Mit Mehrwert aus der Krise

Zeitungsverlage vor größten strukturellen Herausforderungen der Nachkriegszeit

Die „Süddeutsche“ stellt die Jugendbeilage „Jetzt“ ein, „FAZ“ und „SZ“ streichen ihre „Berliner Seiten“, die „Woche“ ist längst bloß noch Erinnerung, und nahezu alle Verlage bauen zehn Prozent ihrer Stellen ab: Die deutsche Presselandschaft befindet sich allem Anschein nach in der wohl größten Krise der Nachkriegszeit. Allein bei der „FAZ“ sind die Umsatzerlöse im vergangenen Jahr um 22,5 Prozent zurückgegangen.

Betroffen ist jedoch die gesamte Medienbranche, also auch kommerzielle TV-Sender wie RTL, Sat 1 und ProSieben. Aber während man beim Fernsehen davon ausgeht, dass die Krise befristet ist und die Werbeeinnahmen spätestens im nächsten Jahr wieder fließen werden, stehen die Verlage vor ungleich größeren Herausforderungen. Gerade die Verleger von Tageszeitungen fürchten, es handele sich nicht bloß um eine konjunkturelle Delle, die zu enormen Einbrüchen etwa bei den Stellenanzeigen (bis zu 50 Prozent) geführt hat, sondern um eine tiefergreifende strukturelle Krise.

Nachbar liest mit

Das allerdings geht Rüdiger Schulz deutlich zu weit. Der Meinungsforscher untersucht seit über drei Jahrzehnten für das Institut für Demoskopie in Allensbach das Medienverhalten der Deutschen. Er räumt zwar ein, dass es eindeutige Anzeichen für „ein langsames Abschmelzen“ der Leserzahlen gebe, weil gerade jüngere Jahrgänge deutlich seltener zu einer Zeitung griffen als noch vor zehn Jahren. Davon abgesehen aber glaubt Schulz: „Die Menschen sparen derzeit, wo immer sie dafür Möglichkeiten sehen.“ Das zeige sich nicht nur an den niedrigen Umsätzen im Einzelhandel, sondern eben auch an den Medienbudgets. Die Reichweiten von Zeitschriften und Zeitungen sind jedoch bei weitem nicht so stark gesunken wie die Auflagen; Tageszeitungen zum Beispiel werden offensichtlich verstärkt in der Familie oder an den Nachbarn weitergegeben. Mit Ausnahme der Wirtschaftspresse sind die Reichweiten vieler Presseerzeugnisse gestiegen oder stagnieren zumindest auf hohem Niveau.

Leser vermissen verläßliche Orientierungshilfe

Zwar hat die wirtschaftliche Krise die gesamte Branche getroffen; interessanterweise kommen einige regionale Tageszeitungen aber einigermaßen glimpflich davon, wie der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger mitteilt. Die Erklärung, so der BDZV, sei einfach. In der Regel machten Zeitungen ihre Umsätze zu etwa zwei Dritteln mit Werbung und Anzeigen und zu einem Drittel mit dem Verkauf. In den zurückliegenden fetten Jahren stammten die Umsätze von Zeitungen mit Auflagen von 200.000 Exemplaren und mehr allerdings bis zu 80 Prozent aus dem Bereich Werbung und Anzeigen. Da gerade hier die Einnahmen massiv zurückgegangen seien, litten diese Blätter viel stärker unter den Verlusten. Regionale Tageszeitungen hingegen könnten die Krise besser meistern, erst recht, wenn sie sich auf hohem Qualitätsniveau bewegten und nicht auch noch unter Auflagenverlusten litten.

Trotzdem werden sämtliche Verlage laut Rüdiger Schulz schon jetzt mit großen strukturellen Herausforderungen konfrontiert, was offenbar nicht allen klar sei: „Viele Verlage haben noch nicht überzeugend genug den Mehrwert, den sie bieten, herausgestellt.“ Zu diesen Stärken zählt Schulz unter anderem die „verlässliche Orientierungshilfe im lokalen und regionalen Lebensraum“. Außerdem brauchten die Leser angesichts der Informationsfülle „eine zuverlässige ‘Führung’, um wichtige Informationen vom ‘Infomüll’ zu trennen“. Profitieren können die Verlage auch von einem leichten Wertewandel nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001: Das Ende der Spaßgesellschaft ist damals zwar allzu voreilig ausgerufen worden, doch laut Allensbacher Umfragen sind wieder mehr Menschen bereit, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.

Dem gegenüber stehen diverse Defizite. Viele Menschen vermissen laut Schulz bei den Zeitungen „das Wissen, wo der Schuh drückt“. So sei die „Teuro“-Debatte von den Zeitungen viel zu spät aufgegriffen worden. Außerdem empfinden die Leser die Lektüre offenbar als zu deprimierend. Zeitungen, fordert Schulz, sollten dem Leben auch positive Seiten abgewinnen. Sie müssten zwar nicht die Weltlage schön reden, doch „permanenter Negativismus schreckt die Leute ab“. Wenn Probleme aufgegriffen würden, sollte zum Beispiel auch beschrieben werden, wie Betroffene diese Krise meistern.

