verlag das Haus verlassen, unter großem Einsatz des Betriebsrates kam es zu einem Sozialplan, der dann kaum in Anspruch genommen wurde. Die meisten wurden rausgekauft, mit guten Abfindungen in die Frühverrentung geschickt, vielfach zu Lasten der Arbeitslosen- und Rentenversicherungen.
Bei „Impulse“ und „Capital“, die zur Wirtschaftspresse von Gruner und Jahr in Köln gehören, ist die Situation ebenfalls kritisch. Auch dort konnte der Betriebsrat die Wirtschaftszahlen einsehen, die Belegschaft wurde um 50 Köpfe auf jetzt 151 zusammengekündigt. Das Volontärsprogramm wurde auf Eis gelegt, außerdem wird offen über einen Umzug der Kölner Redaktionen nach Hamburg nachgedacht. Erfahrungsgemäß können auf diesem Wege auch Stellen eingespart werden. Für die „BIZZ“ kam im vorigen Jahr das Aus, was 30 Stellen gekostet hat. Der „Business Channel“ mit ehemals 100 Mitarbeitern ging mit fünf Leuten in der Wirtschaftspresse „online“ auf.
Die Regionalzeitungen kommen derzeit noch mit einem blauen Auge davon, so wird auch in der WAZ-Gruppe in Essen gespart, jedoch schreibt der Konzern nach eigenen Angaben noch schwarze Zahlen und steht wie eine „Eiche im Sturm“. Neue Stellen werden nicht besetzt, Fotoredakteure sollen zu Verlagsangestellten werden, Honorare für Freie werden gekürzt – das alles passiert, jedoch gibt es noch keine betriebsbedingten Kündigungen. Anders bei der „Badischen Zeitung“ in Freiburg, wo von den 150 Redaktionsmitgliedern sieben gehen sollen. Wie Barbara Freitag, Redakteurin in Ettenheim, berichtete, haben Kollegen auf Teile ihrer Arbeitszeit verzichtet und so die Stellen erhalten können. Eine konkrete Form der Solidarität, die aber nur funktioniert, wenn es um konkrete Menschen in einer Redaktion geht.
Anders als Mitte der 70er Jahre, als selbständige Zeitungshäuser aufgekauft und zu Verlagshäusern umgebaut wurde, gibt es jetzt keine gesellschaftliche Diskussion über die Folgen der Zeitungskrise für die journalistische Qualität der Zeitungen. Veranstaltungen wie die in Köln sind eine Möglichkeit, diese Debatte zu führen, Informationen öffentlich zu machen und über Handlungsmöglichkeiten nachzudenken. Jutta Klebon vom Landesbezirk NRW will den „Kampf um die Köpfe“ aufnehmen, wenn es um die Arbeitsbedingungen geht, die die Grundlage bilden für den journalistischen Standard in der regionalen aber auch in der derzeit besonders krisengeschüttelten überregionalen Presse. Die Kündigung des Manteltarifvertrages zum Beispiel durch die Verleger im Sommer letzten Jahres schuf einen rechtsfreien Raum, der für den systematischen Abbau tariflich erstrittener Rechte genutzt werden soll. Bisher ist es noch nicht zu einem Verhandlungstermin mit den Verlegern über einen neuen Manteltarifvertrag gekommen.