„Diese Konferenz soll Handlungsansätze für Betriebsräte als Akteure der Mitbestimmung entwickeln und ver.dis Aufgabe dabei ist es, Euch zu unterstützen und Euch das dafür nötige Rüstzeug zu geben“, begrüßte der designierte Leiter des neuen ver.di-Fachbereichs A Christoph Schmitz die Teilnehmer*innen der zweiten ver.di-Konferenz für Betriebsräte in Zeitungsverlagen. Im Zentrum der Tagung: Eine umfassende Analyse zum Status Quo der Zeitungsbranche.
Vor drei Jahren war es, da trafen sich die Betriebsrätinnen und Betriebsräte aus Zeitungsverlagen zum ersten Mal auf Einladung von ver.di, um sich auszutauschen und die Wegmarken ihrer künftigen Arbeit abzustecken. Wichtigstes Ergebnis damals: Das Zeitungsprojekt, eine von der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) geförderte Branchenanalyse zur ökonomischen Entwicklung, Beschäftigung und Arbeitsregulierung in den Zeitungsverlagen. Deren erste Entwurfsfassung präsentierte nun Mario Daum von INPUT Consulting auf der zweiten Verlagskonferenz im Berliner ver.di-Haus, die diesmal unter dem Titel „Mitbestimmung in Zeiten der digitalen Transformation“ stand.
Stetiger Abwärtstrend bei sehr guter Ausgangslage
Für die Analyse habe man einen mehrgliedrigen Forschungszugang gewählt, der auch die Befragung von 260 Beschäftigten sowie Experteninterviews mit Branchenkennern und Betriebsräten eingeschlossen habe, erläuterte Daum. Die wichtigsten Ergebnisse: Was die wirtschaftliche Lage betrifft, geht es den Zeitungsverlagen bei weitem nicht so schlecht, wie sie gemeinhin glauben machen wollen. Zwar befinde sich die Branche in einem langfristigen Negativtrend in puncto Umsatzerlöse, so Daum, allerdings: ausgehend von einem hohen Niveau. So hätten sich die Umsätze zwischen 2008 und 2016 von 13,2 auf 11,5 reduziert. Deutlich aussagekräftiger, jedoch wegen des Hemmschuhs Tendenzschutz nur schwer ermittelbar, seien zudem die Gewinnmargen. Immerhin: Die würden für zwei Unternehmen, bei denen man dennoch an die Zahlen gekommen sei, über 10 bzw. 20 Prozent betragen. Das seien auch im Vergleich zu anderen Branchen erstaunlich hohe Werte, machte Daum deutlich.
Auf der Seite der Beschäftigten und deren Arbeitsbedingungen müsse man feststellen, dass ein wesentlicher Trend der stetige Beschäftigungsrückgang sei. Gleichzeitig würde das Entgeltniveau seit 2010 mehr oder weniger stagnieren, wobei die Entgelthöhe zudem wohl kaum dem Qualifizierungsniveau dieser relativ hoch akademisierten Branche entspreche.
Als wichtigste Themen in den Betrieben hätten sich demnach, resümierte Daum, die Personalausstattung, die zunehmende Arbeitsverdichtung, die Beschäftigungssicherung und Entgeltfragen ergeben. Für die Betriebsräte gebe es dabei Mitwirkungsmöglichkeiten vor allem im Hinblick auf die Arbeitsplatzausstattung und die Qualifizierung, weniger jedoch bei Fragen der Unternehmensstrategie und der technologischen Entwicklung. Die Befragung der Betriebsräte habe zudem gezeigt, dass diese die Betreuungs- und Seminarangebote der Gewerkschaft als positiv bewerten, allerdings noch Luft nach oben bei der Vernetzung und der Durchsetzung von Tarifforderungen sehen.
Handlungsstrategien entwickeln
Auf Grundlage der Erkenntnisse aus der Branchenanalyse ging es in den daran anschließenden Workshops um die Entwicklung von Handlungsansätzen in den Themenfeldern Personalplanung und Personalentwicklung, Arbeitszeit, mobile Arbeit und Arbeitsentgelt.