Gratis-Mentalität

Größtes Problem der Verlage aber dürfte auch in absehbarer Zeit die verbreitete „Gratis-Mentalität“ sein: Warum, fragen sich gerade jüngere Menschen (im Soziologen-Deutsch „Ego-Taktiker“), soll ich für etwas bezahlen, das ich auch kostenlos bekommen kann? Zwar haben sich die Gratiszeitungen in Deutschland längst nicht in dem Maß durchsetzen können wie etwa in Skandinavien, doch das vermeintlich kostenlose kommerzielle Fernsehen und das Internet stellen einen nicht zu unterschätzenden Konkurrenzfaktor für die Verlage dar. Abonnenten zu gewinnen, die sich bislang nicht an eine Tageszeitung gebunden haben, wird laut Schulz in Zukunft noch schwerer. Gerade in Ostdeutschland ist die Situation für die Verlage prekär. Dort gibt es nicht nur mehr kostenlose Anzeigenblätter als in Westdeutschland; die Menschen orientieren sich dort auch stärker als im Westen an jenem Medium, das die größte Konkurrenz für die Presse darstellt: das Fernsehen.

Mehr Lesernähe

Die Tageszeitungen müssen also in Gegenstrategie mit allen Vorzügen arbeiten, die sie gegenüber den zwangsläufig billiger gemachten und redaktionell meist oberflächlichen Gratisblättern haben. Dazu zählen laut Schulz „engagierte, mutige Kommentare“, eine „ausgewogene Mischung aus ausführlichen Reportagen, Hintergrundberichten und dem Wichtigsten in Kürze“ sowie „größtmögliche Lesernähe“: Zeitungen müssten noch stärker als bisher Themen, Fragen und Probleme aufgreifen, die die Menschen wirklich bewegen. Kritik übt der Meinungsforscher hingegen an den Internet-Auftritten vieler Verlage. Die Vernetzung mit weiterführenden Informationen sei durchaus noch ausbaufähig, der Zusatznutzen der Online-Angebote Vielen noch nicht ausreichend erkennbar. Es sei allerdings „unbestritten, dass die Medienhäuser angesichts der dynamischen Weiterentwicklung des Internet dieses neue Medium nutzen müssen“.

Gewinnen durch Qualität

Deshalb bleibt das Internet einer der Hoffnungsträger für die Verlage. Sebastian Lehmann, Sprecher des Süddeutschen Verlags („Süddeutsche Zeitung“), verweist auf das „Jobcenter“ seines Hauses. Mit diesem Anzeigenmarkt im Internet reagiert der Verlag prophylaktisch auf einen Trend, den viele fürchten: Selbst wenn nach dem Ende der konjunkturellen Flaute auch der Stellenmarkt wieder anzieht, könnte es durchaus sein, dass davon vor allem das Internet profitiert. Aus diesem Grund hat der Süddeutsche Verlag vorsorglich im Netz ein zusätzliches Geschäftsmodell eingerichtet, das auch in technischer Hinsicht mit Angeboten wie „jobpilot.de“ Schritt halten kann.

Ebenfalls über das Planungsstadium hinaus ist die „E-paper“-Version der „Süddeutschen“, die man in rund einem halben Jahr kostenpflichtig im Internet abrufen kann. Diese Ausgabe, mit der man laut Lehmann zunächst zumindest „ein bisschen Erlöse“ erzielen möchte, werde auf jeden Fall attraktiver sein als die Printausgabe und mit zusätzlichen Leistungen aufwarten.

Veränderungen kommen jedoch nicht allein auf die großen Verlage zu. Auch die kleineren, prognostiziert Meinungsforscher Schulz, müssten große Summen investieren und zu „Medienhäusern“ wachsen, wenn sie am Markt bestehen wollen. Der Demoskop denkt dabei nicht nur an Beteiligungen an lokalem Hörfunk, am Ballungsraumfernsehen und natürlich an den Ausbau der Online-Angebote, sondern auch an bislang branchenfremde Gebiete wie etwa regionale Zustelldienste. Schulz vermutet, dass es außerdem aus Kostengründen zu einer stärkeren Kooperation zwischen den Verlagen kommen werde. Kleinere Lokalzeitungen würden Mantelteile vom großen Nachbarn beziehen.

Die derzeitige Krise werde also nicht zum vielfach befürchteten Pressesterben führen, „doch die Vielfalt wird auf jeden Fall abnehmen“. Ansonsten hofft Schulz, dass die Verlage im Zuge der unvermeidlichen Rationalisierungsmaßnahmen nicht auch noch die redaktionellen Etats abbauen: „Gewinnen kann man nur durch Qualität“.

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