Westermann landete strategischen Coup mit dem Kauf der Schulbucholding von Holtzbrinck
Mit den Namen Moritz Diesterweg, Westermann und Schroedel verbinden Generationen ihre Schulzeit. Doch der Alltag im Schulbuchsegment hat mit romantischen Erinnerungen an die Kindheit wenig gemeinsam. Auch in diesem Verlagsbereich findet längst eine fast schon brutale Konzentration statt.
Im Oktober verkaufte Holtzbrinck seine Schulbuchholding „Das Bildungshaus“. Neuer Eigentümer ist Westermann, dem dadurch ein strategischer Coup gelang. Sechs weitere Schulbuchverlage, die unter dem Dach der Holding zusammengefasst sind, können die Braunschweiger damit ihr Eigen nennen. Die bekanntesten sind Schroedel (Hannover) und Moritz Diesterweg (Frankfurt / Main). Erst im April vergangenen Jahres hatte Westermann den Schöningh Verlag (Paderborn) erworben. Durch die Zukäufe baute einer der verschwiegensten Großverlage seine Macht im Schulbuchsektor aus. Westermann selbst gehört der Medien Union Ludwigshafen, die ihre Marktstellung auf mehreren Geschäftsfeldern ständig erweitert und dabei so unauffällig agiert, dass sie in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist.
Drei Großverlage dominieren jetzt das Geschäft in den Klassenzimmern: die Klett-Gruppe (Gesamtumsatz 2002 laut Buchreport 329,4 Millionen Euro, + 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr), Cornelsen Verlagsgruppe (190 Millionen Euro, + 3,8 Prozent) und Westermann (102,2 Millionen Euro, + 1 Prozent) jetzt gemeinsam mit dem Bildungshaus Hannover (105 Millionen Euro, + 1 Prozent). „Wir waren sehr erstaunt, dass das Kartellamt den Kauf des Bildungshauses ohne Probleme genehmigte, sagte Martin Dieckmann, ver.di-Fachgruppenleiter Verlage und Agenturen. Das Kartellamt erklärte auf Nachfrage, dass sie keine Probleme gesehen hätten, schließlich könnten sich auch kleinere Verlage noch am Wettbewerb beteiligen. Mit welchem Erfolg bleibt allerdings abzuwarten. „Die Einschränkung von Wettbewerb schlägt sich in der Beschäftigung negativ nieder, betonte Martin Dieckmann.
Auch bei Westermann blieb die Einkaufstour nicht ohne Folgen. Bis September diesen Jahres werden viele Möbelwagen durch die Republik fahren, denn Braunschweig wird künftig der neue, zentrale Standort sein. Dies bedeutet für die Betroffenen Umzug oder Entlassung. „Mehrere Sozialpläne wurden bereits ausgehandelt und unterschrieben“, sagte Monika Hopert, stellvertretende Konzernbetriebsrätin und Betriebsratsvorsitzende der Westermann-Holding. Konkret heißt dies: 35 Mitarbeiter des Moritz Diesterweg Verlags erhalten ihre Kündigung. Weitere 30 dürfen bleiben, davon müssen rund 50 Prozent sofort nach Braunschweig umziehen, 50 Prozent erhalten voraussichtlich befristet für zwei Jahre in Frankfurt einen Telearbeitsplatz. Nach Ablauf der Zweijahresfrist müssen sie sich entscheiden, ob sie umziehen oder das Unternehmen verlassen. Der Schroedel-Verlag verlässt Hannover ebenfalls in Richtung Braunschweig. Auch hier hagelt es Kündigungen: 24 Beschäftigte im Verlag und 47 in der Holding müssen gehen, andere müssen pendeln oder umziehen.
Verhandlungen gescheitert
Nicht verschont bleiben die Mitarbeiter der BMS, der Marketing- und Vertriebsfirma des Bildungshauses. Zwanzig Angestellte werden entlassen. Es entstehen aber auch 50 neue Arbeitsplätze, die von Westermann-Beschäftigten besetzt werden sollen. Wer nicht zur BMS wechseln kann, geht in die Arbeitslosigkeit. Denn bei Westermann wird der Bereich Marketing- und Vertrieb geschlossen, 68 Kündigungen wurden bereits ausgesprochen, fünf weitere sollen folgen.
Während in den zugekauften Tochterfirmen Sozialpläne abgeschlossen wurden, sieht die Situation bei Westermann gänzlich anders aus. Dort sind die Verhandlungen vorläufig gescheitert. Die Geschäftsleitung sei ihrer Auskunftspflicht gegenüber dem Betriebsrat nicht nachgekommen, bedauert Michel Hoffmann, Betriebsratsvorsitzender des Westermann Schulbuchverlags. Es seien keinerlei Unterlagen vorgelegt worden, weder über die geplanten Baumaßnahmen, noch über die gegenwärtige und künftige Personalstruktur. Auch der Dienstleistungsvertrag zwischen dem Westermann Schulbuchverlag und der BMS konnte nicht eingesehen werden. „Ohne diese Informationen kann kein Sozialplan aufgestellt werden, betont Michel Hoffmann. Um doch noch zum Ziel zu gelangen, hat der Betriebsrat einen Rechtsanwalt beauftragt, die geforderten Unterlagen einzuklagen. Ein erster Gütetermin, der aber nicht zu einer gütlichen Einigung führte, fand bereits statt. Nun warten die Beteiligten auf einen Gerichtstermin. Der Betriebsrat erreichte jedoch beim Arbeitsgericht mit einer weiteren Klage, dass eine Einigungsstelle bestimmt wurde. Dort sollen alle Parteien an einen Tisch gebracht werden, um einen Sozialplan zu erstellen. Der genaue Termin für die Einigungsstelle steht aber noch nicht fest.