Besonders umgetrieben, um nicht zu sagen elektrisiert hat die meisten der Betriebsratsmitglieder vor dem Hintergrund der jüngsten EuGH-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung erwartungsgemäß das Thema Arbeitszeit. Als problematisch wurde dabei die Einstellung der Belegschaft diskutiert, die eine Arbeitszeiterfassung im Betrieb größtenteils ablehne. Deshalb müsse man zunächst mit einer umfassenden Informationspolitik ansetzen, nötig sei gegebenenfalls auch eine Neudefinition des Berufsbilds Journalismus. Denn dieser habe sich verändert, werde mittlerweile „im Akkord, wie in einer Legebatterie“ produziert, verdeutlichte etwa die Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di, Cornelia Berger. An ver.di richteten die Betriebsrätinnen und Betriebsräte den Wunsch, vorhandene Modelle zur Arbeitszeiterfassung, die es in nicht wenigen Betrieben durchaus schon gibt, zu dokumentieren, sowie externe Coaches aus Betrieben zu vermitteln, die bereits über eine Arbeitszeiterfassung verfügen.
Als eng mit dem Thema Arbeitszeit zusammenhängend wurde auch die mobile Arbeit diskutiert. Die Möglichkeiten ortsunabhängigen Arbeitens seien zwar begrüßenswert, Regelungen zum Gesundheitsschutz, zum Entgelt oder zum Datenschutz und nicht zuletzt eine Arbeitszeiterfassung müssten jedoch deren Entgrenzung verhindern.
Diese Meinung vertrat auch Rechtsanwalt Dr. Lukas Middel, der den Betriebsrätinnen und Betriebsräten einen spannenden juristischen Input zu ihren konkreten Handlungsoptionen im Betrieb gab. Denn nicht das mobile Arbeiten sei das Problem, betonte Middel, sondern dass über 70 Prozent der außerhalb der regulären Arbeitszeit erledigten Aufgaben nicht erfasst würden. Man könne also auf einer Seite die Entgrenzung zulassen, müsse jedoch auf der anderen Seite unbedingt die Arbeitszeiterfassung regeln. Ein wichtiger Baustein dafür sei etwa die Definition von Arbeit. Hier empfahl Middel die Unterscheidung zwischen „fremdnützigen“ und „eigennnützigen“ Handlungen. So sei jede vom Arbeitgeber angeordnete Aufgabe fremdnützig, also zum Beispiel auch die Reisezeit, die laut Bundesarbeitsgericht (BAG) deshalb als Arbeitszeit anzurechnen sei, egal ob man sie mit Mails abarbeiten oder privaten Aktivitäten wie einem Buch oder Musik verbringe.
„Den Arbeitgeber lieber proaktiv vor sich hertreiben“
Wie angekündigt, wurden zum Abschluss der zweiten ver.di-Verlagskonferenz konkrete Vereinbarungen wie die Einrichtung eines Informationspools für die Betriebsräte oder eine bessere Vernetzung untereinander getroffen. Außerdem arbeitet ver.di an einem Handlungs- und Strategie-Konzept, dass den Betriebsräten im Nachgang zur Konferenz zur Verfügung gestellt wird.
Mario Daum von INPUT Consulting empfahl den anwesenden Beschäftigtenvertreter*innen indes, eine konsequente Informationspolitik seitens des Betriebsrats zu etablieren, in Workshops mit den Beschäftigten auch deren Themen zu erarbeiten und sich, etwa in Betriebsversammlungen, Unterstützung durch externe Berater zu holen. Das bundesweite und gewerkschaftsnahe Netzwerk von Technologieberatungsstellen für Betriebsräte, Personalräte und Mitarbeitervertretungen (TBSnetz) sei dafür zum Beispiel eine sehr gute Anlaufstelle. Außerdem gab er den Betriebsräten mit auf den Weg, ein stückweit aus ihrer reaktiven Position herauszukommen und „lieber proaktiv den Arbeitgeber vor sich herzutreiben“.